„Erinnerungskultur nicht nur lehren, sondern auch leben!“
Im Rahmen des 27. Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten zum Thema Bewegte Zeiten. Sport macht Gesellschaft haben sich Schülerinnen des Gymnasiums Bad Iburg und der Integrierten Gesamtschule Osnabrück mit dem Ausschluss der jüdischen Sportlerin Lea Levy aus dem Osnabrücker Turnverein auseinandergesetzt und einen Podcast produziert.
Dass die Teilnahme am Wettbewerb nicht mit der Abgabe der Arbeit enden muss, zeigt die Geschichte der Gruppe aus Niedersachsen auf beeindruckende Art und Weise. So führte ihre Arbeit zur Errichtung eines Denkmals. Doch wie kam es dazu? Welche Hürden mussten die Schülerinnen im Laufe des Prozesses überwinden? Und inwiefern zeigt ihre Geschichte, wie Erinnerungskultur nicht nur gelehrt, sondern auch gelebt werden kann?
Darüber sprachen zwei Schülerinnen des Projekts, Gina Lüdecke (Gymnasium Bad Iburg; GBI) und Jael Zündorf (Integrierte Gesamtschule Osnabrück; IGS), sowie deren Tutoren Jan Müller (GBI) und Henrik Radewald (IGS) mit Laura Wesseler und Anika Weinreich vom Team des Geschichtswettbewerbs.
Wie seid ihr auf das Thema „Ausschließung der Juden aus Sportvereinen zur Zeit des Nationalsozialismus“ gekommen und wie kam es zu der Zusammenarbeit zwischen dem Gymnasium Bad Iburg und der Integrierten Gesamtschule Osnabrück?
Henrik Radewald: Als letztes Jahr bekannt wurde, dass das Thema der Wettbewerbsrunde 2020/2021 Bewegte Zeiten. Sport macht Gesellschaft ist, haben Jan und ich – wir kennen uns durch das gemeinsame Geschichtsstudium und den Sport – direkt entschieden, dass wir gerne tutorieren würden. Der Fokus auf die Diskriminierung und Ausgrenzung jüdischer Sportler:innen aus dem Osnabrücker Turnverein – kurz OTV – und spezifisch auf Lea Levy ergab sich letztlich durch unseren Kontakt zu Herrn Wahlig, der sich als Sporthistoriker intensiv mit der Geschichte deutscher Sportvereine auseinandersetzt und selbst die Möglichkeit hatte, Lea Levy in ihren späteren Lebensjahren in Israel zu interviewen. Jan und ich haben dann an unseren Schulen einige Schülerinnen für das Thema und das schulübergreifende Projekt begeistern können.
Was hat euch Schülerinnen dazu inspiriert, die Geschichte des Osnabrücker Sportclubs (OSC) – früher OTV – sowie die Person Lea Levy und ihre Lebensgeschichte genauer zu betrachten?
Gina Lüdecke: Vor allem hat uns an dem Thema interessiert, dass es sich bei Lea Levy um eine Sportlerin handelt, die in unserem Alter war, als sie die gesellschaftlichen und ideologischen Auswirkungen der antidemokratischen, nationalistischen und antisemitischen Stimmung, die bereits vor der Machtübernahme des NS-Regimes in einigen Teilen der Gesellschaft herrschte, am eigenen Leib erfahren musste. Auch unsere eigene Sportbegeisterung hat uns motiviert. Darüber hinaus war es für uns unvorstellbar, dass Menschen einfach so, ohne einen richtigen Grund aus einem Sportverein ausgeschlossen wurden, und, dass das noch nicht einmal 100 Jahre zurückliegt.
Was konntet ihr über das Leben von Lea Levy, den OTV und die Auswirkungen des Nationalsozialismus herausfinden?
Jael Zündorf: Unsere Arbeit setzt mit der Geburt von Lea Levy im Jahre 1914 ein und springt dann an die Anfänge der 1920er Jahre. Lea tritt bereits mit 5 Jahren dem OTV bei. Der Turnverein wurde im 19. Jahrhundert gegründet und wird während Leas Mitgliedschaft von Fritz Frömbling geleitet. Frömbling positioniert sich öffentlich als völkisch-nationalistisch und verkehrt in Kreisen, die sich gegen den Umgang mit und für die Ausschließung jüdischer Gesellschaftsmitglieder aussprechen. 1924 werden alle jüdischen Mitglieder aus dem Verein ausgeschlossen. Also zu einem Zeitpunkt, als das NS-Regime noch nicht an der Macht war. Die jüdischen Sportler:innen organisieren sich in anderen oder eigens jüdischen Sportvereinen, da diese nicht nur für das körperliche Wohl von Bedeutung waren, sondern zugleich als Gemeinschaft und Rückzugsort dienten. Lea treibt daraufhin in einem neu gegründeten jüdischen Verein Sport, dieser wird aber nach der Machtergreifung Hitlers verboten und Lea entscheidet sich mithilfe des Vereins in das Gebiet des späteren Israels zu fliehen. Der Antisemitismus tritt in Deutschland nun offen zu Tage und die Familie Levy wird durch dessen Folgen getrennt, denn die Eltern verbleiben in Deutschland, obwohl der Vater die eigens gegründete Kaufhauskette nach 1933 unter Druck der NS-Diktatur verkaufen musste.
Wart ihr euch von Beginn an einig, dass der Beitrag in Form eines Podcast eingereicht werden soll?
Gina Lüdecke: Nach einer ersten Ideensammlung waren wir uns schnell einig, dass ein Podcast ein gutes Medium darstellt. So konnten wir unsere wichtigsten Quellen, die in Form von Interviews vorliegen, wiedergeben. Auch wollten wir als Gruppe etwas Nachhaltiges schaffen. Uns war es wichtig, dass das im Laufe des Forschungsprozesses gesammelte Wissen der Gesellschaft zugänglich gemacht wird. Letztlich haben wir uns daher entschieden, dass wir auf Basis unseres Beitrags ein Denkmal für die jüdischen Sportler:innen errichten wollen, die aufgrund der nationalsozialistischen Ideologie aus deutschen Sportvereinen – speziell dem OTV – verdrängt und ausgeschlossen wurden.
Euer Ziel, durch euren Beitrag die Errichtung eines Denkmals zu ermöglichen, ist erreicht. Am 9. November 2021 wurde auf dem Gelände des OSC die Skulptur eines jüdischen Sportlers enthüllt. Wie kam es zur Ausarbeitung der Skulptur und wer war in diesen Prozess involviert?
Jael Zündorf: Zunächst hatten wir uns überlegt, was mögliche Motive und Materialien wären, um ein Denkmal zu entwickeln. Wir mussten dann schnell feststellen, dass dies nicht unser Fachgebiet ist und haben über unsere Tutoren den Kontakt zu den Kunstkursen der Oberstufe beider Schulen gesucht. Die Kunstschüler:innen hatten großes Interesse und übernahmen die Aufgabe auf Grundlage unseres Podcasts Entwürfe für das geplante Denkmal zu erarbeiten. Insgesamt haben wir über 30 Entwürfe erhalten. Zudem konnten wir den Meller Künstler und Bildhauer Bernd Obernüfemann dafür gewinnen, eine Skulptur auf Basis des finalen Entwurfs zu fertigen. Die Auswahl erfolgte durch eine Jury, die sich aus Vertreterinnen der Wettbewerbsgruppe, jeweils einer Kunstlehrerin beider Schulen, den beiden betreuenden Tutoren, dem Sporthistoriker Herrn Wahlig, den Geschäftsführern des OSC, dem Leiter des Diözesanmuseums, stellvertretenden Vorsitzenden der Herrenteichslaischaft und ehemaligem Präsidenten des VFL Osnabrück Hermann Queckenstedt –, dem Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Osnabrück sowie dem Künstler zusammensetzte. Ausgewählt wurde schließlich der Entwurf der GBI-Schülerin Gina Tepe. Anschließend fand gemeinsam mit Herrn Obernüfemann eine Workshop-Woche in den Räumlichkeiten des GBI statt, in der die Skulptur erbaut wurde.
Die Ausarbeitung des Denkmals zeigt auf, mit wie vielen unterschiedlichen Gruppen und Institutionen ihr zusammengearbeitet habt, um an die Erlebnisse der jüdischen Sportler:innen zu erinnern. In eurem Arbeitsbericht zum Podcast beschreibt ihr diese Zusammenarbeit jedoch nicht immer als einfach. Wie gestaltete sich denn die Kommunikation mit dem OSC? Hatte sich der Verein mit seiner eigenen Geschichte um 1924 bereits auseinandergesetzt?
Jan Müller: Tatsächlich gestaltete sich die Kontaktaufnahme mit dem OSC anfänglich schwierig. Als der Kontakt dann aber einmal hergestellt war, kam es bald zu einem Treffen auf dem Gelände des OSC gemeinsam mit Herrn Hendrik Witte, dem Geschäftsführer des OSC. Die Einbindung des OSC in das Projekt war uns von Beginn an sehr wichtig und wir baten den Vorstand um eine Stellungnahme zu unserem Podcast – auch mit Blick auf das geplante Denkmal. Die Stellungnahme kam dann kurz vor Abgabe des Beitrags. Darin hieß es, dass der Verein das Denkmal unterstützen würde. Außerdem teilte uns der Verein mit, dass bisher nur in sehr begrenztem Maße eine selbstständige Aufarbeitung zu 1924 stattgefunden habe, da der Fokus auf dem Sport und nicht der Vereinsgeschichte liege. Diese Priorisierung seitens des OSC könnte man mit der Formulierung „fehlendes Problembewusstsein“ beschreiben. So wurde anfänglich seitens des Vereins von Einzelnen die Meinung vertreten, dass Politik und Sport recht wenig miteinander zu tun hätten und es sich um das Handeln eines Vorgängervereins handele, von welchem man sich distanziere. Des Weiteren hieß es, dass es schlichtweg an den Kapazitäten mangle, um die Vergangenheit eigenständig aufzuarbeiten. Dies ist wohl auch ein Grund, weshalb der Aufarbeitung durch die Schülerinnen zugestimmt wurde. Auch war die Beteiligung der Jugendlichen sicherlich ein Faktor, der den gesellschaftlichen Druck hin zur Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte erhöht hat. Letztlich sind wir sehr glücklich, dass es zu der Errichtung des Denkmals kam und es auf dem Vereinsgelände des OSC stehen kann.
Eure Arbeit zeigt, wie viel eine Spurensuche vor Ort verändern kann. Allerdings wird auch deutlich, dass der Weg nicht immer einfach ist. Was würdet ihr nun rückblickend sagen, habt ihr aus dem Projekt mitgenommen?
Gina Lüdecke: Besonders lehrreich war für mich, dass es wichtig ist, niemals aufzugeben und an die eigene Idee zu glauben. Auch wenn E-Mails oder Anrufe ins Leere gehen, dranzubleiben, und, dass man in der Gruppe viel erreichen kann.
Jael Zündorf: Mich hat der Gedanke an ein Denkmal von Anfang an begeistert, jedoch schien dessen Realisierung oftmals sehr weit weg – sowohl zeitlich als auch aufgrund der erschwerten Bedingungen durch die COVID19-Pandemie. Doch als wir am 9. November die Skulptur auf dem Gelände des OSC enthüllt haben, wurde mir klar, dass wir es als Gruppe wirklich geschafft hatten. Darauf bin ich heute sehr stolz.
Henrik Radewald: Zunächst verbinde ich das Projekt mit sehr viel Mühe, aber auch mit großer Begeisterung. Durch den Geschichtswettbewerb ist eine tolle Arbeit entstanden, die nachhaltig auf dem OSC-Gelände sichtbar ist. Zudem ist unsere Geschichte ja noch nicht zu Ende, denn es wurde über unser Projekt durch Jugendliche ein Film über die Entstehungsgeschichte des Denkmals und die zuvor beschriebenen geschichtlichen Ereignisse verfasst. Es ist toll zu sehen, dass Erinnerungskultur kein verstaubtes Thema im Geschichtsunterricht sein muss, sondern von Schüler:innen gelebt werden kann.
Jan Müller: Mein Ziel war es vor allem, Schüler:innen für Geschichte zu begeistern. Die Errichtung des Denkmals war letztlich eine tolle Krönung dieses Vorhabens, da es ein tolles gesellschaftliches Zeichen ist und ich fühle mich geehrt, diesen Beitrag tutoriert zu haben. Es war und ist auf jeden Fall ein einmaliges Projekt in meiner Berufslaufbahn.