
Foto: Marcus Gloger/Körber-Stiftung
Stephanie Wehner erhält Körber-Preis 2025
Die deutsche Informatikerin und Quantenphysikerin Stephanie Wehner erhält den Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft. Die mit einer Million Euro dotierte Auszeichnung würdigt ihre wegweisende Arbeit zum Quanteninternet – einem ultraschnellen und extrem sicheren Computernetzwerk, das ganz neue Anwendungen und Rechenleistungen ermöglicht. Künftig könnten damit Daten abhörsicher übertragen werden und Anwender in Rekordzeit vernetzt gemeinsam Probleme lösen, die weit über die Grenzen des heutigen Internets hinausgehen. Die Ehrung fällt in das von den Vereinten Nationen ausgerufene Jahr der Quantenforschung zum hundertjährigen Jubiläum der Quantenmechanik.
Pionierarbeit für das Quanteninternet
Text: Sharon Ann Holgate
Stephanie Wehner ist Pionierin auf dem Gebiet der Quanten-Netzwerke. Die deutsche Physikerin und Informatikerin hat mit QNodeOS das erste Betriebssystem für Quantencomputernetzwerke entwickelt – ein Meilenstein auf dem Weg zu einem Quanteninternet, das unsere Art zu kommunizieren grundlegend verändern wird: Es verspricht ein deutlich höheres Maß an Cybersicherheit für persönliche Daten und finanzielle Transaktionen. Dank Wehners Arbeit können Netzwerke aus Quantencomputern beliebiger physikalischer Bauweise nun so programmiert werden, dass sie gezielte Aufgaben erfüllen – ohne dass die Nutzerinnen und Nutzer detaillierte Kenntnisse über die zugrunde liegende Quantenhardware besitzen müssen. Aufbauend auf dieser Forschung plant die Körber-Preisträgerin, neue Anwendungen zu identifizieren, die ein kleinmaßstäbiges Quanten-Netzwerk innerhalb des kommenden Jahrzehnts für Industrie und Wissenschaft praktisch nutzbar machen.
„Mein Ziel ist es, die ultimative Kommunikationsform der Natur – die Quantenkommunikation – für alle nutzbar zu machen“, sagt Stephanie Wehner, Antoni-van -Leeuwenhoek-Professorin für Quanteninformation an der Technischen Universität Delft in den Niederlanden und Trägerin des mit einer Million Euro dotierten Körber-Preises für die Europäische Wissenschaft 2025.

Marc Blommaert for QuTech 
Marcus Gloger/Körber-Stiftung 
Marcus Gloger/Körber-Stiftung
Abbildungen:
(1) Ein Blick ins Innere des Quantencomputers: Der Kryostat kühlt das System bis nahe an den absoluten Nullpunkt – nur unter diesen extremen Bedingungen gelingt es, die empfindlichen Qubits besser zu kontrollieren.
(2) Quantenbits sind kurzlebig und instabil. Sie erfordern hochpräzise Messungen, die Stephanie Wehner und ihr Team im Quantum Network Explorer lab des QuTech-Instituts durchführen.
(3) Optisches Quanten-Netzwerk-Testsystem im Labor von QuTech: Hier entstehen Technologien, die völlig neue Formen der Vernetzung ermöglichen sollen.
Wehner ist zugleich Direktorin der Europäischen Quanten-Internet-Allianz (QIA) – ein Zusammenschluss von 42 Partnern, darunter 12 akademische Institutionen. Sie verfolgt das Ziel, bis zum Jahr 2030 ein Quanten-Netzwerk zu realisieren, das zwei Metropolregionen in mehreren Hundert Kilometern Entfernung miteinander verbindet. Dieses Prototyp-Netzwerk basiert auf ihrer aktuellen Entwicklung des Betriebssystems QNodeOS, das es ermöglicht, Anwendungen gezielt für Quantencomputer zu entwickeln und auf miteinander vernetzten Quantenrechnern auszuführen. Der entscheidende Fortschritt liegt darin, dass QNodeOS es Anwenderinnen und Anwendern erlaubt, Quantencomputer zu nutzen, ohne tiefgehende Kenntnisse in Quantenphysik oder Ingenieurwissenschaften besitzen zu müssen. So wie heute niemand IT-Expertise braucht, um online einzukaufen, schafft Wehners Betriebssystem die Grundlage dafür, dass ein zukünftiges Quanteninternet einer deutlich breiteren Nutzergruppe offensteht.
„Ich arbeite an der Schnittstelle von Physik und Informatik, und in den vergangenen zehn Jahren drehte sich meine Forschung im Wesentlichen um eine Art ‚Mondmission‘: den Aufbau eines Quanteninternets“, erklärt Wehner. „Wir wollen aus Wissenschaft Technologie machen. Eine der zentralen Fragen lautete daher: Wie kann man Programme in einem solchen Netzwerk ausführen?“ Die Antwort darauf zu finden sei eine große Herausforderung für ihr Team gewesen. „Wir haben viel Zeit investiert, herauszufinden, wie man solche Systeme überhaupt programmierbar machen kann“, sagt sie. Ohne Betriebssysteme, so Wehner, wären unsere Handys oder Computer vollkommen nutzlos.
„Computer wurden erst dann wirklich nützlich, als es möglich wurde, Programme für sie zu schreiben. Innovation hängt nicht nur von Hardware ab – entscheidend ist auch, dass Software darauf laufen kann. Deshalb bin ich sehr begeistert, dass wir mit QNodeOS das erste Betriebssystem für Quanten-Netzwerke geschaffen haben, mit dem Nutzende eigene Programme schreiben können – ohne Expertin oder Experte für Quantenhardware sein zu müssen“, betont sie. Sie beschreibt QNodeOS als eine Art Umrisszeichnung in einem Malbuch: „Was mich aus wissenschaftlicher Sicht besonders fasziniert: Mit QNodeOS haben wir ein Rahmenkonzept geschaffen, um zu verstehen, wie Anwendungen in einem Quanten-Netzwerk überhaupt laufen können. Aber wie bei allen neuen Dingen ist es nicht perfekt – im Gegenteil: Es wirft nun ganz neue Fragestellungen in der Quanteninformatik auf, die wir zuvor noch nicht bedacht haben. Jetzt, da wir die Konturen gezeichnet haben, können wir anfangen, das Bild auszumalen – indem wir diese Forschungsfragen gezielt angehen.“
„Die Entwicklung von QNodeOS – dem weltweit ersten Betriebssystem für Quanten-Netzwerke – ist ein echter Game Changer für die frühe Adaption der Quantentechnologie“, sagt Artur Ekert FRS, Professor für Quantenphysik an der University of Oxford und Gründungsdirektor des Centre for Quantum Technologies in Singapur. „Diese Innovation spiegelt die Rolle klassischer Betriebssysteme wider, die moderne Computertechnik skalierbar und zugänglich gemacht haben – sie markiert einen echten Paradigmenwechsel in der Quantenkommunikation.“
Wehner betont, dass das zukünftige Quanteninternet nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zum heutigen klassischen Internet gedacht ist. Es soll Aufgaben übernehmen, die mit klassischer Kommunikation nicht realisierbar sind: „Die Vision eines Quanteninternets besteht darin, eine grundsätzlich neue Internet-Technologie bereitzustellen, indem Quantenkommunikation zwischen beliebigen Punkten auf der Erde ermöglicht wird“, erklärt sie.
Die Einsatzmöglichkeiten eines solchen Quanteninternets sind noch nicht vollständig erschlossen, aber zukünftig könnten darunter eine deutlich verbesserte Sicherheit beim Übertragen sensibler Finanz- oder Gesundheitsdaten, der Nachweis, dass unsere Online-Daten tatsächlich gelöscht wurden, das Verbinden entfernter Sensoren – etwa von Teleskopen – zur präziseren Himmelsbeobachtung, oder auch eine Beschleunigung der Reaktionszeiten in Stromnetzen bei Nachfragespitzen gehören. Wehner, die bereits mit mehreren wissenschaftlichen Auszeichnungen geehrt wurde, will das Preisgeld des Körber-Preises gezielt dafür einsetzen, neue Anwendungen jenseits der Datensicherheit zu erschließen, um ein kleines, praxistaugliches Quanten-Netzwerk für Industrie und Wissenschaft innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre nutzbar zu machen.
Aber was genau versetzt Quantencomputer in die Lage, Dienste – insbesondere Methoden der Kommunikation – anzubieten, die für klassische Computer unerreichbar bleiben?
Die Antwort ist in ihrer besonderen Funktionsweise zu finden.

„Innovation hängt nicht nur von der Hardware ab – entscheidend ist auch, dass Software darauf laufen kann. Deshlab bin ich sehr begeistert, dass wir mit QNodeOS das erste Betriebssystem für Quantennetzwerke geschaffen haben, mit dem Nutzende eigene Programme schreiben können – ohne Expertin oder Experte für Quantenhardware sein zu müssen.“
Stephanie Wehner
Die seltsame neue Welt der Quantencomputer
Quantencomputer – und Quantentechnologien im Allgemeinen – verdanken ihren Namen der Tatsache, dass ihre Funktionsweise auf dem Verhalten von Quanten beruht: den kleinsten diskreten Energie- oder Materieeinheiten, die überhaupt existieren können. Diese fundamentale Eigenschaft verleiht Quantentechnologien einige einzigartige Fähigkeiten. So erreichen Quantencomputer beispielsweise eine um ein Vielfaches höhere Verarbeitungsgeschwindigkeit als klassische Computer – und das liegt an der Art, wie sie Informationen speichern. In klassischen Computern, die unser digitales Zeitalter antreiben, repräsentieren winzige Schaltelemente – sogenannte Bits – Daten durch die Zustände 0 oder 1. Ist ein Bit eingeschaltet und trägt eine elektrische Ladung, stellt es eine 1 dar; ist es ausgeschaltet und ungeladen, steht es für eine 0. Datenverarbeitung erfolgt durch das gezielte Umschalten dieser Bits zwischen den beiden Zuständen. Ein Quantencomputer hingegen funktioniert grundlegend anders:
Hier sind die Informationseinheiten sogenannte Qubits (Quantenbits), die sich gleichzeitig in einer Überlagerung – einer Superposition – der Zustände 0 und 1 befinden können. Dadurch lassen sich bestimmte Rechenoperationen massiv beschleunigen. Einige mathematische Probleme lassen sich schon heute mit einem Quantencomputer deutlich schneller lösen als mit herkömmlicher Rechentechnik. Ein eindrucksvolles Beispiel ist Googles 2019 vorgestellter Quantenprozessor Sycamore mit 53 Qubits: Dieser löste eine mathematische Aufgabe mit einer komplexen Zufallssequenz in nur 200 Sekunden – ein klassischer Supercomputer hätte dafür schätzungsweise 10.000 Jahre benötigt. Das Potenzial von Quantencomputern für vielfältige mathematische und rechentechnische Anwendungen ist also enorm. Doch alltagstauglich – etwa für den Einsatz im Büro – sind diese Geräte bislang noch nicht.
Das liegt daran, dass heutige Quantencomputer ganz andere Bauteile nutzen als die klassischen Systeme in Laptops, Tablets oder Smartphones. Anstelle elektronischer Bauelemente wie Transistoren und Kondensatoren setzen diese meist in akademischen Forschungslaboren aufgebauten Maschinen auf ungewöhnliche Architekturen: etwa Ionenfallen, supraleitende Schaltkreise oder aufwendige Laseraufbauten. Jede dieser Technologien ermöglicht für sich genommen beeindruckende Leistungen. Doch die eigentliche Vision ist, diese speziellen Maschinen zu einem Quanteninternet zu koppeln – und damit auch Nutzenden außerhalb der Grundlagenforschung Zugang zu ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten zu ermöglichen.
Ein weiteres faszinierendes Merkmal von Quantencomputern ist ihre Fähigkeit, Datensicherheit zu erhöhen – dank eines scheinbar paradoxen quantenmechanischen Effekts namens Quantenverschränkung. Um diese Verschränkung zu verstehen, ist zunächst wichtig zu begreifen, dass sich Objekte in der Quantenwelt völlig anders verhalten als jene in unserer alltäglichen Erfahrungswelt. Im Bereich der Quantenphysik – also im Mikrokosmos, wo Objekte um ein Vielfaches kleiner sind als der Durchmesser eines menschlichen Haares – geschehen Dinge, die in unserer Alltagswelt wie Magie oder Science-Fiction erscheinen würden.
So würden wir etwa kaum erwarten, dass das Werfen einer Münze in unserer Küche uns augenblicklich das Ergebnis eines gleichzeitigen Münzwurfs auf der anderen Seite des Globus verrät – und das ohne jegliche Kommunikation zwischen den beiden Orten. Doch genau solche Phänomene beobachtet man bei verschränkten Quantenobjekten. Befinden sich zwei Teilchen in einem verschränkten Zustand, sind sie auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden: Sobald eines der Teilchen gemessen wird, verrät diese Messung sofort den Zustand des anderen Teilchens – selbst wenn beide weit voneinander entfernt sind.
Ein solches verschränktes System kann beispielsweise aus zwei Photonen (Lichtteilchen) bestehen, die jeweils eine korrelierte Polarisation aufweisen. Wird nun die Polarisation des einen Photons gemessen, kennt man augenblicklich auch den Polarisationszustand des anderen – ohne dass zwischen ihnen Informationen übertragen wurden. Ein weiteres bemerkenswertes Merkmal der Quantenmechanik: Der gemessene Wert ist rein zufällig – und entsteht erst in dem Moment der Messung. Diese Korrelation echter Zufallsereignisse ohne Informationsaustausch ist das, was Quantenverschränkung besonders nützlich für Anwendungen wie die Quantenkryptographie macht. In der Kryptographie können diese Korrelationen genutzt werden, um Abhörversuche zu erkennen und sichere Verschlüsselungscodes zu erkennen.
Ein herkömmliches Verfahren, um die Kommunikation zwischen Computern zu sichern, erfordert, dass Sender und Empfänger denselben Schlüssel besitzen. Doch: Wer diesen Schlüssel abfängt, kann auch die Nachricht entschlüsseln. Bei der Quantenkryptographie hingegen entsteht der Schlüssel erst durch die Messung der Verschränkung – der Wert ist zufällig und existiert vor der Messung nicht.
In bereits genutzten quantenverschlüsselten Netzwerken klassischer Computer, wie sie unter anderem von Banken oder Telekommunikationsunternehmen eingesetzt werden, übermitteln verschränkte Photonen unmittelbar die Schlüssel zur Datenverschlüsselung – ganz ohne vorherige Schlüsselerstellung. Wird versucht, diesen Quantenschlüssel auszulesen, verändert das den Zustand der Teilchen – ein klarer Hinweis auf einen Abhörversuch.
Verschränkung funktioniert über viele Kilometer hinweg – eine Vorstellung, die Albert Einstein zunächst vehement ablehnte. Gemeinsam mit Boris Podolsky und Nathan Rosen beschrieb er 1935 in einer Publikation den Effekt der Quantenverschränkung, wies ihn aber als physikalisch unmöglich zurück. Später nannte er ihn bekannterweise „spukhafte Fernwirkung“. Doch bereits in den 1980er-Jahren gelang der experimentelle Nachweis, dass Quantenverschränkung real ist. In den folgenden Jahrzehnten wurde Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zunehmend klar, welches enorme Potenzial verschränkte Teilchen für die sichere Informationsübertragung und den Datenschutz bergen – ein Feld, in dem sich Stephanie Wehner bestens auskennt.
Vom ethischen Hacking zur akademischen Forschung
Das Hacking von Computern wird selten positiv bewertet. Doch der berufliche Werdegang von Stephanie Wehner – darunter zwei Jahre als ethische Hackerin beim niederländischen IT-Sicherheitsunternehmen ITSX während ihres Informatikstudiums an der Universität Amsterdam – verschafft ihr eine einzigartige Perspektive auf das Thema digitale Sicherheit. „Hacking ist in gewisser Weise eine sehr reine Form von Wissenschaft, weil man versucht herauszufinden, wie etwas funktioniert, indem man es vollständig erforscht“, erklärt Wehner, die vor ihrem Studium als Netzwerkadministratorin beim niederländischen Internetanbieter XS4ALL tätig war. „Hacken ist immer leichter als etwas sicher zu machen. Denn um ein System zu hacken, reicht es, einen einzigen Fehler zu finden – um es hingegen sicher zu gestalten, muss man sicherstellen, dass es überhaupt keine Fehler gibt.“ Damit betont sie, wie schwer es ist, Computersicherheit praktisch zu erreichen – nicht nur theoretisch. Ihr Hintergrund im Ethical Hacking hilft ihr nach eigener Aussage, eine „angemessen kritische Haltung“ gegenüber der Sicherheit von Computersystemen zu bewahren: „Und außerdem zu verstehen, dass es wichtig ist, Menschen jetzt Zugang zu gewähren, um dieses Sicherheitsversprechen in die Realität umzusetzen. Nicht nur, um eigene Anwendungen zu entwickeln, sondern um ein besseres Verständnis davon zu bekommen, was Sicherheit in der Praxis bedeutet.“
Während ihres Informatikstudiums (BSc und MSc) belegte Wehner auch Physik-Module und verband schließlich beide Disziplinen in ihrer Promotion zur Quantenkryptographie. Zuletzt veröffentlichte sie Forschungsergebnisse zu quantenmechanischen Phänomenen – etwa zur Verknüpfung fundamentaler Konzepte wie Nichtlokalität und der Unschärferelation sowie zur Untersuchung der Auswirkungen der Gravitation auf quantenmechanische Systeme. Darüber hinaus hat sie eine Vielzahl von Studien zur Quanteninformationswissenschaft durchgeführt – darunter die Entwicklung eines Software-Tools, das sämtliche Aspekte von Quantenkommunikationsnetzwerken und modularen Quantencomputersystemen simulieren kann, von der physischen Hardware bis hin zu den darauf laufenden Anwendungen.
„Hacking ist in gewisser Weise eine sehr reine Form von Wissenschaft, weil man versucht herauszufinden, wie etwas funktioniert, indem man es vollständig erforscht.“
„Stephanie Wehner hat entscheidend zur Weiterentwicklung der Quanteninformationstheorie und ihrer praktischen Anwendungen beigetragen“, sagt Peter Zoller, Professor für Theoretische Physik an der Universität Innsbruck. „Sie spielte eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von Protokollen für das Quanteninternet – einschließlich verschränkungsbasierter Kommunikationsmethoden für sichere Datenübertragung über große Distanzen.“ Darüber hinaus habe Wehner, so Zoller, sich auch mit Fragen der Quantenmechanik „an den Grundlagen der Physik“ befasst.
Wehner selbst ist überzeugt, dass ihre fachübergreifende Expertise ihr hilft, ein tieferes Verständnis für ihre Forschungsthemen zu entwickeln – und die vielen verschiedenen Teile des Puzzles zusammenzufügen, die notwendig sind, um Quanten-Netzwerke zu realisieren.
„Die Entwicklung von QNodeOS hat neue Informatikfragen aufgeworfen, die ich vorher nicht wirklich in Betracht gezogen hatte. Zum Beispiel: Wenn man ein Betriebssystem entwickelt, auf dem mehrere Programme gleichzeitig laufen können – wann darf welches Programm auf die Ressourcen des Rechners zugreifen?“ erläutert sie. In klassischen Computersystemen seien nicht alle geöffneten Programme gleichzeitig aktiv; ein Scheduler bestimme, welche Programme zu welchem Zeitpunkt Ressourcen nutzen. Während eines Zoom-Anrufs etwa würden die meisten Rechenressourcen für diesen Anruf verwendet. „Ich hatte vorher nicht wirklich darüber nachgedacht, dass das im Quantenbereich ein nicht-triviales Problem mit ganz neuen Herausforderungen darstellt. Aber wir waren ambitioniert und wollten ebenfalls Multitasking ermöglichen – also, dass mehrere Programme gleichzeitig laufen.“ Das Ergebnis ist ein Betriebssystem, das es einem Netzwerk aus Quantencomputern erlaubt, Aufgaben parallel zu bearbeiten – auch während sie auf Kommunikation mit anderen Knotenpunkten im Netzwerk warten. Wie in der klassischen Informatik ließe sich dadurch die Effizienz der Computer deutlich steigern.
Klaus Ensslin, Vorsitzender des Search Committees für den Körber-Preis in den Physical Sciences und Professor für Festkörperphysik an der ETH Zürich, lobt die thematische Spannweite von Wehners Forschung: „Von ihren Anfängen als ‘rein klassische Hackerin’ bis hin zu Arbeiten an den Grundlagen der Quantenmechanik hat Stephanie Wehner eine Schlüsselrolle in einigen der bahnbrechendsten Experimente der letzten Dekade gespielt. In jüngerer Zeit widmet sie sich mit Nachdruck der Verwirklichung der Vision eines Quanteninternets – ein wahrhaft außergewöhnlicher wissenschaftlicher Werdegang.“

Marcus Gloger/Körber-Stiftung 
Abbildung:
(1) Wissenschaft endet nicht am Labortisch – in ihrem Büro analysiert Wehner Forschungsergebnisse und verfasst wissenschaftliche Artikel.
(2) Wehners Berufsalltag erfordert auch viel Programmierarbeit: Ausschnitt aus einer schematischen Darstellung der Implementierung von QNodeOS.
Eine gemeinschaftliche Anstrengung
Stephanie Wehner erläutert, dass ihre Arbeit mit den 42 in Europa ansässigen Partnerinstitutionen, die gemeinsam die Quantum Internet Alliance (QIA) bilden, zwei zentrale Ziele verfolgt: Zum einen soll bis 2030 ein Quanten-Netzwerk realisiert werden, das zwei Metropolregionen in mehreren Hundert Kilometern Entfernung miteinander verbindet. Zum anderen soll eine europäische Plattform für die Entwicklung des Quanteninternets etabliert werden. Mit dem Aufbau dieses Prototyp-Netzwerks verfolgt die QIA das Ziel, die Grundlagen für ein gesamteuropäisches Quanteninternet zu schaffen, wie Wehner betont.
Chiara Macchiavello, Professorin für Quantencomputing an der Universität Pavia in Italien, beschreibt die QIA als bahnbrechend im Bereich der Quantenkommunikation und für die Entwicklung eines Quanteninternets“. Sie hebt hervor, wie dieses Gemeinschaftsprojekt Wehners wertvolle Fähigkeit stärkt, mit Menschen aus akademischen Einrichtungen ebenso wie aus der Industrie zusammenzuarbeiten.
Wehner selbst verbindet mit der Entwicklung des Quanteninternets den Wunsch, dass Europa hierbei eine führende Rolle übernimmt – mit der Aussicht auf neue Arbeitsplätze sowie auf Chancen für Start-ups und die kommerzielle Anwendung. „Ich denke, dass wir in Europa an der Spitze der Forschung zu Quantenkommunikationsnetzen stehen“, sagt sie. Dabei verweist sie auf ihre jüngst veröffentlichte Arbeit zu QNodeOS, die in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Niederlanden, Österreich und Frankreich entstanden ist. „Wir haben das zum ersten Mal hier in Europa geschafft – technologisch sind wir also in einer sehr guten Position. Aber die Frage ist jetzt vielleicht: Was bedeutet das für Europa?“
Wehner fährt fort: „Ich bin sehr engagiert im europäischen Projekt. Deshalb liegt mir sehr viel daran, dass wir in Europa nicht nur wissenschaftlich führend bleiben, sondern auch ein starkes europäisches Ökosystem aufbauen, das diese Forschung in eine Quanten-Netzwerk-Technologie übersetzen kann, die Europa letztlich sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich zugutekommt.“

Auf dem Weg in die Öffentlichkeit
Stephanie Wehner kommuniziert fortlaufend mit der breiten Öffentlichkeit in Vorträgen und in den Medien, plant aber auch, das Bewusstsein für das Potenzial eines Quanteninternets weiter zu schärfen. Deshalb möchte sie 5 Prozent des Körber-Preisgeldes, das für Öffentlichkeitsarbeit vorgesehen ist, verwenden, um ein Videospiel für Kinder zu entwickeln, das in die Grundlagen der Quantenverschränkung einführt. „Ich finde es großartig, dass der Körber-Preis die Möglichkeit bietet, Mittel für ein Projekt der Wissenschaftskommunikation einzusetzen – das ist fantastisch. Dieser Preis war für mich die Gelegenheit, eine Idee voranzubringen, von der ich sonst nicht gewusst hätte, wie ich sie realisieren sollte.“
Bereits zuvor initiierte Wehner als Direktorin der Quantum Internet Alliance (QIA) ein Online-Kommunikationsprojekt mit dem Namen Quantum Network Explorer (QNE). Die Website des QNE bietet sowohl Interessierten ohne Vorkenntnisse als auch Expertinnen und Experten die Möglichkeit, ein simuliertes Quanten-Netzwerk zu erkunden. Wie sie erläutert, wird dies künftig auch potenziellen kommerziellen und akademischen Endnutzern erlauben, sich aktiv an der Entwicklung des Quanteninternets zu beteiligen.
Wehner gesteht, dass sie bereits als Kind eine „Obsession für Kommunikation“ entwickelt hat – eine Leidenschaft, die ungebrochen scheint, nun jedoch mit einem Fokus auf Quantenphysik. „Wenn man sich für Kommunikation interessiert und wissen möchte, was die ultimative Form der Kommunikation sein könnte, die wir uns vorstellen können – und wenn man gleichzeitig daran glaubt, dass die Welt durch die Quantenmechanik beschrieben wird –, dann ist es naheliegend, dass man sich mit Quantenkommunikation beschäftigt“, erklärt sie.
Darüber hinaus treibt sie der Wunsch an, ihre Forschung aus dem Labor in den Alltag zu überführen. „Die Vorstellung, dass meine Forschung zur Grundlage einer Technologie wird, die von möglichst vielen Menschen genutzt wird, ist meine größte Motivation“, schließt sie.
„Wehner selbst verbindet mit der Entwicklung des Quanteninternets den Wunsch, dass Europa hierbei eine führende Rolle übernimmt – mit der Aussicht auf neue Arbeitsplätze sowie Chancen für Start-ups und die kommerzielle Anwendung.“
Die Körber-Preisträgerin 2025

Die Preisträgerin
Stephanie Wehner ist Physikerin und Informatikerin sowie Direktorin der Europäischen Quantum Internet Alliance. Sie wurde 1977 in Deutschland geboren. „Kommunikation hat mich schon immer fasziniert“, erinnert sich Wehner. Während ihrer Schulzeit entdeckte sie, dass Computer miteinander kommunizieren können. Ein Klassenausflug führte sie zu einem Forschungsinstitut, wo Forschende „Informationen optisch über die Luft austauschten – ich fand das unglaublich faszinierend.“
Ausgerüstet mit einem Heimcomputer und der frühen Version eines Modems begann sie, das damals noch junge Internet zu erkunden. „Mich begeisterte, wie Computer Informationen miteinander austauschen und zusammenarbeiten können, um Aufgaben zu lösen – und das ohne zentralen Plan.“
Diese Begeisterung führte dazu, dass Wehner 1997 Netzwerkadministratorin beim niederländischen Internetanbieter XS4ALL wurde, bevor sie 1999 mit ihrem Informatikstudium an der Universität Amsterdam begann. Neben dem Studium arbeitete sie als ethische Hackerin bei der IT-Sicherheitsberatungsfirma ITSX. Sie blieb an der Universität Amsterdam und promovierte dort 2008 im Fachgebiet Quantenkryptographie.
Die Kombination aus Quantenphysik und Informatik führte zu einem zweijährigen Postdoc-Aufenthalt am Institute for Quantum Information and Matter am California Institute of Technology (Caltech) in den USA. Anschließend wurde sie Assistenzprofessorin und 2013 Associate Professor an der School of Computing der National University of Singapore (NUS). Gleichzeitig forschte sie als Principal Investigator am Centre for Quantum Technologies in Singapur – eine Position, die sie bis 2016 innehatte. Im Jahr 2014 kehrte Wehner in die Niederlande zurück, wo sie zunächst eine Assistenzprofessur und später die Antoni-van-Leeuwenhoek-Professur für Quanteninformation am Quantenforschungszentrum QuTech der Technischen Universität Delft annahm.
Wehner ist gewähltes Mitglied der Königlich Niederländischen Akademie der Wissenschaften sowie Mitbegründerin der internationalen Konferenz für Quantenkryptografie QCRYPT, die als weltweit größte ihrer Art gilt. Außerdem ist sie Mitgründerin des Spin-offs Delft Networks, an dem sie als wissenschaftliche Beraterin mitwirkt. Von 2018 bis 2022 war sie gewählte stellvertretende Vorsitzende des wissenschaftlichen Vorstands des EU-Flaggschiffprogramms für Quantentechnologien.
Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit hat Wehner den Quantum Network Explorer (QNE) ins Leben gerufen, um das komplexe Forschungsthema einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Online-Plattform ermöglicht es sowohl interessierten Laien als auch Expertinnen und Experten, ein simuliertes Quantennetzwerk zu erkunden. Außerdem können damit potenzielle Nutzerinnen und Nutzer aus Forschung und Wirtschaft aktiv an der Entwicklung des Quanteninternets mitwirken – „ein wichtiger Schritt, um die Forschung in konkrete Technologien umsetzen“, sagt Wehner.
Europas Wissenschaftsraum stärken

„Unsere Preisträgerinnen und Preisträger sind mehr als exzellente Forschende – sie sind Vorbilder und Impulsgeber.“
Eva Nemela
Mitglied des Vorstands, Körber-Stiftung
Frau Nemela, Sie wurden Anfang des Jahres in den Vorstand der Körber-Stiftung berufen. Was bedeutet der Körber-Preis für Sie?
Der Körber-Preis ist der bedeutendste Wissenschaftspreis Europas – nicht nur wegen seiner exzellenten Preisträgerinnen und Preisträger, sondern auch wegen seiner Idee: Herausragende Forschung aus Europa zu würdigen, die unsere Zukunft mitgestalten kann. Für mich persönlich ist es bereichernd, durch den Preis immer wieder in neue Forschungswelten einzutauchen. Mal geht es um Nervenzellen, mal um Quantencomputer – gerade der Wechsel zwischen Life Sciences und Physical Sciences macht den Preis so spannend. Er zeigt, wie vielfältig Forschung ist und lässt einen Dinge entdecken, die zuvor außerhalb des eigenen Vorstellungsvermögens lagen.
Die Stiftung vergibt den Körber-Preis seit über vier Jahrzehnten. Woher diese Konstanz?
Der Preis geht auf die Initiative unseres Stifters Kurt A. Körber zurück. Er war überzeugt: Forschung mit gesellschaftlichem Nutzen verdient besondere Aufmerksamkeit. Als Erfinder und Gründer dachte er den Preis von Anfang an unternehmerisch – als Möglichkeit, ohne bürokratische Hürden frei forschen zu können. Deshalb können unsere Preisträgerinnen und Preisträger das Preisgeld sehr frei verwenden. Diese Freiheit, verbunden mit wissenschaftlicher Exzellenz und Perspektive, prägt den Preis bis heute. Gerade in geopolitisch unruhigen Zeiten ist seine Botschaft aktueller denn je: Wissenschaft braucht Raum, Vertrauen und Zusammenarbeit über Grenzen hinweg.
Was macht die Forschung von Stephanie Wehner preiswürdig – und wie verkörpert sie den Geist des Körber-Preises?
Stephanie Wehner ist eine Ausnahmeerscheinung in der Quantenforschung – wissenschaftlich wie strategisch. Mit ihrem Team entwickelte sie das erste Betriebssystem für Quantennetzwerke und eröffnete damit neue Möglichkeiten: Anwendungen lassen sich programmieren, ohne selbst Physikerin oder Physiker zu sein. Ihre Forschung macht ein hochkomplexes Feld zugänglich und schafft die Grundlage für die Zukunft quantentechnologischer Anwendungen. Sie verbindet wissenschaftliche Tiefe mit visionärem Denken – genau das, wofür der Körber-Preis steht.
Mit Blick aufs Ganze: Was kann eine Auszeichnung wie der Körber-Preis zur Stärkung Europas beitragen?
Unsere Preisträgerinnen und Preisträger sind mehr als exzellente Forschende – sie sind Vorbilder und Impulsgeber. Sie zeigen, was möglich ist, wenn kreative Köpfe mit Mut und Leidenschaft arbeiten. Viele von ihnen gestalten auch Strukturen, die Europas Wissenschaftsraum stärken – wie Stephanie Wehner mit dem Aufbau eines Europäischen Quanteninternets. Der Körber-Preis erzählt also nicht nur persönliche Erfolgsgeschichten, sondern steht für ein Narrativ europäischer Wissenschaft als Teamleistung. Er ist ein Bekenntnis: zu Forschung als Gemeinschaftsaufgabe und zu Europa als Ort von Freiheit und Innovation.
Fotos von der Verleihung des Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft 2025 an Stephanie Wehner im Hamburger Rathaus am 19. September 2025.
Die Fotos können im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über den Körber-Preis mit dem angegebenen Fotocredit Körber-Stiftung/Jann Wilken honorarfrei veröffentlicht werden.


























