
Foto: NOVA DOBA
Das zivile Leben aufrechterhalten
Wie funktioniert Bildung im Krieg? Wenn Kinder während des Unterrichts wieder und wieder in den Luftschutzbunker umziehen müssen oder Unterricht seit vielen Monaten ausschließlich digital organisiert werden kann. Wenn Lehrpersonal erste Hilfe bei Minenwunden leistet, ganze Schulen zerstört und zerbombt werden. Drei Jahre schon arbeiten viele Organisationen in der Ukraine daran, Bildungsarbeit auch unter den Bedingungen des vollumfänglichen Krieges Russlands gegen das Land aufrecht zu erhalten.
Langjährige Zusammenarbeit zwischen Körber-Stiftung und NOVA DOBA
Darunter ist auch NOVA DOBA, die All-Ukrainian Association of Teachers of History, Civic Education and Social Studies, und ihre Partner vom Länderbüro Ukraine von DVV International. Anlässlich des 3. Jahrestags des Ausbruchs des Krieges würdigen wir die großen Leistungen unser ukrainischen Kolleginnen und Kollegen aus der Zivilgesellschaft, die auch von der Körber-Stiftung unterstützt wird.
Seit fast 30 Jahren kooperiert die Körber-Stiftung mit dem ukrainischen Lehrerverband NOVA DOBA mit Sitz in Lwiw. Ihr verbindendes Projekt ist der ukrainische EUSTORY Geschichtswettbewerb. Seit Ausbruch des Kriegs unterstützt die Körber-Stiftung zusätzliche Bildungsprojekte im Land. So entstanden u.a. neue Angebote für binnengeflüchtete Familien in der Westukraine, ein Jugendmedienzentrum in Lwiw sowie Bildungs- und Coachingangeboten für Lehrende aus der ganzen Ukraine, inklusive der besetzten und vom Krieg besonders betroffenen Gebiete.
Besuch im Naturkundemuseum Lviv Fotos: NOVA DOBA Jugendliche probieren die Medienangebote von NOVA DOBA Stadtführung für geflüchtete Familien Besuch einer lokalen Radiostation
Zwischen Juli und Dezember 2022 bot NOVA DOBA so Bildungs- und Integrationsveranstaltungen für über 600 binnengeflüchtete Familien an. Im Folgejahr errichtete NOVA DOBA mit Unterstützung der Körber-Stiftung in seinen Räumen in Lwiw ein Medienbildungszentrum, in dem sich über 300 Kinder kritisch mit öffentlicher Berichterstattung auseinandersetzten und eigene Inhalte produzierten. 2024 konnte NOVA DOBA zusammen mit Partnern über 170 Lehrende in einem umfassenden Fortbildungsprogramm bei ihrer schwierigen Arbeit unterstützen.
Drei Sommerakademien richteten sich zudem an Kinder und Jugendliche, die aus den besetzten Gebieten fliehen mussten. Sie werden in der Ukraine teils online in ihren alten Klassenverbänden unterrichtet. 50 Schülerinnen und Schülern ermöglichte NOVA DOBA im letzten Jahr ein persönliches Wiedersehen in Lwiw:

„Die zweieinhalbjährige Trennung war eine schwere Prüfung für uns: Von einem Tag auf den anderen sahen wir uns nur auf den Bildschirm und hörten uns durch die Lautsprecher. Jetzt hatten wir endlich die Gelegenheit, vier ganze Tage gemeinsam zu verbringen. Wir waren im Paradies, im wortwörtlichen Sinn. Es ist eine Schatzkiste von Erinnerungen, die ich definitiv den Rest meines Lebens behalten werde.“
Sommerschul-Teilnehmerin aus der besetzten und weitgehend zerstörten Region zwischen Bachmut und Luhansk
Vereinte Kräfte für den ukrainischen Geschichtswettbewerb
Auch der ukrainische Geschichtswettbewerb konnte weitergeführt werden – trotz des Kriegs. Er wurde 1997 von NOVA DOBA initiiert. Seit 2017 wird er in Kooperation mit DVV International unter dem Dach eines internationalen Kooperationsprojekts unter Beteiligung der Körber-Stiftung organisiert und in diesem Rahmen für viele Jahre vom Auswärtigen Amt gefördert.
Der Kriegsausbruch am 24. Februar 2022 traf das Organisatorenteam um Petro Kendzor von NOVA DOBA und dem Historiker Andriy Fert, Koordinator des Projekts für DVV International, mitten im Wettbewerb. Kendzor und Fert entschieden schnell, den Wettbewerb fortzusetzen. Zweimal mussten sie die Deadline verschieben, bis zu der Schüler:innen ihre Arbeiten eireichen konnten. Doch am 15. Mai, der finalen Frist, hatten tatsächlich 282 Jugendliche insgesamt 65 Arbeiten eingereicht. Die Preisverleihung musste online stattfinden, manche Teilnehmende schalteten sich aus dem Ausland zu, einige sogar aus den besetzten Gebieten.
Im Rahmen des Wettbewerbs verschreiben sich die Organisatoren der kritischen Auseinandersetzung mit der sowjetischen Vergangenheit und ihrer Aufarbeitung in der Ukraine ein. Als Thema für den Wettbewerb 2023/2024 stand Geschichte und Propaganda im Mittelpunkt.
Der Historiker Andriy Fert, Koordinator des Projekts im ukrainischen Büro von DVV International, erklärt, warum Jugendliche gerade in Kriegszeiten lernen müssen, Propaganda zu erkennen und einzuordnen:
Wenn man die Geschichte nicht kennt, wenn Geschichte weit weg und unnütz erscheint, wenn man sich nicht für sie interessiert (…), dann wird man ein leichtes Ziel für Propaganda. Um Propaganda daran zu hindern, Wurzeln zu schlagen, müssen wir Geschichte interessant machen und sie Jugendlichen nahebringen, damit sie sie erforschen, über sie nachdenken und sie kennen. So fallen sie Propaganda und Manipulation nicht zum Opfer.
Andriy Fert
Koordinator DVV International Ukraine
Fortbildungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer unterstützten bei der schwierigen Aufgabe, komplexe und emotionalisierende Themen wie Propaganda im Unterricht zu behandeln.
Ein Toolkit für den kritischen Geschichtsunterricht
Als ein Ergebnis erarbeiteten Teams unter der Leitung von NOVA DOVA und des Ukraine-Länderbüros von DVV International ein zweibändiges Geschichtsbuch. Es enthält Handreichungen, Stundenpläne und Unterrichtsmaterial zu Themen wie Personenkult, Propaganda und Zensur in den öffentlichen Medien, in der Kunst, in der Architektur oder die Reflexion über Bildungsziele im Totalitarismus.
Der Einsatz vieler Menschen in der Ukraine für eine gute Bildung der nächsten Generation ist ein weiterer Baustein des ukrainischen Kampfes um die Zukunft ihres Landes.

