Tobias Lindner, Staatsminister im Auswärtigen Amt

Foto: Marc Darchinger

„Es ist nicht akzeptabel, wenn unsere Verbündeten Angst vor ihrem Nachbarn haben“

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Tobias Lindner ist seit 2011 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit Dezember 2021 Staatsminister im Auswärtigen Amt. Am 25. und 26. März 2022 nahm er am 178. Bergedorfer Gesprächskreis in Berlin teil, um über die sicherheitspolitische „Zeitenwende“ und die Zukunft der internationalen Rolle Deutschlands zu diskutieren.

Im Nachgang zu dem Gesprächskreis hat Tobias Lindner in einem schriftlichen Interview drei Fragen zur „Zeitenwende“ und der geplanten Nationalen Sicherheitsstrategie beantwortet.

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine und der ausgerufenen „Zeitenwende“: Wie wird sich Deutschlands internationale Rolle in den kommenden Jahren entwickeln? Wie nachhaltig wird der Kurswechsel in der deutschen Außenpolitik sein?

Tobias Lindner: Jede neue Regierung startet mit einer Überprüfung bisheriger Politik. Der Koalitionsvertrag sieht zum Beispiel die Evaluation der Auslandseinsätze vor, kündigt eine effektivere Klimaaußenpolitik und auch erstmalig eine feministische Außenpolitik an. Die „Zeitenwende“ stellt unsere Sicherheitspolitik nun grundsätzlich auf den Prüfstand. Ist unsere bisherige Sicherheitspolitik geeignet, unsere Werte und Interessen zu schützen und zu verteidigen? Klar ist, ein Europa, in dem Menschen ermordet und Städte in Schutt und Asche bombardiert werden, und in dem unsere Verbündeten Angst vor ihrem Nachbarn haben, ist keines, das für uns akzeptabel ist. Deshalb müssen wir nun dringend den Kurs der vergangenen Jahre korrigieren und unsere Abhängigkeiten von fossilen Energieträgen reduzieren und in die Ausstattung und Ausrüstung der Bundeswehr investieren. Ich bin überzeugt, wenn wir Sicherheitspolitik umfassend denken, kann Deutschland seine Kraft als Friedensmacht entfalten und für Europas Sicherheit eine tragende Rolle spielen. Schließlich lernen wir in diesen Monaten einmal mehr, wie entscheidend es ist, eng mit Partnern in der EU und NATO und auch den G7 zusammen zu arbeiten. Diese Partner und das gemeinsame Wertefundament geben Deutschland Rückhalt und Gestaltungsraum.

Welche Kernelemente sollte die geplante Nationale Sicherheitsstrategie beinhalten?

Die nationale Sicherheitsstrategie wird beschreiben müssen, wie Deutschland seine Werte und Sicherheitsinteressen wahren will und welche Politik es zu diesem Zweck verfolgt. Dafür benötigt es auch eine Lagebeschreibung: In welcher Welt befinden wir uns, welche Herausforderungen und Bedrohungen hält sie bereit? Ich würde mir wünschen, dass wir hier nicht nur jene Entwicklungen beschreiben, die uns Sorgen machen. Wir haben unverändert beste Chancen und Möglichkeiten, gut für unsere Sicherheit vorzusorgen und weiterhin ein freies und wohlhabendes Land zu sein, das auch anderen Ländern hilft erfolgreich zu sein. Die deutsche Sicherheitsstrategie wird zudem wesentliche Aussagen des Strategischen Kompasses widerspiegeln, die die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bereits im März beschlossen haben. Ebenso wird das neue Strategische Konzept der NATO, das im Juni erscheinen soll, für die Sicherheitsstrategie eine Rolle spielen. Für mich ist entscheidend: Die Politik, die wir heute formulieren und umsetzen, muss den Menschen und ihren Familien langfristig ein Leben in Sicherheit bieten; das gilt mit Blick auf die Klimafolgen ebenso wie für Fragen von Krieg und Frieden. „Wir müssen Sicherheit von der Zukunft her denken“, wie es Annalena Baerbock in ihrer Rede am 18. März formulierte.

Wie kann eine gemeinschaftliche Erarbeitung der Nationalen Sicherheitsstrategie praktisch umgesetzt werden? Welche Akteure sind für Sie zentral?

Die Nationale Sicherheitsstrategie wird von der Bundesregierung geschrieben unter Federführung des Auswärtigen Amts. Praktisch bedeutet dies, dass wir im Amt einen Arbeitsstab gebildet haben, in dem Kolleginnen und Kollegen mit verschiedensten fachlichen Hintergründen mitarbeiten und der zusätzlich von Expertinnen und Experten aus anderen Ministerien verstärkt wird. Sie werden in Absprache mit den Bundesressorts bis Jahresende einen Text erstellen, der schließlich durch das Bundeskabinett verabschiedet wird. Wir haben den Anspruch, dass eine umfassende nationale Sicherheitsstrategie auch von der Gesellschaft getragen wird. Deshalb führen wir nicht nur einen intensiven Diskurs mit Fachleuten, sondern diskutieren auch im Parlament mit den Fraktionen. Ebenso suchen wir das Gespräch mit Verbündeten und Partnern, um zu erfahren, welche Erwartung sie an uns haben und wo wir von deren Strategieprozessen und Überlegungen profitieren können. Schließlich, und das ist uns besonders wichtig, suchen wir den Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern, denn um deren Sicherheit geht es. Die Ministerin wird sich hierbei ganz persönlich einbringen.

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