Wettbewerb: Aufbegehren, Handeln, Verändern – Protest in der Geschichte Widerstand junger Liberaler an der Oberschule Genthin 1947-1949

1. Preis
1999
Kalz, Steffi u.a. (5 Verf.)
Falk H. Schmidt

12. Klasse, Bismarck-Gymnasium, 39307 Genthin

39307 Genthin, Sachsen-Anhalt, Deutschland

#1999-0639

Die Verf. haben die Aktivitäten von Mitgliedern der Schülerselbstverwaltung ihres Gymnasiums während der Gründungsphase der DDR untersucht. Als die Schüler den bildungspolitischen Kurs der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) offen kritisierten, wurden sie verhaftet und von einem sowjetischen Militärgericht zu langen Haftstrafen verurteilt. Die differenzierte Darstellung zeichnet sich aus durch die gelungene Verknüpfung von schriftlichen Quellen mit den Erinnerungen und Aussagen der ehemaligen Schüler. So wurde eine weitgehend vergessene Episode aus der Frühgeschichte der DDR aufgearbeitet. Ausgangspunkt der Arbeit ist das Engagement der von der Diktatur der Nationalsozialisten enttäuschten und ernüchterten Jugendlichen für eine demokratische, überparteiliche Schülermitverwaltung. Die Verf. schildern, wie die entsprechenden Strukturen entstanden. Die Schüler kümmerten sich zunächst um praktische Fragen des Alltags im Nachkriegsdeutschland, wie die Verteilung von Brötchen oder die Ausgabe von Raucherkarten an ältere Schüler. Sie selbst traten der Liberaldemokratischen Partei bei, achteten aber darauf, dass die Schülermitverwaltung überparteilich arbeitete. Daher gerieten sie bald in Konflikt mit der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und der SED, die einzelne Arbeitsgemeinschaften wie den Chor oder die Schachgruppe übernehmen wollten. Im Rahmen der Parteiarbeit für die LDP traten die Schüler in Kontakt mit anderen Jugendgruppen und liberalen Politikern in West-Berlin. Als das Studium von Arbeiter- und Neubauernkindern auf Kosten von Kindern aus anderen Schichten gefördert werden sollte, sandte die Schülermitverwaltung eine Protestresolution an die zuständigen staatlichen Stellen. Daraufhin wurden die Autoren vom sowjetischen Geheimdienst (NKWD) verhaftet und von einem sowjetischen Militärgericht wegen Spionage zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Mitte der 50er Jahre wurden sie entlassen und gingen in die Bundesrepublik. Die Verf. schildern die Umstände der Verhöre und die Haftbedingungen und gehen dem Spionagevorwurf nach. Dabei stellt sich heraus, dass der Kontaktmann in West-Berlin gezielt Informationen über die Lebensumstände in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), in der DDR und über die Präsenz sowjetischer Truppen abschöpfte, ohne dass die unbefangenen Jugendlichen irgendeinen Verdacht schöpften. Daher betrachten die Verf. die Schüler als Opfer des Kalten Krieges. Schließlich schildern sie, wie die Eltern der inhaftierten Jugendlichen sich mühsam um Kontakt zu ihren Kindern bemühten. Dabei wird ein scharfes Licht auf die mangelnde Rechtsstaatlichkeit der frühen DDR geworfen. Am Ende der Arbeit schildern die Verf., wie die aus der Haft Entlassenen in der Bundesrepublik Fuß fassten und mit ihren Erlebnissen heute umgehen.

Literaturverzeichnis

(135 S., ms., ill. mit Fotos der untersuchten Personen und Reproduktionen verschiedener juristischer Dokumente; Anhang: Interviewtranskripte)

Quellen

Sekundärliteratur, Zeitzeugeninterviews, Erinnerungen, Bestände des Archivs des Bismarck-Gymnasiums, des Archivs des deutschen Liberalismus Gummersbach, des Bundesarchivs Berlin, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, des Archivs des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, des Landeshauptarchivs Magdeburg und Privatarchive.