Der Zugabe-Preis 2019
Ute Büchmann, Dr. Michael Hoppe, Dr. Bernward Jopen und Anna Vonnemann wurden am 4. Juni mit dem Zugabe-Preis der Körber-Stiftung ausgezeichnet. Alle drei haben erfolgreiche Sozialunternehmen gegründet und verbinden so die unternehmerische Kompetenz des Alters mit vorbildlicher gesellschaftlicher Wirkung. Sie erhielten je 60.000 Euro Preisgeld.
Ute Büchmann, 65: Büchmann Seminare KG
2006, im Alter von 52 Jahren, entdeckt Ute Büchmann eine Lücke: Nach ihrer Recherche gibt es noch keine Angebote zur mentalen Seniorenbegleitung. Sie gründet eine Senioren-Assistenz, die 2007 zum Unternehmen Büchmann Seminare KG wird und lebenserfahrene Menschen als Senioren-Assistentinnen und -Assistenten qualifiziert. Senioren-Assistenten begleiten als selbständig tätige Dienstleister ältere Menschen mit oder ohne Pflegegrad in der häuslichen Umgebung und sorgen für deren soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Zunächst regional auf Preetz in Schleswig-Holstein ausgerichtet, wird das Konzept als Plöner Modell bekannt. Weitere Seminar-Standorte in Hamburg, Berlin, Leverkusen, Nürnberg und Kempen in Nordrhein-Westfalen kommen dazu. Neben der Unterstützung für Senioren bietet das Modell auch Menschen nach der Familienphase einen Neueinstieg in das Berufsleben.
„Der Preisträgerin zollt die Jury aber auch großen Respekt für den ausgeprägten Mut und die Risikofreude, mit der sie die Büchmann Seminare KG erfolgreich aufgebaut hat und führt.“
Die Zugabe-Jury über Ute Büchmann
Dr. Michael Hoppe, 70: Stiftung steps for children
Dr. Michael Hoppe steigt im Alter von 53 Jahren aus seiner ersten Karriere aus, die er bereits mit 22 Jahren als Gründer eines Marktforschungsinstituts begonnen hat. Er verkauft sein Unternehmen und macht sich auf die Suche nach einer „Zugabe“. Fündig wird er in Namibia, wo er den Trust steps for children gründet. Er ist an sechs Projektstandorten tätig, wo er sich für bessere Bildungschancen von Kindern aus den Armenvierteln Namibias einsetzt. Mit Krippen, Kindergärten, Vorschulunterricht, Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe für mehr als 1.500 Kinder werden die Grundlagen für bessere Chancen für ein selbstbestimmtes Leben gelegt. Die Gründung von Werkstätten, Nähstuben und Gärten unterstützt den nachhaltigen Ansatz der Stiftung und ermöglicht den Kindern und Jugendlichen, selbstverantwortlich ihren eigenen Lebensentwurf zu gestalten. Bei der Bildungsarbeit legt die Stiftung steps for children Wert darauf, unternehmerisches Handeln und Denken zu vermitteln.
„Die Jury ist beeindruckt von der Persönlichkeit des Preisträgers, der den Menschen vor Ort mit großer Sensibilität und Respekt begegnet“
Die Zugabe-Jury über Dr. Michael Hoppe
Dr. Bernward Jopen, 76: Leonhard gGmbH - Unternehmertum für Gefangene
Nach achtjähriger Tätigkeit als Mitgründer und Co-Geschäftsführer für das Entrepreneurship-Center der TU-München mit bis zu 1.000 Studierenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern jährlich wendet sich Dr. Bernward Jopen mit 67 Jahren einer ganz neuen Zielgruppe zu. Angespornt durch die Erfolge des Prison Entrepreneurship Program PEP in den USA gründet er 2010 ein Programm zur unternehmerischen Qualifizierung von Strafgefangenen, die sich vor ihrer Entlassung auf ein verantwortungsvolles und straffreies Leben vorbereiten wollen. Die Teilnehmenden werden nach einer Bewerbung ausgewählt und auch noch lange Zeit nach ihrer Entlassung betreut, damit sie erfolgreich, selbstbewusst und legal Geld verdienen können. Oder im besten Fall sogar ihr eigenes Unternehmen führen.
„Die Jury lobt insbesondere die Geduld und Überzeugungskraft, mit der es Bernward Jopen gelungen ist, seine Leonhard gGmbH mit dem innovativen Ansatz zur Resozialisierung erfolgreich im Strafvollzug von immer mehr Bundesländern zu platzieren.“
Die Zugabe-Jury über Dr. Berward Jopen
Anna Vonnemann, 69: ReMoD
Anstoß zur Entwicklung von ReMoD (Remember Motion Device) gibt Anna Vonnemann die Erkrankung ihrer Tochter, die in Folge eines Schlaganfalls seit ihrer Geburt halbseitig gelähmt ist. Ihre Mobilitätsprobleme machten eine selbstständige Fortbewegung fast unmöglich. Eine langfristig wirksame Therapiemethode existiert bis dahin nicht. Das veranlasst Anna Vonnemann, zunächst tüftelnd am Küchentisch, zur Entwicklung eines Gerätes zur Haltungs- und Bewegungskontrolle. 2005 entsteht der erste Prototyp. Schnell zeigen sich bei Anna Vonnemanns Tochter deutliche Verbesserungen. 2015 wird die Biologin und freischaffende Künstlerin schließlich zur Start-up-Gründerin. Das patentierte Gerät sendet elektrotaktile Signale auf die Haut und ermöglicht damit Menschen mit einer neurologischen Bewegungsstörung, ihre Haltung eigenständig zu korrigieren.
„Wenn Anna Vonnemann auf gesellschaftliche Probleme trifft, wird ihre Lust zur Lösung geweckt. Sie hat mit Selbstvertrauen, Ideenreichtum und Experimentierfreude ein Medizingerät entwickelt, das Experten nicht für möglich hielten und das ihrer halbseitig gelähmten Tochter Selbständigkeit, Freiheit – letztendlich ihr Leben – zurückgab.“
Die Zugabe-Jury über Anna Vonnemann
Preisverleihung 2019
Zugabe-Preisverleihung: Neue Vorbilder
Es ist 11 Uhr vormittags und 180 geladene Gäste wippen schon im Takt: Mit dem schwungvollen Dusty-Springfield-Klassiker „I only want to be with you“ begeistern Maren Kroymann & Band die Preisträger und Preisträgerinnen, die Jury und übrigen Gäste, die zur Verleihung des Zugabe-Preises in das KörberForum gekommen sind.
„Die Zahl 60 schwebt unübersehbar im Raum“, stellt die Sängerin, Schauspielerin und zweifache Grimme-Preisträgerin fest. Doch das nicht allein wegen Kroymanns aktuellem Bühnenprogramm „In My Sixties“, sondern vor allem wegen der ausgezeichneten Gründer und Gründerinnen. Denn mit dem neuen Zugabe-Preis würdigt die Körber-Stiftung im 60. Jahr ihres Bestehens 2019 erstmals Gründer und Gründerinnen ab 60 Jahren, die Lösungen für die gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit gefunden haben. Vier solcher Persönlichkeiten werden an diesem Tag ausgezeichnet. Menschen, die nach ihrer Berufstätigkeit im höheren Alter noch einmal unternehmerische Strukturen geschaffen haben, die die Gesellschaft besser machen.
Das Beste kommt zum Schluss
Lothar Dittmer, Vorstandsvorsitzender der Körber-Stiftung, formuliert es in seinen einführenden Worten so: „Zugabe, das ist das Finale im Konzertbetrieb, das Musikstück, das nicht mehr im Programm steht, das Sahnestück, das die Stimmung zum Siedepunkt bringt. Wir finden deshalb, dass dieser Titel auch gut zu unserem neuen Projekt passt. Das Beste kommt zum Schluss.“
Wer heute sechzig wird, wolle weder in den Ruhestand noch aufs Abstellgleis, sondern gestalten, die Voraussetzungen dafür seien besser denn je. „Sechzig steht heute für Erfahrung und für Innovation, für Bilanzieren und für die Chance für einen neuen Aufbruch.“ Grundgedanken, die die Körber-Stiftung auch in der Stiftungs-DNA verankert habe. Denn Körbers eigene „Zugabe“ war die Körber-Stiftung, die er 1959 an seinem 50. Geburtstag gegründet hat. „Körber selbst hat sich nie als Mäzen verstanden. Er wollte immer Anstifter sein. Er wollte unternehmerisch auf Fragen der Zeit reagieren“, beschreibt Dittmer die Motivation des Hamburger Stifters.
Wie groß ist denn heute die Bereitschaft, sich jenseits der Fünfzig noch einmal in die Pflicht nehmen zu lassen? Eine Umfrage der Körber-Stifung hat ergeben: 20 Prozent aller 50- bis 75-Jährigen können sich eine Unternehmensgründung vorstellen. Damit das gelingt, will die Körber-Stiftung nicht nur mit dem Zugabe-Preis diese Menschen motivieren und sichtbar machen, sondern sie auch praktisch unterstützen. „Start-up-Kurse, Barcamps und Vernetzungstreffen dürfen kein Privileg der Youtube-Generation sein. Fürs Gründen ist es nie zu spät“, befand Lothar Dittmer.