Produktionen 2022
Erneut sind zwei Projekte im Rahmen von Exil heute ausgewählt worden. Mit Mithkal Alzghair (Paris) und Yousef Iskandar (Hamburg) luden die Körber-Stiftung und Kampnagel im Rahmen ihrer Kooperation „Exil heute – künstlerische Produktionsresidenzen“ 2022 die Produktionsvorhaben dieser beiden Künstler nach Hamburg ein. Sowohl Mithkal Alzghair als auch Yousef Iskandar machten die eigene Exilerfahrung zum Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit. Von 2021 bis 2023 ermöglichten die Körber-Stiftung und Kampnagel die Produktion innovativer Theater-, Performance- und Tanzprojekte in Hamburg, die sich dem Thema Exil widmeten.
Mithkal Alzghair studierte klassischen und modernen Tanz in Damaskus, bevor er seine Ausbildung mit dem Masterstudiengang Choreografie in Montpellier fortsetzte. Da er nicht in seine vom Krieg gezeichnete Heimat Syrien zurückkehren konnte, lebt er heute als politischer Flüchtling in Paris. Nach seinem internationalen Durchbruch als Choreograf mit Displacement (2016), einem Trio über die die körperlichen Folgen von Vertreibung, setzte er seine intensive Auseinandersetzung mit Grenzpolitiken, Rassismus, Repression und Vertreibung fort. Dabei hinterfragt er auch den westlichen Blick auf diejenigen, die ihre Heimat und ihre Bürgerrechte verlieren, ohne dabei den Wunsch aufzugeben, „in einer Utopie der Freiheit und Gleichheit“ zu leben.
In Clamors (dt. Schreie), seiner im Rahmen von Exil heute geförderten Neuproduktion, zeichnet Alzghair das Portrait des Menschen in seinen Abhängigkeiten von dominierenden Kräften und Gesetzgebungen, die sein Schicksal mitunter regieren, kontrollieren und bestimmen.
In seiner Analyse konzentrierte sich der Künstler auf den Moment des Übergangs – des gleichzeitigen „nicht-mehr“ und „noch-nicht“, in dem sich Menschen im Exil häufig dauerhaft befinden. Alzghairs Auseinandersetzung spiegelte die Konfrontation zwischen dem Menschen und den Kontrollinstanzen wider, die ihren Körpern Zwänge, Verbote, Einschränkungen und Verpflichtungen auferlegen.
Yousef Iskandar war zugleich Regisseur, Choreograf, Performer und visueller Künstler. Er stammt aus dem Libanon. In seinen Arbeiten reflektiert er die eng miteinander verknüpften Themenfelder kulturelle Herkunft, Geschlechteridentität, Körperpolitiken und eurozentristischer Blick. Bereits im Alter von 17 Jahren forderte er als Bauchtänzer patriarchalische Geschlechtergrenzen heraus. Heute arbeitet er mit Multimedia-Performances, Videos und Standbildern zu unterschiedlichen Themen.
Iskandar war unter anderem an verschiedenen Projekten auf Kampnagel, im Studio R (Maxim Gorki Theater, Berlin) und bei Metro al madina (Libanon) beteiligt und hat an zahlreichen Projekten von Künstler:innen und Kollektiven mitgewirkt, die sich mit der Stärkung von LGBTIQ+ und anderen Minderheiten in verschiedenen Ländern befassen. Er leitet regelmäßig Workshops für die Queer-Community und eine interessierte Öffentlichkeit, bei denen er seine künstlerische Praxis als Werkzeug der Selbstermächtigung einsetzt.
Für Exil heute hat er mit Lexie eine partizipative Multimedia-Performance geplant, die den emotionalen Kampf der im Exil lebenden LGBTIQ+-Gemeinschaft Sichtbarkeit und Gehör verschaffte. In einem kreativen Schreibworkshop wurden Erfahrungen von Heimatverlust und Einsamkeit, dem Hin- und Her-Gerissen-Sein zwischen Vergangenheit und Gegenwart und der Sehnsucht nach Zugehörigkeit sowie der Lebensfreude und dem Aufbau eines neuen Lebens gesammelt. Sie bildeten die Textgrundlage für die Aufführung, in der Iskandar Videoprojektionen, Sounddesign, Tanz und Schauspiel mit partizipativen Elementen verschmolz.
Clamors (dt. Schreie) von Mithkal Alzghair wurde vom 8. bis 10. Juni 2022 auf Kampnagel uraufgeführt.
Die Premiere von Yousef Iskandars Lexie fand am 24. November 2022 statt. Weitere Aufführungen waren am 25. und 26. November.
Als dritte Arbeit im Rahmen von Exil heute war die Arbeit Jurrungu Ngan-ga/Straight Talk der australischen Tanzcompany Marrugeku für das Internationale Sommerfestival im August 2022 in Planung. Die große Tanzproduktion war bereits für den ersten Durchlauf von Exil heute ausgewählt worden, musste jedoch coronabedingt verschoben werden.