1. Preis Sozialwissenschaften 2024
Umweltzonen bringen mehr gesundheitlichen und damit auch finanziellen Nutzen, als bisher bekannt war – das zeigt Hannah Klauber mit einer experimentähnlichen Forschungsmethode.
Die Forschung
So wichtig ist saubere Luft für die Gesundheit von Kindern
Text: Mann beißt Hund
Fotos: Patrick Pollmeier
Saubere Luft ist laut der Weltgesundheitsorganisation ein Menschen- und ausdrücklich auch ein Kinderrecht. Umweltzonen sollen die Luftqualität in Städten erhöhen, indem sie Autos mit hohem Schadstoffausstoß vor allem aus Innenstadtbereichen verbannen. Aber das Für und Wider von Umweltzonen wird erhitzt diskutiert: Wiegt der Nutzen wirklich die Kosten auf, die zum Beispiel für die Umrüstung von Autos anfallen? Mit ihrer Dissertation an der Technischen Universität Berlin wirft Dr. Hannah Klauber neue Argumente in die Waagschale – zugunsten der Umweltzonen.
„In den Kosten-Nutzen-Abwägungen werden häufig nur die direkten Effekte der Umweltzonen berücksichtigt. Dabei werden wichtige, langfristige Effekte übersehen und der Gesamtnutzen unterschätzt“, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin. In ihrer Doktorarbeit hat sie einen solchen langfristigen Effekt von Umweltzonen erstmals nachgewiesen: Bereits eine geringfügig bessere Luftqualität im ersten Lebensjahr von Kindern erhöht die Atemwegsgesundheit mindestens bis zum Schuleintritt.
Verschreibungen von Atemwegsmedikamenten im Vergleich
Ein besonderer Umstand bei der Einführung der Umweltzonen in Deutschland hat Klaubers Forschung möglich gemacht: Verschiedene Städte haben zu verschiedenen Zeitpunkten Gebiete für Autos mit hohem Schadstoffausstoß gesperrt. Das erlaubt es, die Wirkung lokaler Besonderheiten oder zeitlicher Trends aus den Ergebnissen herauszurechnen. Für jede der 44 untersuchten Umweltzonen nahmen Klauber und ihre Ko-Autoren zwei Gruppen von Kindern in den Blick: einerseits Kinder, die mindestens ein Jahr vor Einführung der Umweltzone geboren wurden, andererseits solche, die erst danach zur Welt kamen. Die eine Gruppe hatte im ersten Lebensjahr noch die Luft vor Einführung der Umweltzone geatmet, die andere nicht. Ab dem zweiten Lebensjahr gewährleistet die Studie, dass alle Kinder der gleichen Luftschadstoffbelastung ausgesetzt sind.
Anschließend ermittelte Klauber, wie viele Medikamente zur Behandlung von Asthma und anderen Atemwegserkrankungen die Kinder beider Gruppen in den ersten fünf Lebensjahren verschrieben bekamen. Die Daten dazu lieferten Krankenkassen. Das Ergebnis: Im ersten Lebensjahr gibt es keinen Unterschied zwischen den Verschreibungen. Aber ab dem zweiten bis hinein ins fünfte Lebensjahr nahmen die vor Einführung der Umweltzone geborenen Kinder mehr Atemwegsmedikamente. „Wir können also erst ab dem zweiten Lebensjahr einen Effekt beobachten. Das zeigt, dass Effekte sehr schnell übersehen werden, wenn sie langfristiger und subtiler sind“, erklärt Klauber. Zudem sorgt der geringere Bedarf an Medikamenten auch für Ersparnisse bei den Krankenkassen. In Zahlen: Rund 30,5 Millionen Euro geringere Arzneikosten fielen für neugeborene Kinder in den zehn Jahren nach Einführung der ersten Umweltzonen an. Da diese Kosteneinsparungen allein auf die verbesserte Luftqualität im ersten Lebensjahr zurückzuführen sind, machen sie nur einen kleinen Teil des gesamten volkswirtschaftlichen Gesundheitsnutzens der Umweltzonen aus. Bereits dieser Teil deckt jedoch etwa ein Viertel der hypothetischen Nachrüstungskosten für jene Fahrzeuge ab, die bei Einführung der Fahrverbote nicht einmal die einfachste, rote Plakette bekamen und als Erstes von der Maßnahme betroffen waren.
Selbst geringe Veränderungen der Luftqualität wirken sich aus
Überrascht war die 31-Jährige vor allem davon, wie deutlich das Ergebnis war. „Im Durchschnitt reduziert sich die Feinstaubkonzentration um etwa ein Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, wenn eine Umweltzone eingerichtet wird. Das ist nicht viel. Mich hat beeindruckt, dass der Gesundheitsnutzen schon bei so einer geringen Verbesserung der Luftqualität so hoch ist. Wir haben die Robustheit der Analysen mehrfach getestet, der Effekt ist sehr deutlich“, sagt Klauber.
Nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch hat sie damit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung von Umweltwirkungen auf die Gesundheit geleistet. „Ein experimentelles Forschungsdesign ist der Goldstandard, um kausale Effekte zu identifizieren. Aber in der Realität ist es oft schwierig, die richtigen Rahmenbedingungen dafür zu finden“, erklärt Klauber. „Die Umweltzonen geben uns die seltene Möglichkeit, ein experimentähnliches Forschungsdesign aufzusetzen. Neu ist an unserer Analyse vor allem, dass wir nicht nur herausfinden konnten, dass Gesundheitseffekte durch die Umweltzonen entstehen. Vielmehr können wir unterscheiden, ob sich Effekte direkt im ersten Lebensjahr oder erst im dritten oder fünften Lebensjahr zeigen.“
Mit volkswirtschaftlichen Methoden die Folgen von Umweltveränderungen aufspüren
Wie geht es nun weiter mit diesen Erkenntnissen? Klauber hofft auf zweierlei Wirkung. „Zum einen hoffe ich, dass die Ergebnisse einen Anreiz zur weitergehenden Erforschung dieser Art von längerfristigen Effekten sind – auch wenn es methodisch herausfordernd ist“, sagt Klauber. Außerdem hofft sie, dass ihre Forschung zukünftig in der Debatte um verkehrspolitische Maßnahmen Berücksichtigung findet. „Die Erkenntnisse machen deutlich, dass selbst kleine Verbesserungen große gesundheitliche Effekte haben können. Hier müssen wir genauer hinschauen und den Nutzen von sauberer Luft umfassender abwägen“, betont Klauber.
Auch sie selbst möchte weiterhin dazu beitragen, die Umweltwirkungen besser zu verstehen. Ihr Interesse daran reicht weit zurück: Schon im Studium hatte sich Klauber für die Schnittstelle zwischen Gesundheits- und Umweltökonomik interessiert – d.h. dafür, mit den Methoden der Volkswirtschaft kausale Effekte von Umweltveränderungen auf die Gesundheit zu untersuchen. Weitere Studien im Rahmen ihrer kumulativen Doktorarbeit beschäftigten sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen von Hitze. Auch ihr aktueller Forschungsaufenthalt an der amerikanischen Elitehochschule Harvard widmet sich diesem Thema. Nach ihrer Rückkehr an das Berliner Klimaforschungsinstitut MCC im September 2024 bleibt sie Thema und Methode treu: Als Nächstes möchte sie genauer herausfinden, wie sich Hitze auf Arbeitsunfähigkeiten auswirkt.
„Mit ihrer Analyse von umfassenden Datensätze über Arzneimittelverschreibungen in Umweltzonen eröffnet Hannah Klauber eine neue Perspektive auf die uns alle betreffende Luftverschmutzung.“
Elisabeth von Thadden, Mitglied der Jury
Die Preisträgerin
Nach ihrem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln ging Hannah Klauber in die Hauptstadt, wo sie ihr Studium der Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität zu Berlin absolvierte. Ihre Promotion erfolgte an der Technischen Universität Berlin. Derzeit ist die 31-jährige als Postdoktorandin am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin sowie am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung tätig. Für einen Forschungsaufenthalt verbrachte sie zuletzt drei Monate an der Harvard University in Cambridge in den USA.
Beitragstitel: Kinder brauchen saubere Luft: Warum ein tieferes Verständnis der gesundheitlichen Folgen schlechter Luftqualität notwendig ist
Hannah Klauber
Kontakt via Mail
Promotion an der Technischen Universität Berlin, Fakultät VI – Planen Bauen Umwelt