Wettbewerb: Genutzt – geliebt – getötet: Tiere in unserer Geschichte "So fürchtet euch denn nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge" - oder etwa nicht? Der Sperling zwischen Vogelmord und Vogelliebe

1. Preis
2001
Reinhardt, Alexa / Schmidt, Julia / Hofmann, Carolin
Christoph Geibel

11. und 12. Klasse, Landgraf-Ludwig-Schule, Gymnasium, 35396 Gießen

35396 Gießen, Hessen, Deutschland

#2001-1067

Der Beitrag beschäftigt sich mit der Sperlingsverfolgung, dem Sperling im Volksglauben und dem sich im 19. Jahrhundert entwickelnden Vogelschutz. Das Bild des Sperlings wird vom 19. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts beschrieben und tiefgründig analysiert. Der regionale Bezug wird durch die Sperlingsfrage Anfang des 19. Jahrhunderts im Gießener Raum hergestellt. Weitere Beispiele aus der Umgebung von Mainz ergänzen die Untersuchung. In der Arbeit wird nach den Gründen für das negative Verhältnis des Menschen zum Sperling in den vergangenen Jahrhunderten und für die Trendwende am Beginn des 20. Jahrhunderts gefragt. Zu diesem Zwecke haben die Autorinnen die volkskundliche Literatur ebenso ausgewertet wie vogelkundliche oder agrarökonomische historische Schriften (ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis, S. 83 ff.). Die Arbeit kann so die historisch sich wandelnden Sichtweisen gegenüber dem Sperling aufzeigen und die Gründe für die Transformation dieser Mensch-Tier-Beziehung zwischen Nützlichkeit und Schädlichkeit analysieren. Zwei kurze Erzählungen, "Ein Tag im Leben des Feldschützen Müller" und "Der Tagesablauf eines geliebten Sperlings", stehen am Beginn des Darstellungsteils und stellen die Positionen von Spatz und Jäger gegenüber (S. 4 f.). An einen allgemeinen stichwortartigen historisch-biologischen Abriss ("Wissenschaftliches über den Sperling", S. 8 f.) anknüpfend wird zunächst die Verfolgung der Sperlinge als Schädlinge beschrieben ("Die Bekämpfung des Sperlings aus wirtschaftlichen Gründen", S. 10-44). Hier werden z.B. Bekämpfungsmaßnahmen vorgestellt und in einer tabellarischen Zusammenstellung auf die Details von Verordnungen eingegangen (S. 13 ff.). Schon im 15. Jahrhundert wurden Sperlinge verfolgt, weil ihnen eine Schädigung der Saat zugeschrieben wurde. Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung gehen bis zur allgemeinen Besteuerung. Dass die Maßnahmen gegen den Sperling erfolgreich waren, zeigt sich in Berichten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, dass in Alsfed der Bestand rapide zurückgegangen sei. Mit der Jahrhundertwende setzt sich schließlich die Einsicht durch, so die Verf., dass der Sperling als Insektenvertilger gar ein Nützling ist. Eine solche Sichtweise, die mancher Bauer ohnehin aufgrund seiner Beobachtungsgabe gehabt haben mochte - wie dies ein anderer Wettbewerbsbeitrag feststellt -, wurde durch die naturkundlichen Betrachtungsweisen der Ökosystemtheorie, die sich in Folge der Popularisierung des Darwinismus gegen Ende des Jahrhunderts durchsetzten, möglich. Die Rolle und Funktion des Vogels im Zusammenhang des Vogelschutzes wird diskutiert - interessant dabei, dass der Sperling von frühen Bemühungen zum Vogelschutz ausgenommen war - ("Vogelschutz", S. 45-66) und in das vorläufige Fazit "Was sagt diese Art der Sperlingsverfolgung über den Menschen selbst und sein Verhältnis zum Sperling aus?" (S. 65 f.) übergeleitet. Ihr Untersuchungsabschnitt "Wer rief zum Vogelschutz auf?" und die Beantwortung der Frage, warum es gerade bürgerliche Kreise waren, die sich dem Vogelschutz im ausgehenden 19. Jahrhundert zu widmen begannen, knüpft an die bürgerlichen Vorstellungen der Naturromantik an (S. 48 f.). "Zur aktuellen Situation des Sperlings in Hessen" (S. 67-69) wird eine Umfrage erhoben. Dass der Sperling "Vogel des Jahres 2002" in der Ausschreibung der Umweltorganisation NABU werden sollte, konnten die Sch. dabei noch nicht ahnen. Noch einmal weit zurück in die Geschichte gehen die Verf. mit dem "Exkurs: Aberglaube und Märchen" (S. 70-75). Volkstümlich wird der Spatz seit dem 19. Jahrhundert mit Frechheit und Aufsässigkeit gleichgesetzt - dies musste ihn zum Objekt obrigkeitlicher Nachstellungen werden lassen. Die Sch. verstehen es, nicht nur die rekonstruierbare Geschichte des Sperlings in seiner Symbiose mit dem Menschen nachzuzeichnen sondern auch die fiktive, konstruierte Dimension in Märchen, Sagen, Volks- und Aberglauben offen zu legen. So gelingt es den Autorinnen, ein umfassendes Bild der Wahrnehmung einer Vogelart im Kontext der allgemeinen historischen Entwicklung zu entwerfen. Eine schöne Titelblattcollage aus Textpassagen und die besonders gelungene Gestaltung der Präsentation historischer und nicht ohne weiteres lesbarer Quellen überzeugt: Die Schriften und Drucke werden als Abb. illustrativ in die Arbeit eingebaut und auf einem darüber liegenden transparenten Blatt findet sich die Transkription, ggf. auch eine Übersetzung der Quellentexte.

Literaturverzeichnis

(120 S., ms., ill. mit Titelblattcollage, Tab., Abb., davon 23 S. Tab.- und Quellenanhang)

Quellen

Stadtarchiv Gießen und Mainz, Staatsarchiv Darmstadt, zeitgenöss. Fachliteratur der Landwirtschaftsverbände, avifaunistische Literatur, Zeitzeugeninterview, regional- und heimatgeschichtliche Literatur, volkskundliche Fach- und Sachliteratur.