Hermeskeil/Rheinland-Pfalz

Demokratie beginnt vor Ort

Foto: Körber-Stiftung

Gemeinsam mit Bundespräsident Steinmeier haben wir am 10. und 11. April 2024 ehrenamtlich engagierte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Ortsvorstehende aus ganz Deutschland zum Erfahrungsaustausch nach Berlin eingeladen.

Eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung zeigt, was sich ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wünschen, welche Herausforderungen sie für ihre Gemeinden sehen und was sich ändern muss, um dem Nachwuchsmangel in der Kommunalpolitik zu begegnen.

Rund 6.500 ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland leisten einen zentralen Beitrag für das Funktionieren der Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort. Als Problemlöser, Konfliktvermittlerinnen, Zuhörende und Erklärer setzen sie sich in ihrer Freizeit für die Menschen in ihrem Ort ein, mit dem festen Ziel, diesen für alle besser zu machen. Dabei stehen sie vor vielfachen Herausforderungen wie zeitlichen Belastungen, einer schwierigen Vereinbarkeit mit Hauptberuf und Familie, Anfeindungen und einer desolaten Haushaltslage.

Die Sozialwissenschaftler Professor Jörg Bogumil, David H. Gehne und Luisa Anna Süß des Lehrstuhls „Öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik“ der Ruhr-Universität Bochum leisten seit einigen Jahren Pionierarbeit auf dem Gebiet der ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland und standen auch hier beratend zur Seite.

Untenstehend finden Sie Auszüge aus der Forsa-Umfrage, ergänzt um Auszüge aus anonymen qualitativen Interviews, die die Politikwissenschaftlerin Louisa Anna Süß im Auftrag der Körber-Stiftung führte.

Ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Portrait – Kurzfilm

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Demokratie beginnt vor Ort

Die Ergebnisse – Kurzzusammenfassung

50 Prozent der ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind mit den Rahmenbedingungen für die Ausführung des Amtes unzufrieden. In Rheinland-Pfalz, das kommunalpolitisch vorwiegend im Ehrenamt regiert wird, ist die Unzufriedenheit besonders hoch (63 Prozent).

88 Prozent der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister beurteilen vor allem die Unterstützung durch die Landes- und Bundespolitik sowie die derzeitige finanzielle Situation ihrer Gemeinde (63 Prozent) als weniger gut bis schlecht. Für die Zukunft sehen sogar 86 Prozent fehlende Haushaltsmittel als (sehr) große Herausforderung für ihre Gemeinde. Außerdem befürchten 71 Prozent, dass sich zukünftig in ihrer Gemeinde nicht genügend geeignete Nachfolgerinnen und Nachfolger für das Amt finden werden.

Zeitlicher Spagat zwischen Ehrenamt, Familie und Beruf

Zwei Drittel aller Befragten (65 Prozent) sind neben ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit als Bürgermeisterin bzw. Bürgermeister erwerbstätig – dies überwiegend in Vollzeit (46 Prozent). Dabei ist der zeitliche Aufwand für das Ehrenamt enorm hoch: 51 Prozent wenden mehr als 20 Stunden die Woche dafür auf, 26 Prozent sogar mehr als 30 Stunden. Dementsprechend bewerten 62 Prozent die Vereinbarkeit des Amtes mit Familie, Privatleben und Hauptberuf als weniger gut oder als schlecht.

Anfeindungen im Ehrenamt und Unmut in der Bevölkerung

Besorgniserregend ist, dass 40 Prozent der Befragten angeben, dass sie oder Personen aus ihrem Umfeld schon einmal wegen ihrer Tätigkeit beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen wurden. Aufgrund dieser Erfahrung hat jede und jeder vierte Betroffene (28 Prozent) schon einmal darüber nachgedacht, sich aus der Politik zurückzuziehen – aus Sorge um die eigene Sicherheit.

Zudem berichten fast zwei Drittel (61 Prozent) der befragten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, dass sich in ihrer Gemeinde zunehmend Unmut und Unzufriedenheit unter den Bürgerinnen und Bürgern breit macht. 35 Prozent sehen im Rechtsextremismus in den kommenden Jahren eine große Herausforderung für die eigene Gemeinde. Knapp jede und jeder Fünfte (17 Prozent) berichtet von vermehrt demokratiefeindlichen Tendenzen. In Ostdeutschland stimmt sogar jede und jeder Vierte (24 Prozent) dieser Aussage zu.

Ergebnisbericht zum Download

Die Situation ehrenamtlicher Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland

Die Ergebnisse – Langfassung

Die Sozialstruktur der ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister

Wie auch unter hauptamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern finden sich unter den befragten Ehrenamtlichen deutlich mehr Männer als Frauen (weniger als 20 Prozent). Knapp die Hälfte der Amtsträgerinnen und Amtsträger ist 60 Jahre oder älter. Zudem sind sie stark in ihren Gemeinden verwurzelt: Rund neun von zehn Befragten wohnen seit mindestens 20 Jahren in der Gemeinde, der sie als Bürgermeisterin bzw. Bürgermeister vorstehen.

Ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister: Gemeinwohl-& lösungsorientiert – aber oft überlastet

Die Motivation der ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister für ihr Engagement ist in hohem Maße ideeller Natur: Das mit Abstand am häufigsten genannte Motiv, ihr Amt auszuüben, ist die Weiterentwicklung und Gestaltung der eigenen Gemeinde, gefolgt vom Einsatz für die Mitbürgerinnen und Mitbürger vor Ort.

Die Hälfte der Befragten ist mit den Rahmenbedingungen ihres Amtes alles in allem unzufrieden. Dennoch hält es eine knappe Mehrheit der Befragten unter den derzeitigen Bedingungen grundsätzlich für sinnvoll, das Amt des Bürgermeisters bzw. der Bürgermeisterin in ihrer Gemeinde ehrenamtlich auszuüben.

Zeitlicher Aufwand und schlechte Vereinbarkeit

Der zeitliche Aufwand für das Ehrenamt ist in der Regel sehr hoch: Die Hälfte der befragten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wendet in einer durchschnittlichen Woche mindestens 20 Arbeitsstunden für ihr Amt auf. Jede/r Vierte investiert sogar mindestens 30 Stunden in die Ausübung des Amtes. Dementsprechend beurteilen auch fast zwei Drittel der Befragten die Vereinbarkeit des Amtes mit Familie, Privatleben und Hauptberuf als schlecht.

Zahlreiche Aufgaben der ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister müssen in den Abendstunden oder am Wochenende erledigt werden, etwa Gemeinderatssitzungen oder Dorffeste. Besprechungen mit Angestellten der Gemeinde müssen dagegen innerhalb von Arbeitszeiten erledigt werden. Hier braucht es eine verlässliche Regelung mit dem Arbeitgeber. In den qualitativen Interviews gaben einige Bürgermeisterinnen und Bürgermeister an, sich regulär einen Tag frei zu nehmen, um Dienstgeschäfte möglichst an einem festen Tag zu erledigen.

„Es bleibt auch viel auf der Strecke. Man muss jeden Tag, jede Stunde Prioritäten setzen.“

Ehrenamtliche Bürgermeisterin aus Rheinland-Pfalz

„Ehrenamt heißt, man kann nicht durchs Dorf gehen, ohne mit positiven oder negativen Dingen konfrontiert zu werden. Ich bin immer derjenige, der Schuld ist,
verantwortlich ist und alles immer sofort zu klären hat.“

Ehrenamtlicher Bürgermeister aus Brandenburg

Zusammenarbeit vor Ort gut, aber wenig Unterstützung von Land und Bund

Eine große Mehrheit der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister bewertet die Kooperation im Gemeinderat ebenso wie die Zusammenarbeit mit der Gemeindeverwaltung als positiv. Im Hinblick auf die eigenen Gestaltungsspielräume, um Vorhaben zu planen und voranzubringen, zeigt sich die Hälfte der Befragten dagegen unzufrieden.

Auch die Ergebnisse der qualitativen Interviews bestätigen: Ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland möchten Verantwortung übernehmen und aktiv zur Gestaltung ihrer Gemeinde beitragen. Sie sind daher besonders betroffen von den inhaltlichen und finanziellen Einschränkungen ihres Handlungsspielraums. Die Finanzierung von Dorffesten, die Gestaltung der Umgebung, selbst mit kleinen Mitteln – oft bleibt dafür neben der Erfüllung der Pflichtaufgaben kaum noch Spielraum. Einige ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister äußerten in den Interviews ihre Besorgnis darüber, dass die kommunale Selbstverwaltung in den ländlichen Gebieten gefährdet sei. Sie argumentierten, dass vor Ort zunehmend weniger Entscheidungen getroffen werden können, sei es aufgrund finanzieller Engpässe, bürokratischer Überlastung oder der Abhängigkeit von übergeordneten Entscheidungsträgern.

„Da möchte ich eine Bank streichen. Wir dürfen uns keine Dose Farbe kaufen, um diese Bank im Frühjahr wieder schick zu machen. Das sind so Kleinigkeiten und das geht immer so weiter und weiter. Dann bezahlen wir es halt selbst, weil es uns stört. (…) Da würde ich mir als Ortsbürgermeister mehr Freiheit wünschen.“

Ehrenamtlicher Bürgermeister aus Sachsen-Anhalt

Große Unzufriedenheit zeigt sich bezüglich der Unterstützung durch die Landes- und Bundespolitik: Nur jede oder jeder Zehnte hält diese für angemessen. Gleichzeitig fühlen sich auch neun von zehn Befragten durch die eigene Landesregierung angemessen anerkannt oder wertgeschätzt.

„Was uns fehlt ist im Grunde genommen, dass wir an der Basis ‐ so darf man uns kommunalpolitisch doch mal bezeichnen – zu wenig informiert werden. Wir werden mit immer mehr Aufgaben konfrontiert, aber wir werden zu wenig eingebunden.“

Ehrenamtlicher Bürgermeister aus Niedersachsen

Prekäre Finanzlage und Umsetzung der Energiewende größte Herausforderung

Neun von zehn Befragten nennen als größte Herausforderungen für ihre Gemeinde in den nächsten Jahren fehlende Haushaltsmittel. Ebenso viele betrachten die Umsetzung von Maßnahmen im Zuge der Energiewende in ihrer Gemeinde als Zukunftsaufgabe. Auch den Erhalt der Wirtschaftskraft, den demographischen Wandel, den Fachkräftemangel sowie die Aufnahme von Geflüchteten betrachtet über die Hälfte der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister als große Herausforderungen für ihre Kommune.

Danach gefragt, in welchen konkreten Bereichen der technischen und sozialen Infrastruktur in ihrer Gemeinde in den kommenden Jahren besonderer Investitionsbedarf besteht, nennen rund zwei Drittel der Befragten Verkehrswege sowie Kindertagesstätten. Die Hälfte der Befragten meint zudem, dass dringend in die Feuerwehr, die digitale Infrastruktur und Kommunikation sowie in Orte für Begegnung und Austausch investiert werden sollte.

„Die öffentliche Debatte konzentriert sich meistens auf die urbanen Räume, also auf großstädtische Strukturen, aber wir im ländlichen Bereich haben da noch ganz andere Situationen, was den öffentlichen Nahverkehr anbelangt oder die Daseinsvorsorge ”

Ehrenamtlicher Bürgermeister aus Schleswig-Holstein

Stimmung vor Ort – Mehrheit der Bevölkerung hat noch Vertrauen, aber Unmut steigt

In Bezug auf das Vertrauen gibt es gute Nachrichten: Eine sehr große Mehrheit der Amtsträgerinnen und Amtsträger ist der Ansicht, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger in ihrer Gemeinde Vertrauen zum Gemeinderat und zur Gemeindeverwaltung sowie Verständnis für notwendige politische Entscheidungen haben. Diese Einschätzungen decken sich mit den Befunden von Befragungen unter der Bevölkerung, die Forsa regelmäßig zu diesen Themenbereichen durchführt.

Die Hälfte der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister geht davon aus, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger sich für das politische Geschehen vor Ort interessiert – auch diese Einschätzung stimmt weitgehend mit von Forsa durchgeführten Bevölkerungsbefragungen überein. Beides deutet darauf hin, dass die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in den kleinen und sehr kleinen Gemeinden offenbar ein gutes Gespür für die Befindlichkeiten der Bürgerinnen und Bürger vor Ort haben und deren Stimmung durchaus realistisch einschätzen.

Die schlechte Nachricht: Fast zwei Drittel der Befragten berichten, dass die Unzufriedenheit unter den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort zunimmt. Knapp jede/r Fünfte meint sogar, dass es vor Ort vermehrt demokratiefeindliche Tendenzen gibt.

„Da wird nicht mehr differenziert. An vielen Stellen vermisse ich deutlich den Diskurs. Die Diskurswilligkeit. Sich mal auseinanderzusetzen und wirklich mal abzuwägen, wo ist denn welche Option und welche Belastung.“

Ehrenamtlicher Bürgermeister aus Brandenburg

In den Gesprächen äußern einige ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister die Ansicht, dass in der Bevölkerung eine grundlegende Unzufriedenheit mit der Landes- und Bundespolitik herrscht, welche sich nun auch auf die Kommunalpolitik auswirkt.

Anfeindungen und Übergriffe im Ehrenamt

Vier von zehn Befragten berichten, dass sie oder Personen aus ihrem privaten Umfeld schon einmal aufgrund ihrer Tätigkeit als Bürgermeisterin bzw. Bürgermeister beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen worden sind. Zwar sagen nur wenige der Betroffenen, dass dies „häufig“ vorkommt, jedoch handelt es sich bei der überwiegenden Mehrheit keineswegs um Einzelfälle. Auch fühlt sich die Hälfte der Betroffenen durch die Anfeindungen und Übergriffe stark belastet.

Jede/r Vierte, der oder die schon einmal Anfeindungen erlebt hat, hat aus Sorge um die eigene Sicherheit bzw. die der eigenen Familie schon einmal konkret darüber nachgedacht, sich aus der Politik zurückzuziehen.

„Eigentlich bin ich ja Beamter auf Zeit für die vier Jahre. Da erwarte ich auch einen gewissen Schutz, zumindest in der Form, dass die nötige Anzeige für mich gemacht wird. (…) Es ging ja ums Ehrenamt.“

Ehrenamtlicher Bürgermeister aus Sachsen-Anhalt

Eine ungewisse Zukunft

Rund die Hälfte der ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister plant aktuell, bei der nächsten Wahl wieder für das Amt zu kandidieren. Diejenigen, die nicht noch einmal antreten möchten, begründen dies in erster Linie mit ihrem fortgeschrittenen Alter. Auch die hohen Anforderungen des Amtes sowie eine mangelnde Unterstützung und Konflikte spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle.

Die Zukunft des ehrenamtlichen Bürgermeisteramts ist in einer Vielzahl der Kommunen ungewiss: Ist das Durchschnittsalter der Bürgermeisterinnen und Bürger bereits recht hoch (knapp die Hälfte ist 60 Jahre oder älter), geht zudem noch eine große Mehrheit der Befragten davon aus, dass ihre Gemeinde mangels geeigneter Interessentinnen und Interessenten für das Amt künftig ein „Nachwuchsproblem“ bekommen wird.

Um vor diesem Hintergrund das Amt künftig attraktiver für potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten zu gestalten, sind in den Augen der Befragten insbesondere eine bessere finanzielle Kompensation der ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, größere individuelle Gestaltungsspielräume sowie eine Reduktion der Verwaltungstätigkeiten – also „weniger Bürokratie“ – erforderlich. Jüngere Befragte unter 50 Jahren sehen neben einer besseren finanziellen Kompensation mehrheitlich auch eine einfachere bzw. häufigere Freistellung von der beruflichen Haupttätigkeit als besonders geeignete Maßnahme an, um die Attraktivität des Amtes zu steigern.

Etwa 60 Prozent der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland üben ihre Position nicht hauptberuflich, sondern ehrenamtlich aus. Sie sind direkte Ansprechpartner vor Ort für eine Vielzahl von Bürgeranliegen, angefangen bei alltäglichen Problemen bis hin zu größeren Herausforderungen wie Infrastrukturprojekten (Breitbandausbau, Energiewende-Maßnahmen, Kindergärten) oder der Unterbringung von Geflüchteten.

In vielen Fällen sind ehrenamtlich verwaltete Gemeinden Teil einer Verwaltungsgemeinschaft, die je nach Bundesland als Samtgemeinde, Verbandsgemeinde oder Amt bezeichnet wird. Diese Verwaltungsgemeinschaften werden von hauptamtlichen Bürgermeisterinnen oder Bürgermeister geleitet und übernehmen einen Großteil der Verwaltungsaufgaben.

Ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister arbeiten eng mit Behörden und der nächsthöheren Verwaltungsebene zusammen, um lokale bürokratische Prozesse zu bewältigen. Teilweise übernehmen sie auch Verwaltungsaufgaben und unterstützen damit ihre hauptamtlichen Kollegen. Sie informieren, erklären und vermitteln zwischen verschiedenen Gruppen in der Gemeinde, darunter Vereine, Bürgerinnen und Bürger sowie Interessenvertreter, um das Zusammenleben vor Ort zu fördern. Sie leiten den Gemeinderat und sind Vorgesetzte der Angestellten der Gemeinde, beispielsweise in Kindertagesstätten. Gleichzeitig vertreten sie die Interessen ihrer Gemeinde nach außen, einschließlich gegenüber der nächsthöheren Verwaltungsebene.

Parteipolitik spielt in ihrer Arbeit zumeist eine eher geringe Rolle. Ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister engagieren sich vor allem als Praktikerinnen für die Anliegen aller vor Ort. Sie sind Vertrauenspersonen, Netzwerker und Fürsprecher und Seismografen für die Stimmung in der Gemeinde. Oft übernehmen sie auch die Rolle von Mediatorinnen und Mediatoren, um kontroverse Diskussionen im Ort zu moderieren. Vor allem sind sie jedoch oft rund um die Uhr Ansprechpartner, unabhängig von formellen Zuständigkeiten. Dies erfordert ein außergewöhnliches Engagement für das Gemeinwohl.

Unterschiede zwischen den Einschätzungen ost- und westdeutscher Bürgermeisterinnen und Bürgermeister werden insbesondere beim gesellschaftlichen „Lagebild“ vor Ort deutlich, welches in Ostdeutschland insgesamt angespannter ausfällt: Ostdeutsche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister meinen seltener als ihre westdeutschen Kolleginnen und Kollegen, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger für notwendige politische Entscheidungen Verständnis hätten. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Osten berichten außerdem häufiger als ihre Kolleginnen und Kollegen im Westen von zunehmendem Un­­­mut in der Bevölkerung sowie von einer Zunahme demokratiefeindlicher Tendenzen.

Auch unterscheiden sich die Ansichten über die künftigen Herausforderungen ost- und westdeutscher Kommunen: So werden die Themen Aufnahme von Geflüchteten und Wohnungsknappheit im Westen deutlich häufiger als im Osten Deutschlands als große Probleme für die Zukunft benannt. Die Wirtschaftskraft, fehlende Haushaltsmittel sowie Strukturwandel bzw. Abwanderung sehen hingegen die Amtsträgerinnen und Amtsträger in Ostdeutschland etwas häufiger als große Herausforderung.

Darüber hinaus zeigen sich mitunter deutliche Unterschiede zwischen einzelnen westdeutschen Bundesländern. So sind Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Rheinland-Pfalz erheblich unzufriedener mit den Rahmenbedingungen ihrer Arbeit als der Durchschnitt aller Befragten. Sie beurteilen die Zusammenarbeit mit der Gemeindeverwaltung, ihre Gestaltungsspielräume sowie die finanzielle Situation ihrer Gemeinde besonders negativ. Zudem fühlen sie sich seltener als die Befragten in anderen Bundesländern durch die Gemeindeverwaltung in ihrer Arbeit anerkannt und wertgeschätzt.

In Bayern investieren die befragten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister durchschnittlich (noch) mehr Zeit in ihr Amt als in den anderen Ländern. Dementsprechend bewerten sie die Vereinbarkeit des Amtes mit Hauptberuf und Privatleben als besonders schlecht und befürworten mit deutlicher Mehrheit eine Umwandlung des Amts in eine hauptamtliche Tätigkeit. Gleichzeitig sind die Befragten in Bayern insgesamt überdurchschnittlich zufrieden mit den Rahmenbedingungen. Vor dem Hintergrund der generell sehr schlecht bewerteten Unterstützung und Wertschätzung durch die Landespolitik fällt die Einschätzung der bayerischen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister noch vergleichsweise positiv aus.

Amtsträgerinnen und Amtsträger in Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind mit den Rahmenbedingungen ihrer Arbeit ebenfalls überdurchschnittlich zufrieden. Sie meinen deutlich häufiger als ihre Kolleginnen und Kollegen aus Rheinland-Pfalz und Bayern, dass sich das Amt gut mit Familie, Privatleben und Hauptberuf vereinbaren lässt und halten es mit großer Mehrheit für sinnvoll, das Amt auch weiterhin ehrenamtlich auszuüben.

Die Ortsvorsteherinnen und Ortsvorsteher in Nordrhein-Westfalen sind im Durchschnitt wesentlich zufriedener mit den Rahmenbedingungen ihres Amtes als die ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister: Sie sind durch ihr Amt weniger zeitlich eingebunden und bewerten dessen Vereinbarkeit mit Familie, Privatleben und Hauptberuf positiver.

Entsprechend halten sie es erheblich häufiger als die ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister unter den derzeitigen Bedingungen für sinnvoll, ihr Amt auch künftig ehrenamtlich auszuüben.

Unterschiede zeigen sich auch hinsichtlich der beschriebenen Problemlagen vor Ort, die nicht zuletzt auch auf die urbanere Struktur in NRW zurückzuführen sein dürften. So sehen die Ortsvorsteherinnen und Ortsvorsteher in NRW die Aufnahme von Geflüchteten sowie Rechtsradikalismus bzw. Reichsbürger als besonders große Herausforderungen, mit denen ihre Kommunen künftig zu tun haben werden –weit häufiger als es die ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der anderen Bundesländer angeben. Auch dass Proteste und Widerspruch von kleinen Gruppen mit Partikularinteressen zugenommen haben, meinen die Ortsvorsteherinnen und Ortsvorsteher in NRW deutlich häufiger als die befragten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister.

Die Bedingungen für die ehrenamtliche Ausübung des Bürgermeisteramts werden durch die Kommunalverfassungen der einzelnen Bundesländer festgelegt, wobei diese Regelungen teilweise erheblich voneinander abweichen. Beispielsweise sind in Rheinland-Pfalz 98% der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister ehrenamtlich tätig, während es in Baden-Württemberg lediglich 6% sind (vgl. Süß et. Al, 2022). Dies führt zu unterschiedlichen Arbeitsbelastungen, die besonders hoch in Bayern und Rheinland-Pfalz ausfallen.

In Nordrhein-Westfalen, Saarland und Hessen sowie in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen gibt es keine ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im eigentlichen Sinne. Oftmals werden jedoch die Stellvertreterinnen und Stellvertreter des hauptamtlichen Bürgermeisteramts ehrenamtlich besetzt. In Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen, Schleswig-Holstein und Sachsen können Gemeinden unter bestimmten Voraussetzungen entscheiden, ob das Bürgermeisteramt haupt- oder ehrenamtlich ausgeführt werden soll. Entscheidet sich eine Gemeinde für das Hauptamt, so wird der Gemeindehaushalt auch mit Besoldung und Pensionsansprüchen belastet. Die Aufwandsentschädigungen variieren ebenfalls je nach Bundesland und sind abhängig von der Einwohnerzahl.

Im Auftrag der Körber-Stiftung hat Forsa eine Umfrage von ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Deutschland durchgeführt. Im Rahmen der Untersuchung wurden insgesamt 1.549 ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland (Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Mecklenburg- Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen) repräsentativ befragt. Ergänzt wurde dieses Meinungs- und Erfahrungsbild durch eine zusätzliche Umfrage unter 250 ehrenamtlichen Ortsvorsteherinnen und Ortsvorstehern in Nordrhein-Westfalen. Die Erhebungen wurden vom 17. Januar bis zum 21. Februar 2024 als Online-Umfrage durchgeführt.


Die Sozialwissenschaftler Professor Jörg Bogumil, David H. Gehne und Louisa Anna Süß des Lehrstuhls „Öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik“ der Ruhr-Universität Bochum standen beratend zur Seite. Im Auftrag der Körber-Stiftung führte die Politikwissenschaftlerin Louisa Anna Süß außerdem zehn qualitative Leitfadeninterviews mit ehrenamtlichen Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen aus acht Bundesländern durch – mit einem Fokus auf gegenwärtige Herausforderungen.

Kontakt

Sven Tetzlaff

Leiter Bereich Demokratie und Zusammenhalt

Katrin Klubert

Programmleiterin
Kommune und Resilienz

Ulrike Fritzsching

Programm-Managerin
Kommune und Resilienz