Wie viel Entertainment verträgt Erinnerungskultur?

Millionenfach verkaufte Video-Games, Blockbuster Movies oder in Popmusik verhandeltes kulturelles Erbe: Geschichte wird nicht nur in und mit Büchern erzählt. Kann, ist und war die Darstellung von Geschichte in popkulturellen Medien mehr sein als bloßes „Versöhnungstheater“? Welche Möglichkeiten der Intervention in bestehende Geschichtsnarrative wurden und werden in popkulturellen Medien genutzt, um bestehende Vorstellungen über unsere Vergangenheit zu unterlaufen? Darüber hat Anh Tran, Podcast Host von Der Rest ist Geschichte, mit dem Autor Max Czollek und der Historikerin Stefanie Samida gesprochen.

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Blockbuster Geschichte

Wie verhandelt man Geschichte in popkulturellen Medien für ein Massenpublikum?

Spätestens seit der deutschen Erstausstrahlung der TV-Serie Holocaust im Jahre 1979 ist die Frage moralischer Grenzen bei der Popularisierung von Geschichte Teil der Auseinandersetzung über „das richtige Erinnern“.

In Fortnite, dem beliebtesten Videospiel aller Zeiten, spielen Gamerinnen und Gamer den Marsch auf Washington der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King 1963 nach.

Das von Beyonce und Jay-Z 2018 im Pariser Louvre gedrehte Video zu ihrer Single „Apeshit“ ist gespickt von kunsthistorischen Anspielungen. So zeigen sich die beiden vor Ikonen der westlichen Kunst, in einem Museum, dessen Werke zum Teil aus imperialen Raubzügen stammen und „kapern“ performativ einer der zentralen Orte westlicher Hochkultur und weißem kulturellen Erbe.

Entzieht sich die popkulturelle Auseinandersetzung mit Geschichte dem Vorwurf der Vergangenheitsbewältigung oder ist sie Teil davon?

  • Claudia Höhne / Körber-Stiftung

Die Debatten, die bereits in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren am Beispiel der Serie Holocaust geführt wurden, haben keineswegs an Brisanz verloren. Heute gibt es eine Vielzahl von Blockbusterformaten auch in neuen popkulturellen Medien, allen voran im Feld der Videospiele, die ähnliche Diskussionen auslösen. Im August vergangenen Jahres ging in Fortnite das Level Voices of the Forgotten online – eine Fortnite-Umgebung, in der Spielende ein Holocaust Museum besuchen und dort anhand von Oral History mehr über den Holocaust erfahren. Mehr als 400 Millionen Menschen spielen Fortnite regelmäßig. Die TV-Serie „Holocaust“ wurde von 20 Millionen Deutschen geschaut. Dies entspricht 50 Prozent der damaligen Bevölkerung.

Vor diesem Hintergrund besprachen Max Czollek und Stefanie Samida nicht nur Methodiken der Geschichtsvermittlung, Adornos Prämissen und den Erlebnisgehalt von sogenannten Reenactments geschichtlicher Zeitperioden und Ereignisse – vor allem Fragen nach den Möglichkeiten von Fiktion waren den Beispielen vorangestellt. Wie verhandeln wir Lücken in Archiven? Wie begegnen wir Stimmen, die selbst nicht mehr erzählen können? Wie nimmt ein Publikum popkulturelle Geschichtskonstruktionen wahr?

Grundsätzlich ließ sich sagen, dass Popkultur eine zunehmend bedeutendere Rolle spielt, um Geschichte für ein breites Publikum besser zugänglich und lebendiger zu gestalten. Allerdings sind Geschichtserzählungen nicht neutral, sondern reflektieren stets bestimmte Perspektiven und können Lücken oder Verzerrungen aufweisen. Die Emotionalisierung und Personalisierung von Geschichte birgt jedoch auch das Risiko einer unzulässigen Vereinfachung oder Instrumentalisierung, insbesondere in einem politischen Kontext – denn Narrative dienen oftmals der Konstruktion nationaler Identität: Vor allem in Hinsicht auf deutsche Erinnerungskultur betont Czollek hier die Mechanismen, welche Erinnerungsarbeit und Selbstkonstruktion miteinander verknüpfen.

Dieses Land hat eine Möglichkeit gefunden, die eigene Gewalt und Aggressionsgeschichte zu einer Quelle für eine neue nationale Aufwertung zu finden.

Max Czollek, Autor und Kurator

Der Einsatz von Fiktion in der Geschichtsvermittlung wurde von unserem Panel als durchaus notwendig erachtet, um Lücken in den Archiven zu füllen und Perspektiven zu beleuchten, die sonst unsichtbar bleiben. Gleichzeitig wurde die Notwendigkeit einer pluralen Erinnerungskultur betont, die verschiedene Stimmen und Erzählungen berücksichtigt, statt dominante Narrative zu reproduzieren. Insgesamt wurde gefordert, Popkultur aktiv in die Geschichtsvermittlung zu integrieren, wobei jedoch eine kritische Hinterfragung erforderlich ist, welche Geschichten erzählt und welche Perspektiven eingeschlossen oder ausgeschlossen werden.

  • Claudia Höhne / Körber-Stiftung