Sara Maghmumy

„Ein Teppich gehört zum Leben“

Foto: Caroline Schmidt-Gross

Der neue, von der Körber-Stiftung geförderte Steinerne Orientteppich des Bildhauers Frank Raendchen erinnert an die Tradition des Teppichhandels in der Hamburger Speicherstadt. Für viele Menschen geht die Bedeutung eines Teppichs weit darüber hinaus. Sara Maghmumy, im Iran geborene Hamburgerin, erzählt aus ihrem Teppichalltag.

Es gibt Menschen die sagen: „Im Orient gehören die Teppiche zum Leben dazu wie Wasser und Brot.“ Das Problem ist nur, die dicken, schweren Textilien kann man nicht einfach so unter den Arm klemmen und mitnehmen. Eine schmerzliche Erfahrung, die auch Sara Maghmumy machte. In den 90er Jahren musste sie als junge Frau mit nur einem kleinen Rucksack Hals über Kopf den Iran verlassen. Nach einer langen Odyssee landete sie schließlich als Flüchtling in Deutschland. Inzwischen lebt sie nun schon über 25 Jahre in Hamburg und hat ihre eigene Zahnarztpraxis.

In ihrer Jugend wohnte Sara Maghmumy mit ihrer Familie in Gonbad, der Hauptstadt, des turkmenischen Teils im Iran. „Ich weiß noch, wie ich früher morgens von der Musik der Teppichknüpferinnen aufgewacht bin“, erinnert sie sich. „Sie haben mit ihren Kämmen auf die stramm gespannten Kettfäden geklopft – wie bei einem Hackbrett – und dazu gesungen.“ Es waren traurige Lieder, denn die Arbeit war sehr hart. Speziell in Turkmenistan sitzen die Frauen auf dem Boden, und der Webstuhl liegt vor ihnen, so dass sie sich beim Knüpfen über den Rahmen beugen müssen.

Wenn Sara Maghmumy von der Schule nach Hause kam, sah sie die Frauen in ihren bunten Kleidern, die Kopftücher im Nacken geknotet, die Ärmel hochgekrempelt in den Höfen, wie sie in riesigen Töpfen mit einem enormen Körpereinsatz die Wolle gefärbt und die Fäden gedreht haben. „Das war eine Zeremonie. Aber ich habe mich immer gefragt, wie schaffen die das?“, sagt Maghmumy. Die Farben stammten oftmals von Gemüse- oder Obstschalen wie beispielsweise vom Granatapfel. „Auch ich konnte früher Teppiche knüpfen“, erklärt Maghmumy. „Das war ganz selbstverständlich. Jedes Mädchen konnte das.“ Sie besaß damals viele kleine Geldbörsen und Täschchen, die ihre Freundinnen selbst hergestellt hatten.

Auf den Teppichen wurde gesessen und gegessen. Möbel gab es nur in den Gästezimmern – und die waren verschlossen. Als Sara Maghmumy ihren Mann, einen Turkmenen, heiratete, wurde sie bei der Hochzeit in viele traditionelle turkmenische Tücher und Textilien gewickelt. Teppiche gab es als Mitgift, sie gehörten zum Leben einfach dazu.

„Ich bin damals mit Turkmenen zur Schule gegangen, ich war bei ihnen zuhause, und ich habe gesehen, dass fast alle Frauen Wunden an den Fingern hatten“, erzählt Maghmumy. Und sie erinnert sich, dass ihr Vater darüber Gedichte geschrieben hat, in denen es sinngemäß hieß: Die rote Farbe der Teppiche ist das Blut der hübschesten Mädchen in diesem Land. Jeder, der darüber geht, sollte sich daran erinnern, woher die Farbe in Wirklichkeit kommt.

Ihr Vater war es aber auch, der bei seinem ersten Besuch in Deutschland, als er ihre Wohnung betrat, die Hände über dem Kopf zusammenschlug, mit der Zunge schnalzte „ts, ts, ts“ und rief: „Meine Tochter hat keine Perserteppiche, das geht nicht.“ Als Erstes kaufte Sara Maghmumy in der Speicherstadt einen Teppich für ihren Sohn, so wie es der Tradition entspricht. Er lag viele Jahre in ihrem Wohnzimmer unter dem Couchtisch. Erst als ihr Sohn vor zwei Jahren sein Examen bestanden hatte, durfte er ihn mit in seine eigene Wohnung nehmen.

Ebenso selbstverständlich war es, dass ihr Sohn im Alter von elf Jahren, als er das erste Mal seine Großeltern in Gonbad besuchte, einen Teppich geschenkt bekam. „Sie sind gleich mit ihm auf den Bazar gegangen“, lacht Maghmumy. „Das war ein Erlebnis für ihn, weil er diesen Brauch, als Kind in Deutschland aufgewachsen, gar nicht kannte.“

Inzwischen hat Sara Maghmumy genügend Teppiche. Und jedes Stück hat seine eigene Geschichte. Der eine ist von ihrer Großmutter, der andere von einer Tante aus dem Nordiran, zwei weitere hat ihr Bruder mitgebracht als Ausgleich für die vielen Teppiche, die sie in ihrem Elternhaus zurücklassen musste. Ihr Résumé heute: „Es ist gut Teppiche zu haben, nicht nur als Polster für die Füße, sondern auch als ein Stück Heimat für die Seele.“