2. Preis Sektion Natur- und Technikwissenschaften 2021
Nhomsai Hagen will nicht hinnehmen, dass Frauen in Entwicklungsländern immer noch an Nachgeburtsblutungen sterben – weil sie minderwertige Medikamente erhalten.
Die Forschung
Kampf gegen die Müttersterblichkeit
Text: Dorthe March
Pro Stunde sterben etwa zehn Frauen irgendwo auf der Welt an Nachgeburtsblutungen – die meisten in Entwicklungsländern. Dabei ließe sich ein Großteil dieser Todesfälle vermeiden, sagt Nhomsai Hagen. Die Pharmazeutin beschäftigt sich schon länger mit der Arzneimittelqualität in diesen Ländern. Für ihre Doktorarbeit hat sie nun die Qualität und Stabilität von Oxytocin und Misoprostol in Malawi und Ruanda analysiert. „Wenn sich nach der Geburt die Gebärmutter nicht richtig zusammenzieht, kann es zu oft tödlichen Nachgeburtsblutungen kommen. Oxytocin und Misoprostol lösen das Zusammenziehen der Gebärmutter aus und stoppen so die Blutung schnell und effektiv – wenn sie regelrecht wirken können”, sagt Hagen.
In Gesundheitseinrichtungen und Arzneimittel-Verkaufsstellen hat die Pharmazeutin die Qualität, die Verfügbarkeit und die Lagerbedingungen von Oxytocin-Ampullen und Misoprostol-Tabletten untersucht. „Die Proben wurden an verschiedenen Punkten der Versorgungskette gesammelt, um zu evaluieren, ob und an welcher Stelle Qualitätsprobleme auftreten”, erläutert sie. Dabei hat sie unter anderem extrem minderwertige Misoprostol-Präparate gefunden – eines setzte nur 8 Prozent der deklarierten Wirkstoffmenge frei und war damit mehr oder weniger wirkungslos!
In Deutschland stellt eine gut funktionierende Arzneimittelaufsichtsbehörde die Qualität der Medikamente, die im Umlauf sind, sicher. „Die Aufsichtsbehörden in Entwicklungsländern hingegen haben oft nur sehr begrenzte Kapazitäten für eine umfassende Qualitätsbewertung der Arzneimittel und der Hersteller vor der Arzneimittelregistrierung”, sagt Hagen. Hinzu kommt, dass die meisten Medikamente, die in Entwicklungsländern erhältlich sind, in Ländern ohne gut funktionierende Aufsichtsbehörde produziert werden. Hagen berichtet: „Wir konnten unsere Ergebnisse vor Regierungsvertretern, Organisationen und Lehrkrankenhäusern präsentieren. Darüber hinaus führten unsere Warnmeldungen an nationale und internationale Behörden zu landesweiten Rückrufen – in Malawi und Ruanda.” Und in Großbritannien wurden sogar zwei Großhändler geschlossen. Zudem konnte Hagen erstmals den stabilisierenden Effekt von Chlorobutanol auf Oxytocin detailliert beschreiben – ein möglicher Ansatz zur Entwicklung hitzestabiler Oxytocin-Präparate.
„Die Aufsichtsbehörden in Entwicklungsländern hingegen haben oft nur sehr begrenzte Kapazitäten für eine umfassende Qualitätsbewertung der Arzneimittel und der Hersteller vor der Arzneimittelregistrierung.“
Studienpreisträgerin Nhomsai Hagen
Hagens Untersuchungen haben darüber hinaus gezeigt, dass es Verbesserungsbedarf im Bereich Pharmakovigilanz – also dem Melden von unerwünschten oder fehlenden Arzneimittelwirkungen – gibt. „Deshalb haben wir Trainings zum Reporting sowie zu Arzneimittelqualität und Lagermanagement für Gesundheitspersonal in den beiden Ländern angeboten.”
Die Preisträgerin
Nhomsai Hagen
Nhomsai Hagen studierte von 2008 bis 2014 Pharmazie an der Martin-Luther-Universität Halle/Saale. Als approbierte Apothekerin arbeitete sie bis Ende 2016 in einer Apotheke in Baden-Württemberg. Von 2017 bis 2020 promovierte sie dann an der Eberhard Karls Universität Tübingen, wo sie heute als Wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitet.
Beitragstitel:
Der Müttersterblichkeit den Kampf ansagen: Von minderwertigen Medikamenten, alarmierten Behörden und Potentialen zur Abhilfe
Kontakt zu Nhomsai Hagen: Nhomsai.hagen@uni-tuebingen.de
Promotion an der Eberhard Karls Universität Tübingen,
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät