1. Preis Natur- und Technikwissenschaften 2024

Jährlich sterben mehr als 200.000 Menschen in Deutschland an Krebs. Systembiologin Lena Cords will das ändern. Mit einem neuartigen Klassifizierungssystem für Bindegewebszellen liefert sie die Basis für neue Therapieformen, die die guten Effekte von Bindegewebszellen nutzen und die schlechten unterdrücken könnten.

Lena Cords Forschung im Portrait

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Das Bindegewebe im Kampf gegen Krebs | Lena Cords | Deutscher Studienpreis 2024 Quelle: YouTube/Körber-Stiftung

Die Forschung

Unterschätzt: das Bindegewebe im Kampf gegen Krebs

Text: Mann beißt Hund
Fotos: Patrick Pollmeier

Welche Rolle spielen Bindegewebszellen – sogenannte Fibroblasten – bei Lungenkrebs? Mit dieser Frage startete Systembiologin Lena Cords in ihre Dissertation an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) und der Universität (UZH) Zürich. Zwar hatten schon viele Forschende vor ihr beschrieben, dass verschiedene Bindegewebszellen im Guten wie im Schlechten auf Tumore einwirken können. Doch gab es kein einheitliches System dieser krebsassoziierten Fibroblasten, kurz KAF genannt – für sie ein unhaltbarer Zustand. „Es war chaotisch. Deswegen habe ich zunächst ein Klassifizierungssystem entwickelt“, sagt Cords. Erst in einem zweiten Schritt widmete sie sich der genauen Analyse der KAF-Effekte bei der weltweit häufigsten und tödlichsten Krebsart: Lungenkrebs.

Ein selbsterklärendes Klassifizierungssystem

Aufgrund der Coronapandemie, in der ihr Labor nicht zugänglich war, hatte sie zunächst viel Zeit für Literaturrecherche und die Analyse von Datensätzen zur Genaktivität von Fibroblasten bei verschiedenen Krebsarten. So hat sie computergestützt die Genaktivität von 16.000 KAFs von Brustkrebspatientinnen analysiert und sie anhand dieser klassifiziert. Dabei fand sie neun verschiedene KAF-Typen mit spezifischen Eigenschaften (Biomarkern), die auf positive und negative Aktivitäten der Fibroblasten hindeuteten. Sie identifizierte etwa KAFs, die Blutgefäße unterstützten oder Kollagene herstellten, und solche, die Entzündungsreaktionen förderten oder die Krebszellen unterstützten. „Die jeweilige Funktion spiegelt sich in meiner gewählten Namensgebung der KAFs wider, um ein möglichst selbsterklärendes Klassifizierungssystem zu erstellen“, erläutert Cords. Die KAFs heißen etwa „tumor-like“, was auf ihre tumorunterstützende Wirkung hinweist, oder „Inflammatory“, was die entzündungsfördernde Immunantwort gegen den Tumor beschreibt.

Neuartige Bilder mit „Imaging Mass Cytometry“

Als sie wieder ins Labor konnte, fing für sie der spannendste Teil an: Mithilfe des bildgebenden Verfahrens „Imaging Mass Cytometry“ (IMC), das ihr Doktorvater entwickelt hatte, konnte sie in den Patientengewebeproben wie in einem vielschichtigen Bild über 40 Strukturen gleichzeitig sehen. Das erlaubte ihr einen deutlich umfassenderen Blick als etwa die Mikroskopie. Sie bildeten die Grundlage für ihr Klassifizierungssystem, das auf viele verschiedene Krebsarten anwendbar ist.

David Ausserhofer

„Lena Cords hat sich in ihrer herausragenden Dissertation der bisher wenig beachteten Rolle von Bindegewebszellen in der Krebsbehandlung gewidmet. Mit ihren Erkenntnissen legt sie den Grundstein für Krebstherapien der Zukunft.“

Tanja Schultz, Mitglied der Jury

Nur auf Immunzellen zu schauen, reicht nicht

Mittels IMC konnte sie sehen, dass bösartige KAFs etwa am Rand des Tumors angesiedelt sind, um die Tumorzellen mit Energie zu versorgen und so das Tumorwachstum zu fördern. Andere bildeten eine Art Mauer um die Tumorzellen, was es den Immunzellen wiederum unmöglich machte, den Tumor zu bekämpfen. „Mit anderen Methoden hätte ich vielleicht nur gesehen, dass sich im Gewebe um den Tumor viele Immunzellen befinden. Das wäre erst einmal positiv. Aber dass sie wegen der Abkapselung durch einen speziellen KAF-Typen nicht zum Tumor durchkommen, um ihn zu bekämpfen, konnte ich nur mittels IMC erkennen“, erklärt die 29-Jährige.

  • Eine analysierte Patientenprobe, die mithilfe von Färbungen, unterschiedliche Proteine beziehungsweise Zellen im Tumor zeigen.
    Eine analysierte Patientenprobe, die mithilfe von Färbungen, unterschiedliche Proteine beziehungsweise Zellen im Tumor zeigen.
  • In Rot: die Tumorzellen; In Blau: Zellkern/DNA; Anders farbige Elemente: Mischung aus Immunzellen und Fibrolasten
    In Rot: die Tumorzellen; In Blau: Zellkern/DNA; Anders farbige Elemente: Mischung aus Immunzellen und Fibrolasten

Sechs Millionen Gewebeproben analysiert

Im zweiten Teil ihrer Dissertation hat Lena Cords ihr Klassifizierungssystem schließlich auf Gewebeproben von über 1000 Lungenkrebspatient:innen angewendet, die über mehrere Jahre am Universitätsspital Zürich gesammelt wurden. So konnte sie über sechs Millionen Einzelzellen und knapp eine Million Fibroblasten sowie deren Einfluss auf das Patientenüberleben analysieren. Aufgrund der langen Nachbeobachtungszeit der Patient:innen von über 15 Jahren konnte sie bestätigen, dass KAFs Rückschlüsse darauf zulassen, wie stark sich Metastasen bilden, wie gut oder schlecht Patient:innen auf Chemotherapien ansprechen, ob sie überleben oder nicht.

Neues Level der Krebstherapie

Dieses neue Wissen hat das Potenzial, die Krebstherapie auf ein neues Level zu heben. So gäbe es für einige Krebsarten neben Chemo- und Immuntherapie die Möglichkeit, die Bindegewebszellen individuell nach ihren Eigenschaften anzusprechen und so herkömmliche Therapien zu unterstützen. Das gab es so bisher nicht. Denn in der Vergangenheit wurden Bindegewebszellen vor allem mit dem Tumorwachstum assoziiert. Der Heilungsansatz: die Zerstörung sämtlicher Fibroblasten um den Tumor herum. Doch das war wenig erfolgreich, weil dabei auch die Bindegewebszellen zerstört wurden, die beispielsweise die Anti-Tumor-Immunantwort verstärken und so die Heilung vorantreiben.

Forschungsergebnisse werden international zitiert

Als Systembiologin erklärt Lena Cords vorrangig das Ökosystem und Wechselspiel der Tumorzellen mit deren direkter Umgebung. Für die Entwicklung von Therapien sind andere zuständig. Ihre Artikel, die im vergangenen Jahr in hochrangigen Fachmedien erschienen, sind aber bereits auf viel Interesse gestoßen und wurden international zitiert. Für die Wahl-Münchenerin geht es zunächst am Helmholtz Zentrum München weiter. „Ich bin aktuell in der Lungenfibrose-Forschung und untersuche, wie verschiedene Zellen miteinander kommunizieren. Ich gehe nun einen Schritt weiter als in meiner Doktorarbeit und erforsche neben dem Was vor allem das Wie“, so Cords. Der Wissenschaft bleibt sie in jedem Fall treu.

Die Preisträgerin

Lena Cords (29) studierte Molekulare Medizin an der Eberhard Karls Universität Tübingen, bevor sie ihr Studium mit einem Master of Science in Immunologie an der University of Oxford fortführte. Für ihr Promotionsstudium zog es sie nach Zürich an die Universität Zürich und die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich. Derzeit arbeitet sie als Postdoktorandin am Helmholtz Zentrum München.

Beitragstitel: Gut gegen Böse – Wenn das Bindegewebe Krebs bekämpft

Lena Cords

Kontakt via LinkedIn

Promotion an der Universität Zürich und Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät.

Bildergalerie

  • Lena Cords analysierte für ihre Dissertation über sechs Millionen Einzelzellen und knapp eine Millionen Fibrolasten. Mit ihrer Forschung konnte Sie nicht nur ein einheitliches Klassifizierungssystem entwickeln sondern auch neues Potenzial für unterstützende Krebstherapien entdecken.
    Lena Cords analysierte für ihre Dissertation über sechs Millionen Einzelzellen und knapp eine Millionen Fibrolasten. Mit ihrer Forschung konnte Sie nicht nur ein einheitliches Klassifizierungssystem entwickeln sondern auch neues Potenzial für unterstützende Krebstherapien entdecken.
  • Durch die Hämatoxylin-Eosin-Färbung kann das Lungengewebe eines Patienten analysiert werden.
    Durch die Hämatoxylin-Eosin-Färbung kann das Lungengewebe eines Patienten analysiert werden.
  • Das gefärbte Patient:innen Material mikroskopierte Lena Cords während ihrer Arbeit zu verschiedenen Zwecken. Zum Beispiel überprüfte Sie bei gefärbten Proben, mithilfe von fluoreszierenden Färbemitteln, ob Antikörper funktionierten.
    Das gefärbte Patient:innen Material mikroskopierte Lena Cords während ihrer Arbeit zu verschiedenen Zwecken. Zum Beispiel überprüfte Sie bei gefärbten Proben, mithilfe von fluoreszierenden Färbemitteln, ob Antikörper funktionierten.
  • Um zusehen, wie sich bestimmte Antikörper in den Gewebeproben verhalten, werden die Patienten-Proben mit mehr als 40 Antikörpern gefärbt. Die Färbung findet über Nacht in einer sogenannten staining chamber oder humidity chamber statt.
    Um zusehen, wie sich bestimmte Antikörper in den Gewebeproben verhalten, werden die Patienten-Proben mit mehr als 40 Antikörpern gefärbt. Die Färbung findet über Nacht in einer sogenannten staining chamber oder humidity chamber statt.
  • Für die Färbung der Patientenproben werden nur circa 50-100 µl pro Probe an Antikörper Mix verwendet. Trotz der geringen Färbungsmenge kann Lena Cords die verschiedenen Antikörper in den Proben sichtbar machen.
    Für die Färbung der Patientenproben werden nur circa 50-100 µl pro Probe an Antikörper Mix verwendet. Trotz der geringen Färbungsmenge kann Lena Cords die verschiedenen Antikörper in den Proben sichtbar machen.
  • Zusmmen mit Computergestützte Datenanalyse kann Lena Cords einen noch genaueren Einblick in die Zellen der Gewebsproben erhalten. So zeigt Beispielsweise diese Grafik die Expressionsstärke von einem Protein in allen Zellen der Probe.
    Zusmmen mit Computergestützte Datenanalyse kann Lena Cords einen noch genaueren Einblick in die Zellen der Gewebsproben erhalten. So zeigt Beispielsweise diese Grafik die Expressionsstärke von einem Protein in allen Zellen der Probe.

Materialien zum Download

Wettbewerbsbeitrag und Pressefoto von Lena Cords

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