Deutsche verlieren Vertrauen in ihre Demokratie
Repräsentative Umfrage der Körber-Stiftung zeigt kritische Bewertung der Demokratie, ihrer Institutionen und Akteure
Leben in Freiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, das Recht auf freie Meinungsäußerung und freie und geheime Wahlen – mehr als 9 von 10 Deutschen sagen, dass ihnen diese demokratischen Werte wichtig sind. Gleichzeitig sinkt das Vertrauen in die deutsche Demokratie: Während im Herbst 2021 ein Drittel (30 Prozent) der Befragten angab, weniger großes oder geringes Vertrauen in die deutsche Demokratie zu haben, stimmen dieser Aussage im Sommer 2023 mehr als die Hälfte der Deutschen (54 Prozent) zu. Auch das Vertrauen in die Parteien ist stark rückläufig. Gaben im Jahr 2020 noch 29 Prozent der Bundesbürger:innen an, Parteien zu vertrauen, so sank der Wert auf 20 Prozent im Jahr 2021 und erreicht mit aktuell nur 9 Prozent einen dramatischen Tiefpunkt.
71 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass führende Leute in Politik und Medien in ihrer eigenen Welt leben, aus der sie auf den Rest der Bevölkerung herabschauen. 46 Prozent der Deutschen finden, dass es weniger bis gar nicht gerecht im Land zugeht. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage von policy matters, die im Auftrag der Körber-Stiftung im Juni und Juli dieses Jahres durchgeführt wurde.
„Das Vertrauen der Deutschen in die Demokratie und ihrer Institutionen ist auf einer abschüssigen Bahn. Zusammen mit wirtschaftlichen Sorgen der Menschen ist das eine beunruhigende Entwicklung“, kommentiert Sven Tetzlaff, Leiter des Bereichs Demokratie, Engagement, Zusammenhalt der Körber-Stiftung, die Ergebnisse der Umfrage. „Die Hälfte der Befragten bezweifelt, dass Deutschland für die großen Transformationsaufgaben unserer Zeit gewappnet ist. Das bremst die notwendige Veränderungsbereitschaft der Menschen zur Bewältigung der großen Herausforderungen deutlich.“
Mehr Macht für Politiker:innen, zeitgleich stärkere Mitsprache für Bürger:innen
„Brauchen wir angesichts der vielen Probleme im Land Politiker und Politikerinnen, die mehr Macht und Durchsetzungswillen haben, um schnell und durchgreifend Entscheidungen fällen zu können?“ Diese Frage bejahen 56 Prozent der Befragten. Gleichzeitig wünschen 86 Prozent der Deutschen, dass Bürger:innen bei wichtigen Entscheidungen künftig stärker einbezogen werden. Dies bezieht sich vor allem auf die kommunale Ebene (93 Prozent) sowie Landesebene (91 Prozent), aber auch auf der Bundesebene halten die Deutschen eine stärkere Beteiligung für wichtig (85 Prozent). Insgesamt genießen die kommunalen Einrichtungen stärkeres Vertrauen der Bürger:innen als Institutionen auf Bundesebene. So vertrauen zum Beispiel 36 Prozent dem Bürgermeister oder der Bürgermeisterin, aber nur 19 Prozent der Bundesregierung.
Zu wenig Zeit für Kommunalpolitik
Das persönliche Engagement der Befragten in der Kommunalpolitik hält sich allerdings in Grenzen: Nur 8 Prozent geben an, sich kommunalpolitisch zu engagieren, davon sind zwei Drittel männlich. Über die Hälfte der Befragten (55 Prozent) meint, dass Frauen mehr Entlastung in der Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen brauchen, um sich politisch zu engagieren. Unabhängig vom Geschlecht ist der große Zeitaufwand der Hauptgrund, warum sich die Befragten nicht in der Kommunalpolitik engagieren (34 Prozent). Mangelndes Zutrauen folgt auf Platz zwei mit 28 Prozent. Aber auch Angst vor Hass und Hetze (21 Prozent) und der rohe Ton (18 Prozent) hindern Bürger:innen daran, sich politisch zu engagieren. Durch die sozialen Medien werden Hetze und Gewalt in der Gesellschaft noch gefördert, so 8 von 10 Befragten (80 Prozent).
Julian Nida-Rümelin zur Rolle der Zivilkultur
Zur Stärkung der Demokratie hat der Philosoph Julian Nida-Rümelin für die Körber-Stiftung die Studie „Die Rolle der Zivilkultur in der Demokratie: Streit, Kooperation, Partizipation“ erarbeitet. Die Studie beleuchtet historische Hintergründe, analysiert aktuelle Tendenzen und erörtert Implikationen für die politische Praxis mit Empfehlungen für die Kommunalpolitik. „Ohne Zivilkultur, ohne eine alltägliche Praxis, die von Toleranz, Respekt und Kooperationsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger getragen ist, erodiert die Demokratie,“ so Julian Nida-Rümelin.
Angebote für Journalistinnen und Journalisten
- Alle Umfrageergebnisse und Grafiken zum Download
- Studie von Julian Nida-Rümelin „Die Rolle der Zivilkultur in der Demokratie: Streit, Kooperation, Partizipation“
- Interviewmöglichkeiten zur Studie mit Julian Nida-Rümelin und zu den Umfrageergebnissen mit Sven Tetzlaff (Anfrage bitte über den Pressekontakt)
Pressekontakt
Körber-Stiftung
Julian Claaßen
Leiter Bereich Kommunikation und Pressesprecher
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