Der Zugabe-Preis 2020
Die Welt zu verbessern, ist keine Frage des Alters: Gerhard Dust (68) hat das Bauen revolutioniert, Elke Schilling (75) verhindert Einsamkeit, Bernhard Krahl (73) sorgt für innovative Therapien und Thilo Bode (73) hat den Verbraucherschutz im Lebensmittelbereich neu erfunden. Für ihr bahnbrechendes Unternehmertum erhielten die Vier unseren Zugabe-Preis.
Zum zweiten Mal hat die Körber-Stiftung am 10. Juni ihren Zugabe-Preis verliehen – coronabedingt als Liveübertragung aus dem KörberForum. Mit je 60.000 Euro wurden vier Persönlichkeiten 60plus ausgezeichnet, die ein Unternehmen oder Sozialunternehmen aufgebaut haben. Die Gesellschaft mit Lebenserfahrung, gesellschaftlicher Verantwortung und Unternehmergeist verbessern – das ist das Altersbild, das der Preis vermitteln will.
Elke Schilling, 75: Silbernetz und Silbertelefon
Auslöser war der isolierte Tod eines alten Nachbarn. Die Antwort von Elke Schilling, heute 75 Jahre alt: Sie baute ein niedrigschwelliges Kommunikationsnetz für einsame Ältere auf. Seit 2018 gibt es in Berlin nun ihr Silbertelefon, die Hotline für den spontanen, vertraulichen Anruf. Das Silbernetz vermittelt Älteren feste Gesprächspartner für den wöchentlichen Austausch, und wer die Silberinfo anruft, wird über Angebote im Wohnumfeld informiert. Mit ihrem sozialen Unternehmen schafft Elke Schilling auch Arbeitsplätze: Die Gespräche führen ältere, schwerbehinderte Menschen. Seit März 2020 bietet Elke Schilling mitten in der Corona-Krise das Silbertelefon bundesweit an – die Nachfrage hat sich spontan vervielfacht. Was treibt die Mathematikerin an, die gleich mehrere berufliche Karrieren absolviert hat, von der Laborantin und Programmiererin bis zur Frauenpolitikerin und Staatssekretärin in Sachsen-Anhalt? Elke Schilling verweist auf ihre Herkunft aus einer DDR-Unternehmerfamilie und ihre Freude am Gründen. Und auf die spezielle Freiheit ihrer Lebensphase: „Als Alte bin ich so unabhängig, wie ich es als Jüngere selten war.“
„Die Mathematikerin und Frauenpolitikerin zeigt, dass Mut und Gestaltungskraft keine Frage des Alters sind.“
Die Zugabe-Jury über Elke Schilling
Dr. Gerhard Dust, 68: PolyCare Research Technology GmbH & CO KG
2009 wollte Gerhard Dust – bis dahin Geschäftsführer im Buchgroßhandel und Gründer diverser Unternehmen – sich im Alter von 56 Jahren eigentlich in Florida zur Ruhe setzen. Dann erschütterte ihn das schwere Erdbeben in Haiti 2010. Er erkannte, dass die traumatisierten Opfer nicht in den Wiederaufbau eingebunden waren. Um Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort zu leisten, setzte der gelernte Volkswirt auf die Entwicklung von langlebigen und umweltfreundlichen Bauelementen aus Polymerbeton. Die mehrfach verwendbaren Elemente können aus lokalen Rohstoffen, selbst aus Wüstensand, produziert werden. Das Stecksystem nach dem Lego-Prinzip macht unabhängig von gelernten Fachkräften und schwerem Baugerät. Gerhard Dust entwickelte ein Businessmodell, das er international über Lizenzen umsetzt. Zum Beispiel in Namibia: Zwei Drittel von Polycare Namibia gehören einheimischen Partnern. 40 Mitarbeiter sind beschäftigt; sie produzieren günstige Häuser für Townships. Dass seine unternehmerische Weitsicht lokale Wertschöpfung und nachhaltiges Bauen ermöglicht, befriedigt den Gründer ungemein. Mit Golfspielen in Florida hätte er das nie erreicht, sagt Gerhard Dust.
„Unternehmer ist der beste Job, den man überhaupt haben kann. Am Ende sieht man, was man selber schafft.“
Dr. Gerhard Dust
Dr. Berhard Krahl, 73: Ambulanticum GmbH
Nach zwei Hirninfarkten wurde der Zahnarzt Bernhard Krahl 2007 mit damals 60 Jahren zum Schwerstpflegefall und galt als „austherapiert“. Er erkämpfte sich dennoch den Weg zurück ins Arbeits- und Sozialleben. Seine Erfahrung, dass vielen Betroffenen zeitgemäße Therapiemöglichkeiten der Nachsorge vorenthalten sind, motivierte ihn 2012 zur Gründung des Ambulanticum Herdecke. Das Therapiezentrum bietet ambulante Nachsorge, mit innovativen Therapien und einem interdisziplinären Fachteam. Kinder und Erwachsene, die etwa an den Folgen von Schlaganfällen oder schweren Erkrankungen wie Multipler Sklerose, Schädelhirntrauma oder Querschnittslähmungen leiden, werden hier individuell behandelt. Bernhard Krahl arbeitet mit Kassen und Berufsgenossenschaften zusammen, aber er führt das Ambulanticum als privates Unternehmen und hat viel Eigenkapital investiert. Mittlerweile trägt sich das Ambulanticum durch Einnahmen selbst. Bernhard Krahl will sein Thema auch in die Gesellschaft tragen. In der Gesundheitspolitik müsse ein Umdenken erfolgen, sagt der Unternehmer. „Nicht Pflege bis in den Tod, sondern Rückführung ins Leben“ müsse das Ziel sein.
„Die Jury würdigt Bernhard Krahl nicht nur als erfolgreichen Unternehmer, sondern darüber hinaus auch als überzeugenden Streiter für eine bessere Gesundheitspolitik.“
Die Zugabe-Jury über Bernhard Krahl
Dr. Thilo Bode, 73: foodwatch e.V.
Dass in Deutschland in den letzten Jahren Gesundheitsschutz, Transparenz und Schutz vor Täuschung im Lebensmittelbereich wichtiger wurden, das ist wesentlich dem Verein foodwatch zu verdanken. Hinter foodwatch stehen nicht nur 40.000 Fördermitglieder, sondern auch sein Gründer, Thilo Bode. 2002, mit damals 55 Jahren, startete der ehemalige Direktor von Greenpeace international mit foodwatch neu durch. Der BSE-Skandal um die Jahrhundertwende machte ihm klar, „dass Verbraucher im Lebensmittelmarkt keine ausreichenden Rechte besitzen“. Das ändert sich seither – auch dank foodwatch und Thilo Bode. So hat beispielsweise die Kampagnenarbeit des Vereins zur Einführung des „Nutri-Scores“ als Nährwertkennzeichnung in Deutschland beigetragen. Thilo Bode steht als Geschäftsführer einem Verein vor, der unternehmerisch geführt wird und durch Mitgliedsbeiträge unabhängig ist. Mit foodwatch international und Büros in anderen europäischen Ländern hat der erfolgreiche Stratege dafür gesorgt, dass Verbraucherrechte auch auf europäischer Ebene zum politischen Thema werden.
Preisverleihung 2020
Die Gesellschaft mit Lebenserfahrung verbessern
Zum zweiten Mal haben wir am 10. Juni den Zugabe-Preis verliehen – coronabedingt als Liveübertragung aus dem KörberForum. Mit je 60.000 Euro wurden vier Persönlichkeiten 60plus ausgezeichnet, die ein Unternehmen oder Sozialunternehmen aufgebaut haben. Die Gesellschaft mit Lebenserfahrung, gesellschaftlicher Verantwortung und Unternehmergeist verbessern – das ist das Altersbild, das der Preis vermitteln will.
Mit dem Zugabe-Preis wolle man, so der Vorstandsvorsitzende der Körber-Stiftung, Lothar Dittmer, zeigen, dass Start-Ups kein Privileg der Jungen seien. „Start-Ups sind in jedem Alter möglich.“ Als Gemeinsamkeit aller vier Preisträgerinnen und Preisträger betonte Lothar Dittmer „ihren Mut, ihre Tatkraft und ihre Beharrlichkeit“. Zudem sei ihr unternehmerisches Tun nicht kommerziell, sondern darauf ausgerichtet, „ein Defizit aufzuheben, etwas zu verbessern und die Zukunft zu gestalten“. Er sah die Zugeberinnen und Zugeber des Jahres 2020 auf den Spuren des Stifters Kurt Körber, der selbst ein Role Model für die unternehmerische Zugabe gewesen sei: Mit 50 hat er die Körber-Stiftung gegründet – eine unternehmerische Stiftung, die er nie als bloßer „Mäzen“ geführt habe.