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Interview: Wie lernen wir Zukunft?

Dr. Christian Engelbrecht arbeitet seit 2019 im Futurium. Das Museum in Berlin behandelt Zukunftsthemen wie Klima, Wohnen, Ernährung und Technologie. Als Bildungsreferent beschäftigt sich Engelbrecht damit, wie außerschulische Lernorte genutzt werden können und welche Fähigkeiten in Zukunft von Bedeutung sind.

Eltern im Fokus 2023: Bildung und berufliche Zukunft
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„Zukunftskompetenzen sind Schlüsselqualifikationen für eine Gesellschaft, die mit den Herausforderunen einer veränderten Welt umgehen kann.“

Dr. Christian Engelbrecht

Bildungsreferent im Futurium Berlin

In der bundesweiten Befragung sollten Eltern einschätzen, welche Kompetenzen wichtig für die Zukunft sind. Was verstehen Sie unter Zukunftskompetenzen?

Zukunftskompetenzen sind Schlüsselqualifikationen für eine Gesellschaft, die mit den Herausforderungen einer veränderten Welt umgehen kann. Im Detail definieren Institutionen diese jeweils unterschiedlich. Wirtschaftsnahe Akteur:innen sagen, dass Zukunftskompetenzen fit für die digitalisierte Arbeitswelt machen. Für mich sind Zukunftskompetenzen mehr als reine Arbeitsweltkompetenzen. Wir brauchen auch Kompetenzen, um für die Herausforderungen der Klimakatastrophe gewappnet zu sein und soziale Haltung und Fähigkeiten wie Future Literacy, die Zukunftsgestaltungskompetenz. Also die Fähigkeit, sich alternative Zukunftsentwürfe vorzustellen und daraus abzuleiten, wie wir in der Gegenwart handeln.

Es klingt so, als könnte Kreativität für die Zukunftsgestaltungskompetenz, für das Entwerfen von Visionen wichtig sein. Kreativität ist jedoch eine Kompetenz, die von den Eltern als eher irrelevant eingeschätzt wurde.

Das hat mich sehr überrascht. Kreativität ist einer der zentralen Begriffe für die Zukunft. Vermutlich verbinden viele Eltern Malen und Basteln mit Kreativität. Mein Begriff von Kreativität ist weiter gefasst und beschreibt die Fähigkeit, Probleme und Veränderungen zu antizipieren. Ich wüsste nicht, wie das ohne Kreativität ginge.

Selbstständigkeit, Kommunikationsfähigkeit und Lernbereitschaft werden hingegen als wichtig eingestuft. Inwiefern ist man durch solche Kompetenzen für die Zukunft gewappnet?

Diese Kompetenzen passen zu jedem Beruf. Wobei die Frage ist, wie die Begriffe definiert werden. Selbstständigkeit bedeutet oft eher Persönlichkeitsbildung. Solche Begriffe sind nach wie vor wichtig, aber wir brauchen ein neues Verständnis, das stärker von Zukunftsgedanken durchtränkt ist.

Wenn wir ein Idealbild zeichnen: Was können Jugendliche oder junge Erwachsene?

Sie können gut auf unvorhergesehene Situationen reagieren, weil sie erfahren haben, wie es ist, mit negativen Emotionen umzugehen und wissen, dass es Mitgestaltungsmöglichkeiten gibt. Sie kennen Zukunftsalternativen und respektieren unterschiedliche Blickwinkel – das bedeutet, dass sie systemisch, vorausschauend und in Alternativen denken können. Und ganz wichtig ist die Fähigkeit, mit Verlusten umzugehen, mit Privilegien etwa. Als Gesellschaft können wir das nicht.

Haben Eltern ein gutes Gespür dafür, welche Kompetenzen in Zukunft wichtig sind?

Wenn ich mir die Befragung ansehe, denke ich das nicht. Ich verstehe, warum Fleiß und Ehrgeiz weniger relevant sind. Solche Werte sind mit der Industriegesellschaft verbunden, mit dem fleißigen Industriearbeiter und weniger mit der Zukunft. Aber mir fehlt ein Nachdenken über wirkliche Zukunftskompetenzen. Widerstandsfähigkeit kann in Krisenzeiten ein Schlüssel sein, um Herausforderungen zu meistern und wurde angesichts der Pandemie ein zentraler Begriff, liegt in der Bewertung der Eltern jedoch nur im unteren Mittelfeld.

Wie können Eltern für Zukunftskompetenzen sensibilisiert werden?

Als Gesellschaft müssen wir gemeinsam über wichtige Fragen nachdenken können. Dafür brauchen wir Labore für soziale Fantasien und Orte, die sich mit Zukunftsszenarien beschäftigen. Das können Kultureinrichtungen, Bibliotheken oder natürlich Orte wie das Futurium sein. Dort könnten Frust, Ängste, Fantasien und ambivalente Gefühle thematisiert werden. Übrigens, in den Umfrageergebnissen steckt eine Ambivalenz: Die Eltern blicken positiv auf die Zukunft der Kinder, bewerten Schulen aber negativ.

Sie sprechen davon, dass 88 % der Eltern positiv auf die Zukunft ihrer Kinder blicken und zugleich 72 % der Meinung sind, dass es der Schule weniger gut gelingt, Kompetenzen für die Zukunft zu vermitteln.

Das soziale Vertrauen in die Institution Schule ist gesunken und zwar deutlich. Den Vertrauensschwund in Institutionen beobachtet man überall; er bildet sich auch im Bildungssystem ab. Letztlich sind Schulen wie Tanker und ändern nur langsam den Kurs, da lassen sich neue Entwicklungen nicht schnell umsetzen.

Sehen Sie allein Schulen in der Pflicht oder gibt es da auch andere Akteurinnen und Akteure?

Es ist ein Zusammenspiel. Lehrkräftefortbildungen reichen nicht aus. Auch außerschulische Angebote sind wichtig. Aber außerschulische Erfahrungen müssen in den Unterricht zurückgebunden werden. Das gelingt nicht nur über einen Wandertag. Dafür bräuchte es Zeitblöcke, in denen man über lokale und globale Zusammenhänge nachdenkt.

Wie erleben Sie Eltern mit ihren Kindern in Vermittlungsangeboten?

Ich habe mit sehr engagierten und teils überforderten Eltern zu tun. Wer zu uns kommt, wünscht sich Möglichkeitsräume, in denen man trainieren kann. Der weiß, dass er nicht hilflos und passiv ausgeliefert ist. Es ist nicht unser Ziel, Antworten zu geben, sondern kreatives und forschendes Entdecken zu fördern. Wenn Eltern mit ihren Kindern über Zukunftsszenarien diskutieren, wenn intergenerationelles Arbeiten entsteht, beginnt ein Austausch. Ich vermute, dass es in Schulen wenige solcher Dialogformate gibt. Gespräche, bei denen die ganze Lerngemeinschaft zusammenkommt, Lehrkräfte, Erziehungsberechtigte, Kinder und einen ernsthaften Dialog auf Augenhöhe führen über Fragen, die jenseits von Leistungsbewertung sind. Ich will aber Schulen nicht überfordern.

Sollten Eltern solche Orte aktiv für sich und auch ihre Kinder suchen?

Wir entlassen die Institution Schule hier etwas vorschnell aus ihrer Verantwortung. Die Schule als System muss Kritik aushalten, nur so kann Veränderung angestoßen werden. Die Schule ist derzeit nicht gut gerüstet, Zukunftskompetenzen praxisnah und fächerübergreifend umzusetzen. Deshalb kommen viele zu solchen Lernorten, weil es hier Angebote gibt, die Schüler sonst nicht erhalten. Es geht um die Art der Betrachtung von Themen und die Einladung zur Reflexion. Das könnte im Unterricht stattfinden.

Was die Befragung auch zeigt, ist, dass sich viele Eltern wünschen, dass ihre Kinder in MINT-Berufen arbeiten. Überrascht Sie das?

Nein, es ist eine Antwort auf die Digitalisierung. Die Mehrheit denkt, dass die Technik zunehmend in unseren Alltag Einzug erhält, daher ist das nur eine logische Entwicklung. Und dann sind die Jobs auch gut bezahlt. Technik, Forschung, Naturwissenschaften, Wirtschaft – das ist die neue Mittelschicht. Kunst und Kultur wurden niedrig bewertet, Soziales auch. Ich finde das schade und sehe in diesen Bereichen viel mehr Potenzial, weil sie Visionen für Gegenwarts- und Zukunftsherausforderungen bieten können.

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