Nazeeha Saeed, Exiljournalistin aus Bahrain

Fotonachweis: Brad Hamilton

„Ich werde nicht mehr schweigen“

In vielen arabischen Staaten fassten Menschen vor zehn Jahren den Mut, gegen herrschende Autokratien und Diktaturen zu protestieren. Nazeeha Saeed, eine Journalistin aus Bahrain, die heute in Deutschland im Exil lebt, berichtet von ihren Erfahrungen bei den Demonstrationen und der Erkenntnis, dass ihre Stimme einen unschätzbaren Wert hat.

Von Nazeeha Saeed


Vor zehn Jahren stand ich mit verbundenen Augen neben einer kalten Wand, in einem sehr kalten Büro. Ich war barfuß, trug nur meine schwarzen, transparenten Socken, die in wenigen Stunden durch die Schläge und Folter zerrissen. Plötzlich wurde es im Büro hektisch, die Polizistinnen schienen sich für einen Besuch vorzubereiten – hohen Besuch. Sie flüsterten einander zu und fragten, wo die Gefangenen hin sollten. Als es um mich ging, sagte eine der anderen, dass ich eine Jacke tragen solle, da ich vor Kälte zitterte. Jemand brachte mir meine Jacke und bat mich, sie zu tragen. Die Kälte wich.

Eine Tür öffnete sich. Da meine Augen verbunden waren, verließ ich mich auf mein Gehör, nahm alles durch meine Gefühle wahr, auch den Raum, den ich in meinem Gedächtnis gespeichert hatte. Ich wusste, dass die Tür zu meiner Linken war. Von dort kam auch die Stimme. Die wichtige Person betrat den Raum. Alle standen auf, salutierten, riefen ihm etwas zu. Er sprach kurz mit den Polizistinnen, sie diskutierten über einen der Gefangenen. Dann kamen seine Schritte auf mich zu. Ich spürte, wie seine Militärstiefel auf meine Füße traten, sein Atem sich meinem Gesicht näherte. Er flüsterte in mein Ohr: „Warum hast du gesagt, dass wir Demonstranten töten?“

Ich antwortete spontan, wie ich es schon den ganzen Tag tat, als würden meine Antworten und die Diskussionen einen Unterschied machen: „Ich sah mit meinen eigenen Augen, wie sie getötet wurden“, sagte ich. „Und selbst wenn Du es gesehen hast, warum sagst du es?“, fragte er. „Weil ich Journalistin bin“, antwortete ich erneut ziemlich dumm. Er beendete das Gespräch, trat weiter auf meine Füße und sagte: „Und selbst wenn du Journalistin bist, gibt es dir nicht das Recht, das Image des Landes zu beschmutzen.“

Da wurde mir zum ersten Mal wirklich bewusst, wie wichtig meine Stimme ist. Meine Stimme, die frei war und sich nicht von Panzern und Verhaftungen einschüchtern ließ. Ich verstand, dass alles, was in diesem Büro und den anderen Büros an Folter, Prügel und Beleidigungen geschah, nur deswegen geschah, weil es ihre Art war, meine Stimme und die Stimme der unabhängigen freien Presse zum Schweigen zu bringen. Als mir das bewusst wurde, traf ich eine Entscheidung: „Ich werde nicht mehr schweigen.“

Vor zehn Jahren entschied ich mich zu reden, zu kritisieren, Debatten anzustoßen. Ich habe seitdem nicht geschwiegen und werde es auch heute nicht tun, auch nicht aus Angst vor der Polizei, der Religion oder den männlichen Autoritäten. Ich werde auch nicht durch Faschismus, Sektierertum oder Extremismus zum Schweigen gebracht werden. Damit meine Stimme und mein Stift überleben, war ich gezwungen mein Land zu verlassen und im Exil zu leben.

Seitdem sind inzwischen zehn Jahre vergangen. Zehn Jahre in denen ich mich immer mehr an mein Prinzip nicht zu schweigen gehalten habe. Mehr noch: Ich verteidige die Presse- und Meinungsfreiheit. Es ärgert mich, wenn Stimmen auf der ganzen Welt zum Schweigen gebracht werden. Es ärgert mich auch, wenn der Opposition, den Andersdenkenden, den politischen Parteien und Medienorganisationen ein Maulkorb verpasst wird. Ich setze mich für Journalisten und Politiker ein, verteidige sie, auch wenn ich nicht immer ihrer Meinung bin.

Diese Aufstände, Revolutionen und Protestbewegungen, die vor zehn Jahren begannen und von denen einige bis heute andauern, andere später begannen, unterbrochen wurden und nun wieder fortgesetzt werden, haben eines gemeinsam: Ihre Stimme. Eine Stimme, die den Diktaturen und Extremisten Angst macht. Die Menschen erkannten, dass sie eine Stimme haben, dass diese Stimme wichtig ist und gehört werden muss.

Dies mag kontrovers sein. Kontrovers, weil ein großer Teil der Bevölkerung in dieser Region die Sozialen Medien nutzt. Und diese werden einerseits genutzt, um die Prinzipien der Kritik, der Freiheit und der Demokratie zu verbreiten, andererseits dienen sie aber auch als Sprachrohr für den Hass und der Hetze und sind somit ein Sprachrohr des Krieges, des Sektierertums und des Extremismus. Dabei ist die Grenze, die zwischen Meinungs- und Pressefreiheit und Hetze und Hassreden liegt, für alle, die sie sehen wollen, glasklar zu sehen.

Eine der wichtigsten Aufgaben der freien Presse ist, die vierte Gewalt zu sein. Sie formt das Bewusstsein und die Meinung des Volkes. Sich mit der Unabhängigkeit der Presse anzulegen und Kritikern den Mund zu verbieten entlarvt Diktaturen und deformierte Demokratien. Deswegen ist es auch nicht schwer, unabhängige Stimmen von den bezahlten Sprachrohren zu unterscheiden.

Das Projekt

Der Text entstand als Kooperation zwischen Amal, Hamburg! und der Körber-Stiftung. Amal, Hamburg! ist ein Projekt der Evangelischen Journalistenschule und der Körber-Stiftung, unterstützt vom Hamburger Abendblatt und der Evangelischen Kirche in Deutschland.