1. Preis Geistes- und Kulturwissenschaften 2024
Stefan Nagel schaute Fachkräften in Produktionsunternehmen über die Schulter. Aus seinen Beobachtungen entwickelte er konkrete Ansätze, um nachhaltiges Handeln in der Berufsausbildung zu fördern. Denn nur mit entsprechend ausgebildeten Fachkräften können Unternehmen den Wandel zu einem ressourcenschonenden Wirtschaften meistern.
Die Forschung
Wie Fachkräfte zur Nachhaltigkeit in Unternehmen beitragen
Text: Mann beißt Hund
Fotos: Patrick Pollmeier
Stefan Nagel hatte eine klare Vorstellung, wie es für ihn nach dem Studium weitergehen würde: Der nächste logische Karriereschritt für den Maschinenbauingenieur und angehenden Berufsschullehrer war das Referendariat an einer berufsbildenden Schule. Aber dann bot ihm eine Promotionsstelle die Gelegenheit, zwei Themen zusammenzuführen, die ihn sehr interessierten: Metalltechnik und Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE). Für seine Doktorarbeit an der Leibniz Universität Hannover ging Nagel der Frage nach, wie Fachkräfte industrieller Metallberufe in ihrem Arbeitsalltag nachhaltigkeitsorientiert handeln (können) und wie sich eine derartige Arbeitsweise schon in der Ausbildung verankern lässt.
Nachhaltigkeit für die Arbeit von Fachkräften konkretisieren
„Eine nachhaltige Entwicklung gehört zu den Leitzielen der Vereinten Nationen. Das stellt klare Anforderungen an Unternehmen. Die Wirtschaft muss sich transformieren – mit dem Ziel, dass unsere natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben“, erklärt Nagel. „Dafür ist ein Wandel auf allen Ebenen in Unternehmen nötig. Fachkräfte müssen zum Beispiel wissen, wie und wo sie eine verantwortungsvolle Unternehmensentwicklung mitgestalten können. Man muss den abstrakten Anspruch ‚Nachhaltigkeit‘ also auf die ganz konkrete Arbeitsebene herunterbrechen“, erklärt Nagel.
Um das zu tun, blickte Nagel insbesondere Industriemechaniker:innen in zehn verschiedenen Unternehmen mehrere Wochen lang genau über die Schulter. Das Berufsbild ist sorgfältig gewählt. „Industriemechaniker:in ist ein weitverbreiteter Ausbildungsberuf in der Industrie. Er ist inhaltlich sehr breit aufgestellt und weist unterschiedliche Einsatzgebiete und Handlungsfelder auf“, sagt Nagel. Für seine Forschung begleitete er unter anderem Fachkräfte bei einem Automobilzulieferer, einem Unternehmen, das Blockheizkraftwerke herstellt, einem Windenergieanlagenhersteller, einer Großmolkerei oder einem Papier- und Verpackungshersteller.
Instandhaltung von Druckluftanlagen als Nachhaltigkeitsaufgabe
Wie sehr Fachkräfte zur Nachhaltigkeit beitragen könnten, lasse sich gut am Beispiel „Druckluft-Leckagen“ erklären, sagt Nagel. „Druckluft ist ein sehr teures und energieintensives Medium, das in vielen Betrieben eingesetzt wird. Dabei kommt es aber immer wieder zu Leckagen. Die Instandhaltung solcher Anlagen gehört zu den Aufgaben von Industriemechaniker:innen. Aber die Ortung und Abstellung der Leckagen wird nicht überall mit derselben Akribie verfolgt.“
Wie viel Energie und Geld Unternehmen dadurch verlieren, rechnet Nagel vor: „Eine einzige drei Millimeter große Leckage erzeugt bei sieben bar und einem 75-KW-Kompressor bei einem Dreischichtbetrieb in einem Jahr etwa elf Tonnen CO2. Das entspricht dem durchschnittlichen CO2-Fußabdruck, den ein Mensch in Deutschland in einem Jahr erzeugt“, sagt Nagel.
Fachkräften mehr Gestaltungsspielraum geben
Auch die Strukturen im Unternehmen müssen stimmen, damit Fachkräfte nachhaltig handeln können. Vor allem größere Unternehmen hätten das häufig erkannt und zum Beispiel partizipative Optimierungssysteme oder Arbeitsgruppen für das Energie-, Umwelt- oder Arbeitsschutzmanagement eingerichtet, erzählt Nagel: „Fachkräfte werden dabei aktiv eingebunden. Mit ihrem Erfahrungswissen erkennen sie häufig Optimierungspotenziale, die Kolleg:innen auf Managementebene gar nicht so detailliert auf dem Schirm haben.“
Eine nachhaltige Transformation im Unternehmen sei nur mit einer entsprechenden Kultur der Zusammenarbeit über Hierarchien hinweg möglich, bilanziert Nagel: „Es ist entscheidend, dass Fachkräfte nicht nur als ausführende Arbeitskräfte verstanden werden, sondern als Expert:innen des Shopfloors, die den Betrieb aktiv mitgestalten.“ Das fördere auch die Motivation und Arbeitszufriedenheit. Ein positives Beispiel habe er in einem Unternehmen beobachtet, das Blockheizkraftwerke herstellt. „Die Ingenieure und Ingenieurinnen wollten ihren Entwurf optimieren und zogen eine Fachkraft hinzu. Die empfahl, eine bestimmte Komponente an einer anderen Stelle zu verbauen, damit sie bei zukünftigen Wartungen besser erreichbar wäre“, erzählt Nagel.
Anknüpfungspunkte für die berufliche Bildung
Damit angehende Fachkräfte industrieller Metallberufe in Zukunft schon in der Ausbildung lernen, wie sie durch ihre Arbeit zur Nachhaltigkeit in Unternehmen beitragen können, hat Nagel seine Erkenntnisse mit Theorien einer Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung zusammengeführt und konkrete Ansätze entwickelt. Unter anderem beschreibt er genau, welche Kompetenzen für ein nachhaltigkeitsorientiertes Berufshandeln nötig sind und in der beruflichen Bildung aufgegriffen werden sollten. Darüber hinaus hat Nagel einen didaktischen Rahmen zur Ausgestaltung einer Beruflichen Bildung für Nachhaltige Entwicklung entwickelt – der mit Bezug zur untersuchten Facharbeit Leitfragen, Gestaltungsprinzipien und Beispiele bereithält. Diese Ergebnisse sollen das Berufsbildungspersonal darin unterstützen, Auszubildende für die nachhaltige Mitgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft zu befähigen. Nagel: „Wenn es gelingt, nachhaltiges Handeln in die Berufsbildung zu integrieren, werden Fachkräfte in ihren Unternehmen ein Stück weit zu Multiplikatoren für eine solche Arbeitsweise und eine nachhaltige Unternehmensentwicklung.“
„Theoretisch fundiert, interdisziplinär innovativ und mittels Fallstudien zeigt Stefan Nagel überzeugend, wie Fachkräfte mit einer zukunftsorientierten Berufsbildung zum Erfolgsfaktor für eine nachhaltige Transformation werden.“
Kai Gehring, Mitglied der Jury
Der Preisträger
Der 34-jährige Stefan Nagel studierte an der Leibniz Universität Hannover „Technical Education”, Lehramt an berufsbildenden Schulen sowie Maschinenbau. Der Landeshauptstadt Niedersachsens weiterhin verbunden blieb er auch nach seiner Promotion: Aktuell ist Stefan Nagel als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Leibniz Universität Hannover tätig, wo er neben Forschung und Lehre aktuell den Aufbau des InnovationLab leitet.
Beitragstitel: Nachhaltige Transformation als Handlungs- und Bildungsanspruch
Stefan Nagel
Kontakt via LinkedIn
Promotion an der Leibniz Universität Hannover, Fakultät für Maschinenbau