Foto: Körber-Stiftung

Interview mit Dr. Thomas Paulsen über Veränderungen der operativen Arbeit, Unterstützung für die Ukraine und bestehende Verbindungen nach Russland.

Der Leitspruch Kurt A. Körbers „Miteinander statt übereinander reden“ prägt seit Jahrzehnten die Arbeit der Körber-Stiftung.
Wie hat sich die operative Arbeit im Feld der Internationalen Verständigung verändert?

Kurt Körber wollte mit Projekten wie dem Bergedorfer Gesprächskreis Brücken zwischen Ost und West im Kalten Krieg bauen. Nach dem Fall der Mauer rückte der Nahe und Mittlere Osten und später der Dialog mit der aufstrebenden Supermacht China in den Mittelpunkt. Gleichzeitig blieb der Osten Europas in vielfacher Hinsicht ein zentraler Schwerpunkt unserer Arbeit. So hat der Bergedorfer Gesprächskreis regelmäßig nicht nur in Russland, sondern auch in der Ukraine getagt. Daneben gibt es vielfältige Arbeitsbeziehungen mit NGOs aus der Region. Im Rahmen von EUSTORY haben wir immer wieder Jugendbegegnungen organisiert, bei denen Jugendliche aus ganz Europa miteinander ins Gespräch kommen. Und natürlich haben wir bei den Programmen des Bereichs Internationale Politik in Berlin immer wieder hochrangige Entscheidungsträger aus Osteuropa zu Gast, zuletzt beispielsweise die Präsidenten aus Lettland und Litauen. Die russische Invasion bildete auch für unsere Aktivitäten eine Zäsur. Ja, wir sind überzeugt davon, dass Miteinander Reden in der internationalen Politik wichtig ist und dass Stiftungen hier eine Rolle zu spielen haben. Aber Dialog ist niemals voraussetzungslos. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine steht in diametralem Gegensatz zu unseren Werten. Daher haben wir den Dialog mit offiziellen Vertreter:innen Russlands bis auf Weiteres ausgesetzt.

Welche Unterstützung leistet die Körber-Stiftung konkret, um der Ukraine zu helfen?

Wir wollten den Menschen vor Ort schnell und direkt helfen. Seit Beginn des Krieges haben wir daher mehrere in Deutschland ansässige Organisationen mit größeren Spenden unterstützt, die humanitäre Hilfe leisten, z.B. bei der Evakuierung von Heimen für Waisenkinder oder der Rückholung von Kindern, die nach Russland verschleppt wurden. Außerdem arbeiten wir im Rahmen der Programme unseres Bereichs Geschichte und Politik intensiv mit Kooperationspartnern in Deutschland und in der Ukraine zusammen. Mit dem Center for Urban History in Lviv und der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg haben wir beispielsweise Stipendien für geflüchtete Wissenschaftler in der Ukraine und ein Interviewprojekt für Kriegsgeflüchtete aus der Ukraine in Deutschland organisiert. Der ukrainische Geschichtslehrerverband NOVA DOBA, langjähriger Partner in unserem Netzwerk europäischer Geschichtswettbewerbe EUSTORY, hat mit unserer Unterstützung trotz des Krieges erfolgreich Bildungsprojekte mit Lehrern und Schülern durchgeführt.

Gibt es weiterhin Verbindungen zu Russland? Und wenn ja, wie sehen diese aus?

Natürlich haben wir weiterhin Kontakte zu Akteuren aus Russland. Viele von ihnen haben das Land mittlerweile verlassen. Unsere konkreten Projektaktivitäten in Russland und unsere Kontakte zu offiziellen Vertretern und Institutionen des Landes haben wir angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine allerdings bis auf weiteres auf Eis gelegt. Stattdessen liegt unser Fokus aktuell auf der Arbeit mit russischen Personen und Organisationen im Exil, beispielsweise im Rahmen unserer Exilprogramme (Exile Media Forum). Ganz konkret unterstützen wir die NGO und Friedensnobelpreisträgerin Memorial International in einem mehrjährigen Programm dabei, ihre Arbeit im deutschen Exil zu organisieren. Darüber hinaus arbeiten wir eng mit dem Carnegie Russia Eurasia Center zusammen, das aufgrund zunehmender Repression Russland verlassen und nach Berlin übersiedeln musste.

Die Wurzeln der Stiftung liegen in Hamburg. Welche Aktivitäten finden konkret hier vor Ort statt?

In Hamburg organisieren wir in unserem KörberForum regelmäßig Veranstaltungen, die sich mit der Ukraine und dem Krieg befassen. Ein großer Erfolg waren und sind die vom Bereich Kultur betreuten Abende mit Musikerinnen und Musikern aus der Ukraine. Für die nach Deutschland geflüchteten Menschen aus der Ukraine sind solche Veranstaltungen immer auch ein Stück Heimat in der Fremde. Und für das Hamburger Publikum sind sie eine willkommene Möglichkeit, die Ukraine besser kennenzulernen. Unter der Schirmherrschaft der First Lady der Ukraine Olena Selenska und in Kooperation mit dem Ukrainischen Buch-Institut haben wir im Sommer 2022 außerdem 10.000 ukrainische Kinderbücher in Norddeutschland verschenkt, ein Jahr später dann noch einmal über 5.000 Bücher für 175 Büchereien in der Metropolregion Hamburg. Und dann spielt das Thema Ukraine natürlich auch in regelmäßigen Hintergrundgesprächen für ausgewählte Multiplikatoren wie der Hamburger Körber-Runde zur internationalen Politik immer wieder eine prominente Rolle.