1. Preis Sozialwissenschaften 2023

Werden Frauen von ihrem (ehemaligen) Partner umgebracht, sanktionieren Richter:innen das milder als andere Tötungsdelikte, zeigt Julia Habermann. Sie fordert, dass Gewalt, die solchen Taten fast immer vorausgegangen ist, in den Urteilen stärker berücksichtigt wird.

Julia Habermanns Forschung im Portrait

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Deutscher Studienpreis 2023 – Die Sanktionierung von Partnerinnentötungen

Die Forschung

Welche Strafe erhält ein Mann, der seine Partnerin tötet?

Text: Dorthe March
Fotos: Patrick Pollmeier

Durchschnittlich jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem aktuellen oder ehemaligen Partner umgebracht – und die Zahl der Tötungsversuche und der schweren Körperverletzungen liegt weit höher. „Vor dem Hintergrund der Häufigkeit von Partnerinnentötungen ist nicht nur die Frage relevant, wie wir geschlechtsbezogene Gewalt verhindern können – sondern auch, wie wir als Gesellschaft mit ihr umgehen“, sagt Julia Habermann. Die Sozialwissenschaftlerin befasst sich seit längerem mit dem Thema geschlechtsbezogene Gewalt und hat an der Ruhr-Universität Bochum dazu promoviert.

Habermanns Dissertation zeigt, inwiefern diese Femizide milder sanktioniert werden als andere Tötungsdelikte. Zur Begrifflichkeit erklärt die Sozialwissenschaftlerin: „Ich bezeichne Tötungen durch den aktuellen oder ehemaligen Partner in meiner Arbeit als Partnerinnentötungen. Sie sind die häufigste Form von Femiziden.“ Der Begriff bezeichnet die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist – das weibliche Geschlecht spielt bei der Tat eine bestimmende Rolle.

Für ihre Dissertation hat Habermann Strafurteile gegen Täter, die ihre (Ex-)Partnerin getötet haben, mit Urteilen gegen Täter, deren Opfer andere Personen waren, verglichen. Im Detail waren das Rechtsprechungen gegen Männer, die zwischen 2015 und 2017 wegen vollendetem Mord oder Totschlag nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt worden sind. Mit einer quantitativen Inhaltsanalyse hat Habermann daraus einen statistisch auswertbaren Datensatz erstellt. Von 472 verurteilten Männern brachten 154 ihre (ehemalige) Partnerin und 318 eine andere Person um, zum Beispiel ihre Mutter oder einen Freund.

Für Partnerinnentötungen zeigt Habermann auf, dass diese oft vor dem Hintergrund einer anstehenden oder vollzogenen Trennung verübt werden. Nicht selten kündigen Täter die Tat an. „In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle sind verschiedene Formen der Gewalt vorausgegangen: körperliche, sexualisierte, psychische und finanzielle Gewalt, aber auch kontrollierende Verhaltensweisen“, erläutert Habermann.

Urteile lauten häufiger „Totschlag“ und seltener „Mord“

Die Sozialwissenschaftlerin hat ihre Analyse zur Bestrafung der Täter mit der Betrachtung der Tatbestandsebene begonnen. Täter einer Partnerinnentötung werden vergleichsweise seltener wegen Mordes verurteilt. Von hoher Relevanz ist dabei das Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe, sagt sie. Grundsätzlich seien bei Partnerinnentötungen zwei gegensätzliche Bewertungen durch Richter:innen möglich. „Wenn in den Taten von den Richter:innen als Beweggrund Macht- und Besitzanspruch erkannt wird, können sonstige niedrige Beweggründe angenommen werden. Werden die Taten allerdings als durch Verzweiflung und Ausweglosigkeit motiviert angesehen, kann ein sonstiger niedriger Beweggrund verneint werden.“ Oft sei nicht ersichtlich, ob und wie sich Richter:innen mit der Frage beschäftigt haben, dass die Tat aus Macht- und Besitzanspruch heraus begangen wurde. „In den Sozialwissenschaften dagegen wird stark berücksichtigt, wie der Täter durch das Tötungsdelikt verhindert, dass sich die Frau durch eine Trennung seinem Macht- und Besitzanspruch entzieht.“

Neben der Frage, ob es sich bei den Taten um einen Mord handelt, sei auch relevant, welche Freiheitsstrafen die Täter erhalten. Diese sind bei Tätern von Partnerinnentötungen zwar nicht kürzer, jedoch werden auch häufig relevante Umstände der Tat – zum Beispiel vorausgegangene körperliche Gewalt – nicht sichtbar in die Bestimmung der Straflänge einbezogen.

„Wie deutlich muss ein Mann noch werden?“

Macht- und Besitzanspruch und vorausgegangene Gewalt, darunter auch kontrollierende Verhaltensweisen, werden in den Urteilen also nicht erkannt und nicht hervorgehoben. „Was alles nicht mit einbezogen wird, hat mich schon – sagen wir mal – überrascht“, sagt Habermann. „Warum werden zum Beispiel gegen die Frau ausgesprochene Todesdrohungen nicht ernst genommen? Wie deutlich muss ein Mann noch werden? Warum werden diese bei der Bewertung der Tat nicht stärker berücksichtigt?“ Sie ist überzeugt: Gewalt gegen Frauen wird nicht ausreichend ernst genommen und weiterhin mit Nachsicht behandelt.

„Deshalb muss Gewalt, die einer Partnerinnentötung vorausgegangen ist, sowie Macht- und Besitzanspruch in den Urteilen stärker berücksichtigt werden“, fasst Habermann ihre Forderungen zusammen. „Justizpraktiker:innen sollten unterstützt werden, den Unrechtsgehalt von Partnerinnentötungen im Verhältnis zum Unrechtsgehalt anderer Tötungsdelikte zu reflektieren.“

Habermanns Ergebnisse bereichern den aktuellen Diskurs in der Frage, inwiefern Gesetzesänderungen – zum Beispiel die Änderung von § 46 StGB Grundsätze der Strafzumessung – zu einer angemesseneren Sanktionierung von Femiziden führen können. Die Sozialwissenschaftlerin macht sich zudem dafür stark, dass die Rolle vorausgegangener Gewalt und weitere Merkmale von Femiziden in Aus- und Fortbildung thematisiert wird – unter anderem in einer Fortbildungsveranstaltung für Rechtsanwender:innen im Auftrag der Justizakademie NRW, die im Mai 2023 stattfand. „Mein Ziel ist es, dieses Fortbildungsangebot zu verstetigen“, sagt Habermann – und ergänzt: „Die Aus- und Weiterbildung von Jurist:innen im Themenfeld geschlechtsbezogene Gewalt hat weit über Femizide hinaus Bedeutung für viele andere Formen der Gewalt – zum Beispiel, wenn Körperverletzungsdelikte und Stalking verhandelt werden. Und nicht nur im Strafrecht, sondern auch in familienrechtlichen Verfahren oder Verfahren zu Gewaltschutzanordnungen ist dieses Wissen über geschlechtsbezogene Gewalt notwendig.“

Foto: David Ausserhofer

„Julia Habermann überrascht und schockiert mit ihrer exzellenten Dissertation und erreicht damit, was Wissenschaft zum gesellschaftlichen Wachstum beitragen kann: Sie öffnet uns die Augen im Hinblick auf den Umgang mit Femiziden im Recht.“

Eckhard Nagel

Die Preisträgerin

Im Anschluss an ihr Soziologie-Studium an der Justus-Liebig-Universität Gießen (Bachelor) und an der Philipps-Universität Marburg (Master) promovierte Julia Habermann (35) an der Ruhr-Universität Bochum. Währenddessen arbeitete sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kriminologie der Ruhr-Universität Bochum und an der Professur für Kriminologie und Strafrecht der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Beitragstitel: Die Sanktionierung von Partnerinnentötungen – Eine vergleichende Urteilsanalyse zu Partnerinnentötungen als Form des Femizids

Julia Habermann

julia.habermann@rub.de

Promotion an der Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Sozialwissenschaft

Interview mit Julia Habermann

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Deutscher Studienpreis 2023: Julia Habermann

Bildergalerie

  • Julia Habermann hat an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum promoviert.
    Julia Habermann hat an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum promoviert.
  • In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit der Frage, inwiefern Partnerinnentötungen als häufigste Form des Femizids milder sanktioniert werden als andere Tötungsdelikte.
    In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit der Frage, inwiefern Partnerinnentötungen als häufigste Form des Femizids milder sanktioniert werden als andere Tötungsdelikte.
  • Um ein Tötungsdelikt als Mord zu verurteilen, muss mindestens eines der im Gesetz definierten Mordmerkmale als gegeben angesehen sein, was bei Partnerinnentötungen in zwei von drei Fällen nicht der Fall ist.
    Um ein Tötungsdelikt als Mord zu verurteilen, muss mindestens eines der im Gesetz definierten Mordmerkmale als gegeben angesehen sein, was bei Partnerinnentötungen in zwei von drei Fällen nicht der Fall ist.
  • Ihre empirische Arbeit kann als Basis für die aktuellen Diskussionen um die Angemessenheit von strafrechtlichen Sanktionierungen genutzt werden.
    Ihre empirische Arbeit kann als Basis für die aktuellen Diskussionen um die Angemessenheit von strafrechtlichen Sanktionierungen genutzt werden.
  • Die Sozialwissenschaftlerin forscht und lehrt derzeit an der Professur für Kriminologie und Strafrecht der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
    Die Sozialwissenschaftlerin forscht und lehrt derzeit an der Professur für Kriminologie und Strafrecht der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Materialien zum Download

Wettbewerbsbeitrag von Julia Habermann

Portraitfoto

Weitere Preisträger:innen aus der Sektion Sozialwissenschaften