Rede zum Exil des Schirmherrn Christopher Hope
Anlässlich der Auftaktveranstaltung der Tage des Exils Bonn am 30. August 2024 im LVR-Landesmuseum Bonn.
Die Rede zum Exil als Volltext
Wenn es im Vokabular eines Exilanten ein Wort gibt, das als Leitstern gelten kann, dann ist es das Wort „Heimat“.
Heimat ist, woher man kommt, aber auch das, was man verloren hat. Es ist das Loch im Herzen des Exilanten. Aber je länger man außerhalb der Heimat lebt und je weiter von ihr entfernt, desto schwieriger ist es zu sagen, was der Begriff eigentlich bedeutet. Meine Heimat Südafrika war in den Jahrzehnten der Apartheid ein sehr seltsamer Ort – ein Ort, an dem viele Südafrikaner nie wirklich „zu Hause“ waren. Das alte Südafrika war eine Fiktion, erfunden von der weißen nationalistischen Regierung als eine politisch nützliche Täuschung. Es sollten andere getäuscht werden, gewiss, aber für das alte Regime war es auch eine Möglichkeit zur Selbsttäuschung.
Ein Großteil der Bewohner meines Landes durfte sich in jenen Jahren nicht als Südafrikaner bezeichnen. Dieses Privileg war nur wenigen vorbehalten, und es wurde nur denen gewährt, die weiß waren, nicht schwarz oder braun oder eine Abstufung dazwischen. Viele Menschen waren damals Exilanten in ihrem eigenen Land. Selbst die Definition, wer „weiß“ war und wer nicht, war eine komplizierte Prozedur. Nachdem ich Südafrika verlassen und viele Jahre in fernen Ländern gelebt hatte, fragte mich jemand, ob ich Heimweh hätte, und ich musste sagen, dass ich in einem fremden Land nicht mehr Heimweh verspürte als zu der Zeit, da ich in Südafrika lebte. Ich hatte Heimweh, lange bevor ich meine Heimat verließ.
Als ich jung war, hatte ich das Gefühl, Südafrika sei die Schöpfung eines besonders grausamen Romanautors mit einem rabenschwarzen Humor. Später erkannte ich, dass es keinen fremden Schöpfer des Landes gab, in dem wir lebten. Wir selber waren die Urheber dieses verrückten Romans, den wir ein Land nannten. Eine Gesellschaft, die von allen guten Geistern verlassen war. Die Weißen in Südafrika verschlossen die Augen vor den Schwarzafrikanern, die unter ihnen lebten. Die Schwarzafrikaner, sofern wir sie überhaupt wahrnahmen, waren Schatten aus einer anderen Schattenwelt.
Schon recht früh begann ich, in Gedichten und Geschichten über unsere manische Obsession bezüglich der Hautfarbe und über unsere gleichgültige Hinnahme der Gewalt zu schreiben. Unter dem alten Apartheidregime war Südafrika ein Ort alltäglicher, beständiger, nicht enden wollender Brutalität, die in vieler Hinsicht zur Normalität geworden war. Dasselbe kann man leider auch über das heutige Südafrika in seiner neuen, demokratischeren Gestalt sagen. Von den schlimmsten Kriegsgebieten abgesehen, gibt es nur wenige Orte, an denen so viele Menschen dermaßen skrupellos getötet werden.
Aber es war die Hautfarbe, die mein Land zerriss, der Melaninwahn. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Eines Tages, ich war etwa neun Jahre alt, überquerte ich eine Eisenbahnbrücke, und als ich die andere Seite erreicht hatte, wartete der wütende Bahnhofsvorsteher auf mich. „Welche Hautfarbe hast du?“, sagte er. „Weiß“, antwortete ich. „Jetzt nicht mehr, du bist jetzt schwarz“, sagte er. Er zeigte auf das Schild an der Eisenbahnbrücke, die ich überquert hatte. Darauf stand „Non-Whites Only“, nur für Nicht-Weiße. Dann zeigte er auf eine zweite, parallel verlaufende Brücke ein Stück entfernt. „Wenn du wieder weiß werden willst, geh über die falsche Brücke zurück und überquere die Schienen auf der Brücke für Weiße.“ Und wie selbstverständlich tat ich, was mir befohlen wurde. So etwas war also völlig normal.
Für einen Schriftsteller unter der Apartheid lautete die Frage: Was sollen wir tun? Wir hatten gute Schriftsteller, die die Brutalität derjenigen anprangerten, die die Regeln bestimmten und das Land regierten. Aber ich konzentrierte mich auf die Absurdität, die dieser Brutalität innewohnte, und wollte die düstere Komik enthüllen, die in unserer geisteskranken, fast religiösen Obsession bezüglich der Hautfarbe steckt. Meine Vorbilder waren Schriftsteller wie Jonathan Swift und Voltaire und später Exilanten wie James Joyce, Vladimir Nabokov und Joseph Roth. Die Frage, die ich mir stellte, lautete: Wie kann ich das perverse Universum darstellen, in dem ich mich befinde? Allmählich wurde mir klar, dass jede sehr schlechte, sehr dumme Tragödie auch unerhörte Momente einer Komödie, ja fast einer Farce enthält. Jeder, der in einem Polizeistaat gelebt hat, wird das wissen. Diejenigen, die über dich herrschen, können auch zum Erschrecken komisch sein – solange du nicht vor Lachen stirbst.
Als ich in den 1960er und 1970er Jahren anfing, mein Land in Gedichten und Geschichten zu beschreiben, fanden die Erfinder der grundlegenden rassistischen Absurditäten, die unser Alltagsleben bestimmten, das gar nicht komisch. Die Ära der Apartheid in Südafrika war, so dachten wir damals, das ultimative Zeitalter der Zensur, des Hausarrests, der Verbannung, der Gefängnisstrafen und des Exils – eine Zeit, in der die Ächtung von Büchern und Menschen an der Tagesordnung war.
Es gab Paradoxien, mit denen man umgehen musste.
Das weiße nationalistische Regime war schon auf den ersten Blick ganz offensichtlich eine Bande rassistischer Desperados, deren Barbarei nur von ihrer Dummheit übertroffen wurde. Aber obwohl das Regime allmächtig war, war es auch sehr empfindlich. Und es erwies Schriftstellern die höchste Ehre, indem es ihre Bücher ernst nahm. Ich kannte junge Dichter, die unter den Zensoren mehr Leser hatten als in der breiten Öffentlichkeit. Unsere Zensoren bildeten einen so genannten Publikationsausschuss, nicht mit dem Ziel, etwas zu veröffentlichen, sondern um Bücher zu unterdrücken, die als gefährlich galten.
Gedichte wurden verboten, Werbung und alles Mögliche andere, von Verpackungen für Nylonstrümpfe bis hin zu Filmen und Theaterstücken, und natürlich kamen auch viele Menschen auf die Liste. Für das, was man sagte, las, schrieb oder glaubte, konnte man mit einem Verbot belegt oder unter Hausarrest gestellt werden. Unsere Liste der verbotenen Bücher wurde nur von dem im Vatikan geführten Index übertroffen. Allein schon der Titel konnte Probleme bereiten. Martin Bubers Sammelband theologischer Schriften Between Man and Man wurde verboten, weil es sich dabei, so lächerlich das klingt, womöglich um eine homosexuelle Abhandlung handelte. Aber man durfte nicht sagen, wie lächerlich das alles war. Dies war strafbar und erfüllte den Tatbestand – ich zitiere – „der Beleidigung, Herabsetzung und Abwertung“ unserer Zensoren. Ob Sie es glauben oder nicht, das Apartheidregime versuchte, das Lachen zu verbieten.
In den 1960er Jahren gründete ich die kleine Literaturzeitschrift Bolt. Ich veröffentlichte Gedichte und Geschichten von schwarzen, weißen und braunen Schriftstellern, die in Townships wie Soweto bei Johannesburg lebten, sowie Werke von exilierten Südafrikanern im Ausland und einigen gefeierten afrikanischen Dichtern wie Léopold Senghor aus dem Senegal. Diese ethnisch vielgestaltige Literatur missfiel den von ethnischer und stammesmäßiger Reinheit besessenen Apartheid-Ideologen. Es begann die übliche Überwachung. Wir wurden ausspioniert, Briefe wurden geöffnet und Telefone abgehört. Ich war weiß, und deshalb war die Reaktion der Behörden weit weniger unangenehm als der Druck auf schwarze Schriftsteller. In den 1950er und 1960er Jahren verloren wir eine ganze Generation bemerkenswerter junger schwarzer Schriftsteller. Sie gingen ins Exil und verfielen in Schwermut und Verzweiflung.
Einer dieser Exilanten war Nat Nakasa aus meiner Heimatstadt Johannesburg, der fast so alt war wie ich. 1965 stürzte er aus dem Fenster eines New Yorker Hochhauses in den Tod. Vor ein paar Jahren hatte ich das Glück, in einem von der Carnegie Hall beauftragten Theaterstück mit Musik an sein Leben im Exil erinnern zu dürfen. Es heißt, Nakasa sei an Depressionen gestorben, aber ich glaube, das Heimweh hat ihn umgebracht. Joseph Roth, ein Schriftsteller, der das Exil aus eigener Erfahrung kannte, schrieb über die von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs heimkehrenden Soldaten: „Ein großes Heimweh geht von ihnen aus, die Sehnsucht vorwärtstreibt und eine verschüttete Erinnerung an Heimat.“
In den 1970er Jahren geriet ich erneut in Konflikt mit der südafrikanischen Zensur, als die Ausstrahlung meines satirischen Selbstgesprächs „Kobus Le Grange Marais“ im Radio verboten wurde. Der Sprecher in dem Gedicht, ein alter, behinderter Eisenbahnarbeiter, sitzt auf dem Hocker einer Bar in Pretoria und beschwert sich bitterlich über Schwarze, Juden, englische Liberale und sogar Afrikaaner, die sein Leben ruinieren, weil sie den Anforderungen der Apartheid, der vollständigen Rassentrennung von der Geburt bis zum Tod, nicht gehorchen. Wir hatten kein Fernsehen, es war gleichfalls vom Regime verboten worden. Der Rundfunk war das wichtigste Medium, um unsere Ansichten im ganzen Land zu verbreiten. Aber mein satirisches Gedicht überschritt die Grenzen des Anstands und wurde, wie so vieles, dem Vergessen anheimgegeben. Mich ergriff ein Gefühl der Unruhe. Ich war jung und wollte etwas von dem sehen, was wir in jenen fernen Tagen „die Welt da draußen“ nannten. Und so beantragte ich 1975 einen Reisepass. Das war ein Fehler, denn es führte dazu, dass er mir entzogen wurde und ich seit fast fünfzig Jahren erfolglos versuche, ihn zurückzubekommen.
Das Apartheid-Regime betrachtete einen Reisepass als Privileg und nicht als Recht, und mein Antrag im Jahr 1975 wurde abgelehnt. Glücklicherweise hatte ich aufgrund der irischen Herkunft meines Großvaters die Möglichkeit, die irische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Doch ein Regierungsvertreter teilte mir offiziell mit, dass ich meine südafrikanische Staatsbürgerschaft verlieren würde, wenn ich einen ausländischen Pass benutzte. Ich könnte zwar einen südafrikanischen Pass erhalten, aber nur unter einer Bedingung: Sobald ich Südafrika verließ, würde ich ohne Sondergenehmigung nicht mehr zurückkehren können.
Also ging ich mit meinem südafrikanischen Pass und einer so genannten „Ausreisegenehmigung“ nach London. Ich nahm trotzdem die irische Staatsbürgerschaft an und reise seither als irischer Staatsbürger. Ich bin sehr dankbar für dieses Geschenk, aber das Ganze hat etwas Absurdes. Wie jeder weiß, der meine Bücher liest, bin ich Südafrikaner, meine Familie lebt seit mehreren Generationen in dem Land, und je älter ich werde, desto südafrikanischer scheine ich zu werden.
Im London der 1970er Jahren fühlte ich mich paradoxerweise gar nicht so weit von zu Hause entfernt.
Denn London war der Ort, an dem viele südafrikanische Exilanten warteten und beobachteten und hofften. Ich wohnte nicht weit von Oliver Tambo entfernt, der den Afrikanischen Nationalkongress (ANC) im Exil leitete, als Mandela noch im Gefängnis war. Einige dieser Exilanten kehrten eines Tages nach Hause zurück und übernahmen die Führung des neuen Südafrika. Mit den ANC-Exilanten, die einen schwarzen Nationalismus predigten, war ich nicht immer einverstanden. Für mich war dieser Nationalismus keine Ideologie, sondern eine Krankheit. Wie der weiße Nationalismus. Aber die besten Exilanten, die ich kannte, glaubten vor allem daran, dass wir, sollte jemals ein neues, demokratisches Südafrika entstehen, nie wieder der blinden Obsession bezüglich Race, Hautfarbe und ethnischen Abstammungslinien erliegen würden, die dem alten Südafrika zum Verhängnis wurde. Dieser Glaube hat sich als eine Illusion erwiesen.
In den späten 1970er Jahren, als ich in London lebte, wurde mein erster Roman, A Separate Development, „Eine getrennte Entwicklung“, in Südafrika veröffentlicht. Der Titel ist einer der Euphemismen, die das Regime anstelle von „Apartheid“ verwendete. Der Roman ist die satirische Geschichte eines Jungen, der sich nie sicher ist, welche Hautfarbe er wirklich hat. Oder haben sollte. Ein Junge, der die falsche Eisenbahnbrücke überquert und schwarz wird. Mein Roman wurde in Südafrika fast umgehend verboten, alle Exemplare wurden aus den Buchläden entfernt, und es war strafbar, ihn zu lesen. Da wusste ich, dass mein Aufenthalt im Exil nicht von kurzer Dauer sein würde.
Mein zweiter Roman, Kruger’s Alp (Krügers Alp),gleichfalls eine Satire, die auf John Bunyans klassischer Erzählung The Pilgrim’s Progress (Die Pilgerreise) basierte, erschien in den 1980er Jahren. Er wurde in Südafrika zwar nicht verboten, aber wer ihn besaß, wurde von der Sicherheitspolizei, dem Äquivalent zur Stasi in der DDR, aufgefordert, sich seiner zu entledigen. In den 1980er Jahren begann ich, verschiedene Länder mit repressiven Regimen zu bereisen. Das tat ich deshalb, weil sie mir vertraut waren. Ich reiste nach Simbabwe, in die Deutsche Demokratische Republik und später nach Moskau und nach Serbien zur Zeit der Kriege, die den Zerfall Jugoslawiens zur Folge hatten. Ich war in Vietnam, Laos und Kambodscha – Länder, die allmählich aus der langen Nacht sozialistischer Anmaßungen erwachten.
Ich schrieb über ihren traurigen, in Monotonie erstarrten und verarmten Wortschatz und die zum Verwechseln ähnlichen Rituale repressiver Regime und ihrer Apparatschiks. Ich schrieb über den kläglichen theatralischen Pomp, den Autokraten nutzen, über die Kostüme aus ein und demselben Requisitenfundus, die immer gleichen Schauspieler in den immer gleichen Masken, bestimmt für die immer gleiche Bühne. Das Wesen der Autokratie ist die Mimikry, und ihre Inszenierungen sind oft von düsterer Komik. Aber ich wollte sie aus der Nähe sehen, vielleicht weil ich eine ähnliche Theaterinszenierung in Südafrika gesehen hatte. Meine Reisen in Länder mit üblen Regimen waren eine Art Heimkehr. Ich teilte nicht die marxistisch grundierte Begeisterung für einige dieser Regime, die manche meiner Londoner Mitexilanten hegten.
In den späten 1980er Jahren begann das alte südafrikanische Regime zu begreifen, dass Dichter, Maler und Romanautoren nicht im Begriff waren, die Revolution anzuzetteln. Ich wurde von britischen und anderen ausländischen Zeitungen beauftragt, für ein Publikum im Ausland über die Menschen und die Politik Südafrikas zu schreiben und über das Ende der Apartheid zu berichten. Ich erhielt eine Sondererlaubnis, um nach Hause zurückzukehren, jedoch nur als Besucher, nicht als Staatsbürger, und die Dauer des Besuchs war begrenzt. Ich trug immer das Stück Papier bei mir, in dem bestätigt wurde, dass ich Südafrikaner war, mit einem irischen Pass reiste und eine Aufenthaltserlaubnis für einen bestimmten Zeitraum besaß. Dies führte manchmal zu bizarren Missverständnissen. Einmal beglückwünschte man mich für mein Afrikaans, die Sprache, die ich seit meiner Kindheit spreche. „Wie kommt es, dass ein Ire unsere Sprache spricht?“, wurde ich gefragt. „Wir werden Ihnen trotzdem einen Übersetzer mitgeben, nur für den Fall, dass Sie nicht verstehen, was vor sich geht.“
In den 1990er Jahren wurde Nelson Mandela aus dem Gefängnis entlassen.
Wandel lag in der Luft. Ich beantragte erneut – und erneut erfolglos – die Rückgabe meiner Staatsbürgerschaft. Mandela setzte sich für Meinungsfreiheit und gegen die Zensur ein. Im Jahr 1994 erklärte er in einer Rede: „Kein Einzelner, kein Meinungsorgan, keine politische oder religiöse Doktrin, keine politische Partei oder Regierung kann ein Monopol auf die Wahrheit beanspruchen.“
Etwa zur selben Zeit, als sich Mandela so nachdrücklich für die freie Meinungsäußerung aussprach, veröffentlichte ich in einer britischen Zeitung ein Porträt meiner Heimatstadt Johannesburg, in dem ich darauf hinwies, dass die Gewaltbereitschaft in Südafrika so groß war wie eh und je. Jeder, der Johannesburg kannte, wusste sofort um die Wahrheit dieser Aussage. Ich wurde von neu eingetroffenen ANC-Diplomaten in London als pessimistischer, unpatriotischer und un-südafrikanischer Beobachter verurteilt. Es war alles genau wie früher, so dass ich erneut Heimweh bekam.
Kurz nach der Wahl Mandelas zum Präsidenten vertonte ein populärer südafrikanischer Sänger in Kapstadt mein kleines Gedicht „Kobus Le Grange Marais“, das ich vor vielen Jahren geschrieben hatte. Er war so unklug, es auf seiner neuen CD zu veröffentlichen, und prompt wurde es wieder verboten. Doch diesmal wurde das Verbot von ANC-Apparatschiks ausgesprochen, die jetzt den staatlichen Rundfunk kontrollierten. Und sie taten es aus denselben Gründen, aus denen die alten Apparatschiks der Apartheid das Gedicht fünfundzwanzig Jahre zuvor verboten hatten. Man fragte mich, wie ich mich dabei gefühlt hätte zu erleben, dass meine Worte sowohl im alten als auch im neuen Südafrika unterdrückt wurden? Eigentlich ziemlich nostalgisch.
Das heutige Südafrika hat sich von Mandelas Bekenntnis zum Primat der freien Meinungsäußerung verabschiedet. Am 6. Dezember 2023 unterzeichnete die ANC-Regierung ein Gesetz, das sie „Prevention and Combating of Hate Crimes and Hate Speech Bill“ (Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Hassverbrechen und Hassreden) nannte. Ein ganz schöner Zungenbrecher, nicht wahr? Kritiker haben darauf hingewiesen, dass das neue Gesetz nicht Hassrede verurteilt, sondern die Rede, die bestimmte Menschen als hasserfüllt empfinden. Das ist etwas völlig anderes. Heute kann man in Südafrika strafrechtlich verfolgt werden, „wenn man sich über den Begriff, über konkrete Hassdelikte oder über Opfer von Hassverbrechen lustig macht, selbst dann, wenn auf einem Bild oder in dem, was man schreibt, keine reale Person dargestellt ist“.
Südafrikanische Journalisten wurden verbal und körperlich von Politikern angegriffen, die sich an ihrem Geschlecht, ihrer Race und ihrer Berichterstattung störten. Sie wurden sexuell belästigt, als Satanisten gebrandmarkt, beschimpft und geschmäht. Ich weiß, dass solche Angriffe auf die Meinungsfreiheit nicht auf Südafrika beschränkt sind, es gibt sie überall auf der Welt. Der grundlegende Unterschied heute ist, dass diese Angriffe oft von denen ausgehen, die einst das Verbot von Büchern abgelehnt und die Freiheit, zu sagen, was man denkt und glaubt, befürwortet haben.
Wenn man – leicht abgewandelt – Heinrich Heines bange Prophezeiung bezüglich derer zitiert, die Bücher verbrennen, könnte man sagen, dass diejenigen, die Bücher verbieten, früher oder später auch Menschen verbieten werden. Südafrika ist dafür ein klassisches Beispiel. Der Drang zu kontrollieren, was Menschen sagen und denken, geht Hand in Hand mit einem wachsenden Hass auf Flüchtlinge und Exilanten, von denen viele nach dem Ende der Apartheid ins Land kamen. Einige sind Wirtschaftsmigranten, andere politische Exilanten, und oft kann niemand den Unterschied erkennen. Simbabwer, Ruander, Kenianer, Malawier und Kongolesen sind leichte Beute, gejagt von uniformierten Schlägerbanden, die verlangen, dass diese Eindringlinge „nach Hause gehen“. In den letzten zehn Jahren hat meine alte Universität, die Witwatersrand-Universität in Johannesburg, die fatalen Kosten dieser gewalttätigen Fremdenfeindlichkeit untersucht. Die Zahl der Getöteten geht in die Hunderte; mehrere Tausend Geschäfte und Unternehmen, die Expatriierten gehören, wurden geplündert; mehr als hunderttausend Menschen wurden aus ihren Häusern vertrieben. Neue politische Parteien verfolgen als einzige Agenda die Ausweisung von Ausländern.
Als weitere Maßnahme hat die südafrikanische Regierung politischen Exilanten den Asylstatus entzogen. Wer sich an politischen Aktivitäten im Zusammenhang mit seinem Heimatland beteiligt, kann „nach Hause“ geschickt werden – ein Wort, das afrikanischen Exilanten, die in Südafrika Schutz suchen, Angst einjagt. Es sind Exilanten, die oft aus Ländern stammen, die unseren eigenen Exilanten während der Apartheid Zuflucht gewährten. Die kafkaesken Paradoxien Südafrikas nehmen kein Ende.
Manchmal werde ich gefragt, warum ich nicht nach Südafrika zurückkehre, um dort zu leben.
Natürlich sehne ich mich nach der Heimat. Welcher Exilant tut das nicht? Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich mir diese Frage nicht stelle. Aber ich kann nur als Tourist nach Südafrika kommen. Trotz zahlreicher Versuche habe ich meine Staatsbürgerschaft nicht zurückerlangt. Ich weiß, dass diese lange Verweigerung keine persönlichen Gründe hat; sie unterliegt der Gleichgültigkeit, Korruption und bürokratischen Unfähigkeit der meisten staatlichen Stellen in Südafrika.
Die ANC-Regierung ist in Südafrika seit dreißig Jahren ununterbrochen an der Macht. Sie hat nur wenig erreicht, und die allgemeine Stimmung im Land grenzt an Verzweiflung. In einem kürzlich erschienenen Buch, The Cafe de Move-On Blues, habe ich den Niedergang des grundlegenden Glaubens an den Nicht-Rassismus beschrieben, der dem ANC im Exil als heilig galt. Heute ist Race erneut das Maß aller Dinge. Ich schreibe darüber, und ich bin nicht besonders überrascht, wenn es nicht auf Gegenliebe stößt.
Bei den Parlamentswahlen in diesem Jahr wurde dem regierenden ANC von einer großen Zahl von Wählern und sehr vielen seiner traditionellen Unterstützer eine Absage erteilt. Und das zu Recht. Der ANC führte einen Wahlkampf, in dem überbezahlte Parteifunktionäre durch bettelarme schwarze Siedlungen rasten und T-Shirts mit Parteislogans aus den Fenstern ihrer kugelsicheren Limousinen warfen. Das war unser Marie-Antoinette-Moment. Wenn die Armen keine Arbeit, kein Essen und keine Unterkunft haben, dann sollen sie T-Shirts haben …
Also warte ich. Aber ich sehe auch, warum es gut ist, Abstand zu halten. Das Exil bietet einen weiten Blick und manchmal eine klare Sicht auf ein sehr kompliziertes Heimatland. Mich tröstet eine Bemerkung von Vladimir Nabokov, dem großen Schriftsteller der Exilanten, der nie nach Russland zurückkehrte. „Wenn ich einer Sache sicher bin“, schrieb er, „dann der, dass ich die Freiheit meines Exils niemals gegen die abscheuliche Parodie der Heimat eintauschen werde.“
Ich bin sehr dankbar für die Gelegenheit, meine Gedanken und Gefühle bezüglich meines halben Jahrhunderts im Exil zu äußern. Diese „Tage des Exils“, die hier in Bonn stattfinden, sind phantasievoll, tröstlich und äußerst notwendig. Sie sind tröstlich, weil sie dieses Loch im Herzen thematisieren, das jeder Exilant kennt, nur allzu gut kennt. Und sie sind notwendig, weil sie die Aufmerksamkeit auf das nicht enden wollende Exil so vieler lenken, die von ihrer Heimat so weit entfernt leben. Vielen Dank.
(Übersetzung: Rita Seuß)