Ausstellungsexponat: Selbstgemachte Schnur von Friedrich Krause zum Schneiden von Brot, Karagandinski Lager, Kasachstan

Foto: MEMORIAL

DAS ANDERE RUSSLAND – Ausstellung zu MEMORIAL in Weimar

„Erinnerung an Gewalt kann man nicht vernichten“, sagt die Historikerin und Germanistin Irina Scherbakowa, Vorsitzende von Zukunft MEMORIAL e.V. Zusammen mit ihrem Kollegen Philipp Dzyadko und mit Volkhard Knigge, ehemaliger Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, hat sie die Ausstellung DAS ANDERE RUSSLAND – MEMORIAL: Der Kampf um historische Wahrheit und Demokratie kuratiert. Am 21. August 2024 wurde die Ausstellung im Bauhaus Museum Weimar eröffnet.

Die Ausstellung setzt ein öffentliches Zeichen für die Fortsetzung des Engagements von MEMORIAL für ein demokratisches Russland auch unter schwierigen Bedingungen. Sie unterstreicht die Bedeutung dieses Engagements für ein friedliches und demokratisches Europa.
In der aktuellen Situation, die nicht zuletzt von russischer Desinformation zur Legimitation des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Ukraine gekennzeichnet ist, soll die Ausstellung der russischen Propaganda Fakten entgegensetzen und zur Aufklärung beitragen. Sie ist das erste überregional sichtbare Projekt der Organisation in der erzwungenen Emigration in Deutschland.
MEMORIAL wurde im Februar 2022 in Russland unrechtmäßig liquidiert. Aus Sicherheitsgründen mussten viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Organisation aus Russland fliehen. Seitdem setzt MEMORIAL seine Arbeit u.a. aus dem Berliner Exil heraus mit dem 2023 gegründeten Verein Zukunft MEMORIAL fort. Die Körber-Stiftung unterstützt Zukunft MEMORIAL dabei, vom Standort Berlin aus als Teil des internationalen MEMORIAL-Netzwerks weiterhin aktiv zu sein.
„Die Ausstellung setzt ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass MEMORIAL sich nicht einschüchtern lässt und trotz allem die Arbeit für ein demokratisches Russland fortsetzt. Wir zeigen, dass es trotz brutaler Repression und zahlreicher Kriegsverbrechen immer noch ein anderes Russland gibt, dass unsere Solidarität braucht“, so MEMORIAL-Mitgründerin Scherbakowa.

Die 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Menschenrechts- und Geschichtsorganisation MEMORIAL kämpft seit Ende der 1980er Jahre für die Aufarbeitung der Verbrechen des Stalinismus, die Dokumentation von Repression und politischer Gewaltherrschaft in der Sowjetunion und in Russland sowie die Rehabilitation der Opfer und die Unterstützung der Überlebenden des sowjetischen Arbeitslagersystems GULag. In Russland richtete die Organisation über 20 Jahre lang den landesweiten Geschichtswettbewerb für Kinder und Jugendliche aus und gehört zu den Gründungsmitgliedern des EUSTORY-Netzwerks der Körber-Stiftung. Darüber hinaus setzt sich MEMORIAL auch gegen aktuellen Rechtsextremismus und für Demokratie und Menschenrechte in Russland ein, dokumentiert russische Kriegsverbrechen und gehört zu den schärfsten Kritikern des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Die Ausstellung würdigt den gefährlichen Einsatz für Menschenrechte und historische Aufarbeitung. Scherbakowa: „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden wegen ihres mutigen Einsatzes für die Menschenrechte bedroht, entführt, verhaftet und sogar getötet.“

Originale Zeugnisse von Repression und Widerstand aus den Sammlungen und Archiven MEMORIALs bildeten das Herz der Ausstellung. So zeigt sie u.a. Briefe, Zeichnungen, Kleidungsstücke und selbstgebastelte Puppen von Häftlingen – Zeugnisse des Versuchs, die menschliche Würde in der täglichen Hölle des GULag-Systems zu bewahren.

Koffer mit Briefen aus den Haftlagern des GULag-Systems
Koffer mit Briefen aus den Haftlagern des GULag-Systems Foto: MEMORIAL

Ein besonderes Exponat ist die einsaitige Geige, die der Häftling Michail Goworjonkow 1944 im Haftlager aus Sperrholz, Draht und ein paar Nägeln baute. Nach seiner Freilassung schenkte er die Geige seiner Nichte Natascha, die in Moskau einen Austauschstudenten aus der DDR heiratete und Anfang der 1960er mit ihm nach Dresden ging. 2002 wurde die Geige während des Jahrhunderthochwassers beschädigt, zum Trocknen auf einen Dachboden gebracht – und geriet in Vergessenheit. Erst 2023, nach Nataschas Tod wurde sie von ihrem Sohn Andrej Meyer gefunden und an MEMORIAL übergeben. In Weimar erzählt die Geige vom Leid und vom Widerstand gegen die Entmenschlichung und gibt den Opfern politischer Gewalt Gesicht und Namen.

Geige aus dem Besitz von Michail Goworjonkow; Lager: Bogoslawlag, Swerdlowsk, 1944-1954; 2013 von seinem Großneffen, Andrej Meyer, an MEMORIAL übergeben
Geige aus dem Besitz von Michail Goworjonkow; Lager: Bogoslawlag, Swerdlowsk, 1944-1954; 2013 von seinem Großneffen, Andrej Meyer, an MEMORIAL übergeben Foto: MEMORIAL

Die Ausstellung DAS ANDERE RUSSLAND findet unter der Schirmherrschaft von Carsten Schneider, Staatsminister und Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland, im Rahmen des Kunstfest Weimar statt. Sie ist dort noch bis zum 6. Januar 2025 im Bauhaus Museum zu sehen.

Der Menschenrechtsaktivist Oleg Orlow, der Anfang August im Rahmen des Gefangenenaustauschs zwischen Russland und Deutschland freikam, nahm als Ehrengast an der Eröffnung teil. Orlow ist Gründungsmitglied und Co-Vorsitzender des Menschenrechtszentrums von MEMORIAL. Zusammen mit Irina Scherbakowa sprach er am 3. September 2024 im KörberForum über Protest und Widerstand in Russland.

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