Wettbewerb: Alltag im Nationalsozialismus II (Kriegsjahre) "Bis hierher und nicht weiter" - Arbeitsalltag in Offenbach 1939-1945.

1. Preis
1983
Beckert, Sven
Ohne Tutor.

12. Klasse, Leibniz-Gymnasium, 6050 Offenbach am Main.

63000 Offenbach, Hessen, Deutschland

#1983-0768

Sven Beckerts Studie untersucht in ihren zentralen Aspekten die Kriegsauswirkungen auf die Arbeitswelt. Auf der Grundlage umfassender Auswertung von Sekundärliteratur, einer immensen Fülle von Quellen, zeitgenössischen und nachgedruckten Quellensammlungen sowie einer Reihe von Interviews erarbeitet der Verfasser, daß sich das NS-Regime der Volksgemeinschaftsideologie und der "symbolischen Heroisierung" der Arbeiter bediente, um seine betont arbeiterfeindliche Politik (gezeigt u. a. am Beispiel von Höchstlohnregelungen, Reallohnsenkungen, steigenden Regelarbeitszeiten und dem Abbau von Arbeitsschutzbestimmungen) durchzusetzen und gleichzeitig von den wahren Verhältnissen abzulenken. Aus ihrer Kriegspolitik erschlossen die NS-Machthaber neue Arbeitskräftereservoirs (deportierte Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene), die aber nicht ausreichend waren, so daß - z. T. entgegen vorangegangener ideologischer Postulate (besonders deutlich an der Rollen- und Funktionszuweisung für Frauen) - in zunehmendem Maße nicht rüstungswichtige Betriebe nach Arbeitskräften ausgekämmt wurden, die Konsumgüterindustrie gedrosselt und Bürger/innen dienstverpflichtet wurden. Am lokalen Beispiel zeigt Sven Beckert besonders die Widersprüchlichkeiten, die sich aus den Versuchen der NS-Machthaber ergaben, angesichts der kriegsbedingten Notwendigkeiten zwischen "der Volksmeinung" und offenem Terror zu taktieren. Besonders aufgrund ihrer Alltagserfahrungen ("feine Damen" konnten sich vor Dienstverpflichtungen "drücken", DAF-Veranstaltungen verfingen nicht, es gab elementare Solidarität zwischen Zwangsarbeitern und deutschen Arbeitern) dokumentieren Arbeiter, daß sie sich dem totalitären Zugriff des Staates entzogen, offener Widerstand jedoch auf unüberwindliche Schwierigkeiten angesichts der effektiven Herrschaftsmittel stieß. Auch im Falle der "Judenverfolgung" (exemplifiziert an der Entlassung eines "Mischlings 1. Grades") verweist Beckert auf Widersprüche des NS-Regimes: einerseits sei die "Vernichtung durch Arbeit" eine konsequente Fortsetzung der Politik der Arbeitskräftemobilisierung gewesen andererseits erscheint die Vernichtung von Juden auch als eine "Vernichtung von Arbeitskräften; die brutalideologische Konsequenz, die die Gaskammern darstellten, waren gleichzeitig auch der Todesstoß für die deutsche Kriegswirtschaft .

Literaturverzeichnis

(2 Bde.; Bd. 1: Studie, 140 S.; Bd. 2: Dokumente und Interviews, ca. 210 S.).

Quellen

10 Interviews mit ehem. Arbeiter/innen (zumeist aus sozialdemokratischem, sozialistischem oder kommunistischem Milieu); Die Dokumentenauswahl ist thematisch gegliedert: zur wirtschaftlichen Situation Offenbachs während des Zweiten Weltkrieges; Arbeitsalltag in der Fabrik Die Deutsche Arbeitsfront, Rüstungsproduktion in Offenbach; Rassenideologie und ökonomische Notwendigkeit Frauenarbeit in Offenbach; Kriegsgefangene und "Fremdarbeiter" des 2. Weltkrieges in Offenbach. Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: Treuhänder der Arbeit, Deutsche Arbeitsfront Offenbach, Sicherheitsdienstberichte, Politische Überprüfung von Firmeninhabern; Archiv der Stadt Offenbach: Firmenakten, Offenbacher Zeitung. Archiv der Industrie- und Handelskammer: Firmenbroschüren (Jubiläumsschriften); Zeitgenössische, allgemeine und regionale Sekundärliteratur (ca. 34 Titel). Privatbesitz: Tagebuch der Werkfrauengruppe der Fa. Ludwig Krumm AG Offenbach.