Deutschland und Frankreich – Fremde Freunde?
Geschichte ist Gegenwart! Der History & Politics Podcast der Körber-Stiftung
Wie aus »Erbfeinden« ein »Motor Europas« wurde
Was haben »Kaiserproklamation« und die Gründung des Deutschen Reiches im Spiegelsaal von Versailles 1871 mit den deutsch-französischen Beziehungen heute zu tun? Wie sehr trägt das Bild von der Freundschaft der ehemaligen »Erbfeinde« und vom »deutsch-französischen Motor« in der Europäischen Union aktuell noch? Und warum geht es neben Emotionen zwischen Berlin und Paris auch immer um politisches Kalkül? Darüber spricht der Historiker Jörn Leonhard in der neuen Folge des History & Politics Podcasts.
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„… etwas weniger hyper-emotionalisierte Erwartungen und etwas mehr rationales Nachdenken, über die Frage, wie man diese Beziehung als besondere Beziehung entwickeln lässt, ohne die anderen auszuschließen, […] Das ist vielleicht die Quadratur des Zirkels, die in den nächsten Jahren ansteht und die, in gewisser Weise, zu einer Überlebensfrage für die Europäische Union werden könnte…“
Jörn Leonhard, Historiker
Hallo und herzlich willkommen! Dies ist eine neue Folge von History and Politics, dem Podcast der Körber-Stiftung zu Geschichte und Politik. Wie jedes Mal sprechen wir auch heute mit einem Gast über ein aktuelles politisches oder gesellschaftliches Thema. Und fragen, wie uns die Vergangenheit dabei helfen kann, die Gegenwart besser zu verstehen. Ich bin Gabriele Woidelko und freue mich, dass Sie bei uns reinhören.
Heute werfen wir einen Blick auf die geschichtspolitische Bedeutung der »Kaiserproklamation« im Spiegelsaal von Versailles im Januar 1871 und die Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen in den letzten 150 Jahren. Welche Bedeutung hat Versailles als Erinnerungsort in verschiedenen zeitlichen Kontexten? Wie stark prägten und prägen Symbole, Emotionen und Kalkül das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich? Und welche Rolle können die Bindekräfte zwischen Berlin und Paris in der Europäischen Union heute spielen?
Darüber habe ich mit dem Historiker Jörn Leonhard gesprochen. Jörn Leonhard ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte Westeuropas an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, ein Experte für die deutsch-französischen Beziehungen und ein vielfach ausgezeichneter Historiker, der zuletzt zwei große Bücher zur Geschichte und den Folgewirkungen des Ersten Weltkriegs für Europa veröffentlicht hat.
Herr Professor Leonhard, die deutsch-französische Geschichte ist eine sehr wechselvolle. Deutsche und Franzosen haben viele Kriege gegeneinander geführt. Ich würde gern mit der Bedeutung von Grenzen oder Grenzübergängen einsteigen. Gerade jenseits der beiden Landesgrenzen sind die Verflechtungen zwischen Deutschen und Franzosen sehr sichtbar und nun hatten wir im letzten Jahr das erste Mal die Situation, dass wegen Corona die Grenzübergänge geschlossen waren. Ich würde gerne von Ihnen wissen, welche Bedeutung aus Ihrer Sicht dieses Grenzübergreifende, das Transnationale für das aktuelle deutsch-französische Verhältnis hat.
Ich glaube, das ist ein ganz entscheidender Aspekt, weil die Menschen an der Stelle sozusagen das Europa erleben, das historisch gewachsen ist. Das kann man auch sehr gut daran erkennen, wie viel grenzüberschreitende Zusammenarbeit gerade im deutsch-französischen Raum selbstverständlich geworden ist, zum Beispiel zwischen den Departements und den deutschen Landkreisen. Ich arbeite in Freiburg und wir haben hier einen trinationalen Campus mit Straßburg und Basel. Mit der TGV-Anbindung von Freiburg sind Sie in drei Stunden in Paris. Das ist für viele Menschen gelebtes Europa. Es ist nicht die Bürokratie in Brüssel, sondern es ist das, was Menschen unmittelbar erleben. Und das erklärt auch, warum diese Grenzschließungen im Frühjahr so traumatisch wirkten. Das war eine Wirklichkeit, die man überhaupt nicht mehr kannte. Es hat teilweise hässliche Szenen an manchen Grenzübergängen gegeben, die dann auch ganz schnell wieder mit nationalen Stereotypen einhergingen. Ich glaube, das zeigt in gewisser Weise, wie weit diese europäische Wirklichkeit von nicht mehr sichtbaren Grenzen, grenzüberschreitender Zusammenarbeit und gelebter Transnationalität schon gegangen ist, sonst hätte das nicht diese Reaktionen im Frühjahr hervorgerufen. Und im Augenblick sieht man auch nichts mehr davon, vielleicht auch, weil man im Frühjahr gesehen hat, welche Empfindlichkeiten das ausgelöst hat.
Das heißt, Sie würden sagen, wir haben auch unsere Lehren aus den Grenzschließungen des Frühjahrs 2020 gezogen. Also versuchen wir eben jetzt genau das zu vermeiden, so lange es geht?
Ganz genau. Ich glaube, viele Politiker in Berlin waren fast ein bisschen überrascht von den Reaktionen. Hier in Freiburg, wo die Grenze wirklich nur ein paar Kilometer entfernt ist, war es DAS große Thema in den lokalen und regionalen Zeitungen. Man darf nicht vergessen, wie viele Grenzpendler es hier gibt. Das sind Menschen, die selbstverständlich aus Straßburg nach Freiburg kommen, Studierende, die nach Mulhouse oder nach Freiburg fahren. Von hier aus fährt man zum Intermarché oder nach Colmar. Und wenn das alles nicht mehr geht, dann ist das wie ein Rückfall in eine Welt nationaler Staaten, die man im 19. und im frühen 20. Jahrhundert identifiziert hat und die sich nach außen hin abschlossen. Ich glaube, das wird sich in dieser Form nicht wiederholen.
Lassen Sie uns noch einmal ein bisschen zurückschauen in die Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen. Es gibt ein sehr schönes Zitat des Schriftstellers André Gide, das Sie selbst in einem Ihrer Bücher verwendet haben. Das steht in seinen Tagebüchern von 1918/19, ist also am Ende des Ersten Weltkrieges, geschrieben. Und da sagt er: »Alles, was die Interessen Frankreichs und Deutschlands in Gegensatz zueinander bringt, ist für beide Länder gleichermaßen unheilbringend. Wohltätig ist alles, was dazu beiträgt, diesen Interessen eine gemeinsame Richtung zu geben«. Dieses Zitat ist über 100 Jahre alt. Inwiefern, würden Sie sagen, hat es auch heute noch seine Gültigkeit?
Gide formuliert das natürlich vor dem Hintergrund einer Jahrzehnte währenden, vielleicht sogar einer jahrhundertealten Konfliktgeschichte, die bei näherem Hinsehen vielleicht doch eher eine Verflechtungsgeschichte war. Darüber werden wir sicherlich noch sprechen. Aber ich glaube, der Kern von dem, was Gide 1918 gesagt hat, gilt weiter. Ich finde, man kann sehr schön sehen, dass es zwischen den Etappen der europäischen Integration und dem deutsch-französischen Verhältnis ganz viele Überlappungen gibt, mit allen Problemen, die dieser Bilateralismus auch hat. Aber klar ist, ohne die deutsch-französische Aussöhnung hätte es die europäische Integration nach 1945 in dieser Form so nicht gegeben. Wir erleben im Augenblick aber auch, welche Schwierigkeiten dieser Bilateralismus mit sich bringt. Er provoziert innerhalb der Europäischen Union auch Reaktionen wie die Angst der kleinen Länder, durch die großen Länder überstimmt zu werden. Das sind die Reaktionen vieler osteuropäischer Staaten. Im Kern ist die europäische Integrationsgeschichte eben auch eine Reaktion auf die deutsch-französische Konfliktgeschichte, die in zwei Weltkriegen, wenn man so will, zur Marginalisierung Europas geführt hat. Und ich glaube, dass diese Generation von Gide, zu der auch Jean Monet und Robert Schumann gehören, irgendwann erkannt hat, dass sich Europa diese Form der Feindschaft, der gegenseitigen Schwächung und der kulturellen Kriege in einer sich verändernden Welt nicht mehr leisten kann. Und das gilt natürlich heute angesichts der Globalisierung vielleicht umso mehr.
Gide hat dieses Zitat nach dem Ende des Ersten Weltkrieges formuliert, in dem Jahr, in dem das Friedensabkommen von Versailles unterzeichnet wurde. Wie ordnen Sie als jemand, der sich schon lange mit der deutsch-französischen Geschichte beschäftigt, die geschichtspolitische Bedeutung von Versailles in unterschiedlichen zeitlichen Kontexten ein? Also, was bedeutet der Friedensschluss von Versailles von 1919 für das deutsch-französische Verhältnis? Und was bedeuten die Reichsgründung und die »Kaiserproklamation« im Spiegelsaal von Versailles 1871, an die wir im aktuellen Gedenkjahr in Deutschland erinnern? Was bedeutet Versailles geschichtspolitisch für das bilaterale Verhältnis?
Also ich glaube, die Bedeutung von Versailles kann kaum überschätzt werden. Es ist zum einen natürlich der Ort, an dem der monarchische französische Staat sich mit Ludwig XIV eine eigene Ikonographie gegeben hat. Dieses Versailles von Ludwig XIV strahlt nach Deutschland aus. Es ist das Modell für ganz viele deutsche Residenzen. Die bekannteste Residenz darunter ist Herrenchiemsee, das Versailles von Ludwig von Bayern, der ein glühender Fan von allem Französischen gewesen ist. Versailles ist aber natürlich auch der Ort, an dem die Deutschen 1871, Sie haben es bereits angesprochen, am 18. Januar ihren eigenen Nationalstaat begründen, sozusagen in der Herzkammer des französisch-monarchischen Staates. Ab 1871 ist Versailles nicht mehr nur ein monarchisches Symbol für die Franzosen, sondern ein Symbol der Begründung des deutschen Nationalstaates. Das erklärt natürlich das Motiv der geschichtspolitischen Revanche, zu der es dann 1918 kommt. Die Pariser Friedenskonferenz beginnt ganz programmatisch am 18.01.1919, schon das ist eine Reminiszenz auf den 18.01.1871. Man darf auch nicht vergessen, dass dieses Deutsche Reich, dieses kleindeutsche, preußische Reich 1871 in einem Krieg und durch einen Krieg entsteht. Damit geht die Vorstellung einher, dass der deutsche Nationalstaat im Grunde gegenüberliegend zu Frankreich gegründet wurde und das aktiviert einen langen Zeitraum von Konflikten und Restitutionskriegen. Hier ist zum Beispiel das Heidelberger Schloss in Bezug auf Ludwig XIV zu erwähnen und die napoleonischen Kriege als Antwort auf das Jahr 1813. Man aktiviert sozusagen die Vergangenheit gegen den Feind. Und das hat sich ja in Deutschland bis 1940 fortgesetzt, als Adolf Hitler den Eisenbahnwaggon des Waffenstillstands von 1918 aus dem Museum holen lässt. Und das zeigt, finde ich, sehr schön, wie stark emotionalisiert diese gegenseitige Mobilisierung der Geschichte verlaufen ist. Das ist wichtig zu erkennen, denn aus dieser emotionalisierten Konfliktgeschichte entsteht dann auch irgendwann eine hoch emotionalisierte Versöhnungsgeschichte. Die Ansprüche an diese Versöhnungsgeschichte sind von vornherein mindestens so emotionalisiert, wie es vorher die Konfliktgeschichte war. Und das ist vielleicht auch das, was dieses deutsch-französische Verhältnis in ganz besonderer Weise kennzeichnet.
Ja, Emotionen sind ein sehr wichtiger Punkt, darüber müssen wir unbedingt sprechen. Ich würde gern noch einmal auf dieses Jahr 1871 zurückkommen und an die Frage der Divergenzen beziehungsweise an die Frage unterschiedlicher Konnotationen anknüpfen. Meine Wahrnehmung ist, dass bei uns in Deutschland gerade eine Reihe von Publikationen rund um die Reichsgründung erscheinen. Es wird dabei sehr in dem Kontext der deutschen Debatte geforscht und diskutiert. Es geht da um Demokratiegeschichte und das schwierige Vermächtnis und so weiter. Mich würde interessieren, wo Sie die Unterschiede in den Wahrnehmungen und in den Debatten über 1871 in Deutschland und Frankreich sehen.
Das finde ich eine sehr spannende Frage, denn an diesem Thema kann man auch noch einmal sehen, wie unterschiedlich Akzente gesetzt werden. Ich glaube, im Augenblick ist der deutsche Blick ganz stark verbunden mit der Entdeckung, dass Deutschland auch eine Kolonialmacht war. Wir sprechen also jetzt über die Erbschaft des deutschen Kolonialismus, der zwischen 1871 und 1918 existierte, und über die Problematik der Restitution, mit der Frage, was das Humboldt-Forum eigentlich sein soll und vieles andere mehr. Wir sprechen aber auch über demokratische Institutionen. In Berlin haben wir den Reichstag, den wir eben Reichstag nennen, obwohl der Bundestag in ihm tagt. Wir haben demnach ein Bewusstsein von der eigentümlichen Geschichte dieses Gebäudes, zum Beispiel auch dafür, dass er eine Erbschaft des Kaiserreichs ist. Der französische Blick auf 1871 ist ein ganz anderer: Es ist der Blick auf eine Republik, die im Schatten der Niederlage entsteht, eine dritte Republik, der man in den ersten Jahren keine großen Überlebenschancen zubilligt und die dann für lange Zeit die stabilste politische Form in Frankreich sein wird, sie wird nämlich bis 1940 existieren. Und für Frankreich kommt dazu die große Frage auf, die sich auch die Zeitgenossen 1914 stellen: Wird diese Republik eigentlich in der Lage sein, einen Krieg gegen diese autokratische Militärmonarchie Preußens zu bestehen? Dazu kommt in der französischen Sicht noch etwas sehr Interessantes, nämlich eine Spiegelung des Jahres 1806. Als Napoleon 1806 Preußen bei Jena und Auerstedt besiegt, ist das der Beginn der preußischen Reformzeit. Die preußischen Reformen entstehen aus dieser Erfahrung der Niederlage. Und Zeitgenossen haben 1871 argumentiert, für Frankreich muss diese Niederlage jetzt das werden, was Jena für Preußen geworden ist. Sedan muss das französische Jena werden. Und entsprechend hat diese dritte Republik mit vielen angelegten Reformprogrammen begonnen, nicht zuletzt eben auch die Bildungsreformen, die durchaus auch im Blick auf die deutsche Bildungsentwicklung formuliert worden sind. Es zeigt noch einmal sehr schön, wie verflochten diese beiden Gesellschaften sind, und dass es eben nicht nur in einer Erbfeindschaft aufgeht. Es ist immer auch die Vorbildwirkung, die Vorstellung, man müsse von dem anderen lernen und genau das spielt 1871 durchaus auch eine große Rolle.
Wenn Sie jetzt von der Ambivalenz des deutsch-französischen Verhältnisses sprechen und von der Verflechtungsgeschichte, die ja auch immer von vielen Gegensätzen geprägt war, haben Sie eben auch schon die Modernisierungsimpulse erwähnt, der Wille voneinander lernen wollen. Das finde ich ganz spannend, weil wir eben sehr oft, wenn wir über Deutschland/Frankreich diskutieren, entweder über die Erbfeindschaft oder über die deutsch-französische Freundschaft diskutieren. Die Ambivalenz ist eigentlich ein bisschen seltener im Zentrum. Hat das aber vielleicht eine besondere Kraft, wenn man auf diese Ambivalenzen schaut?
Ja, und die würde ich als Historiker gerne dick unterstreichen, weil ich das Motiv der Gegnerschaft gar nicht trennen kann von dem Motiv der Verflechtung. Ich will das an einem Beispiel erläutern. Die Französische Revolution bedeutet für Deutschland zwei Dinge: Sie bedeutet auf der einen Seite eine Auseinandersetzung mit den hegemonialen Ausgriffen Frankreichs, aber sie ist eben auch die Konfrontation mit einer bestimmten Form von Fortschrittlichkeit, vielleicht sogar mit Elementen der Moderne. Die napoleonische Herrschaft in Deutschland geht eben nicht nur in Okkupation, Aushebung, Rekrutierung und Machtpolitik auf, sondern bringt auch viele Gebiete Deutschlands in Kontakt mit dem fortschrittlichen französischen Recht. Der Code civil wird bis zur Einführung des bürgerlichen Rechts 1900 in vielen Teilen Deutschlands die bürgerliche Rechtskodifikation darstellen. Die von Napoleon mitbegründeten und protegierten Rheinbundstaaten werden die ersten Staaten in Deutschland sein, die gewählte Körperschaften haben. Sie werden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Zentren des frühen Liberalismus werden. Und das könnten wir so weiter durchdeklinieren. Wir könnten uns angucken, dass der territoriale Absolutismus in Deutschland im 18. Jahrhundert sich natürlich an der französischen Hofetikette orientiert. Wir könnten darauf hinweisen, dass Friedrich II, Friedrich der Große, der oft als Ahnenvater einer preußisch-deutschen Nation stilisiert wird, Französisch gesprochen hat, und dass er sich Voltaire an den Hof nach Sanssouci einlädt und trotzdem Kriege gegen Frankreich führt. Also ich glaube, beides gehört zusammen, und diese idealtypische Trennung, die gute Verflechtung auf der einen Seite und die Erbfeindschaft auf der anderen Seite, funktioniert nicht. Häufig sind die Feindschaft und auch der Krieg eine Voraussetzung für eine intensivere Wahrnehmung des anderen gewesen. Ich glaube, die meisten Aspekte dieser Verflechtungsgeschichte sind per se ambivalent. So darf man auch die vielen Etappen der Versöhnung nicht stilisieren und sie darstellen, als haben sie nichts mit politischem Kalkül zu tun. Hinter der hoch-emotionalisierten inszenierten Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich in den sechziger und siebziger Jahren steckt auch häufig eine ganz große Portion kühlen Kalküls. Ich glaube, auch das muss man in diese Ambivalenz miteinbeziehen.
Ja, das bringt uns jetzt zu der Phase nach dem Zweiten Weltkrieg und zum Élysée-Vertrag, zu dem Vertrag, der gemeinhin als offizielles Ende der Erbfeindschaft zwischen Deutschland und Frankreich gilt. 1963 wurde er unterschrieben und interessanterweise haben Präsident Macron und Bundeskanzlerin Merkel im Jahr 2019 mit dem sogenannten Vertrag von Aachen das Bekenntnis zur deutsch-französischen Freundschaft noch einmal erneuert und sich auch noch einmal vertiefte Zusammenarbeit in außen- und sicherheitspolitischen sowie europapolitischen Fragen auf die Fahnen geschrieben. Was bildet dieser Topos der deutsch-französischen Freundschaft für Sie ab? Warum war es aus Ihrer Sicht so wichtig, diesen Begriff für die Nachkriegsphase zu wählen?
Ich glaube, zunächst steckt darin auch der Spiegel dieser Konfliktgeschichte. Wir haben ja schon gesagt, diese Konfliktgeschichte ist auch sehr spezifisch emotional konnotiert. Wenn man sich das Jahr 1914 ansieht und diesen stilisierten Gegensatz zwischen deutscher Kultur und französischer Zivilisation, zwischen deutscher Gemeinschaft und französischer Gesellschaft, dann entdeckt man, dass darin auch sehr viel kulturell aufgeladene Sprache steckt. Gegensätzlich dazu haben wir in der Zwischenkriegszeit durch die Verträge von Locarno mit Aristride Briand und Gustav Stresemann ein deutsch-französisches Paar, das eine ganz andere Geschichte erzählt: Die Ruhrbesetzung 1923 als Höhepunkt der mit dem Versailler Vertrag profilierten Entgegensetzungen und zwei Jahre später die Aussöhnung und die Garantie der Grenzen im Westen, einhergehend mit der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund und der Verleihung des Friedensnobelpreises an beide Politiker. Stresemann hat eine Form moralischer Diplomatie betrieben und diese nicht an Russland oder an Großbritannien angesetzt, sondern an Frankreich. Das war ein ganz entscheidender Aspekt, um die junge Weimarer Republik wieder satisfaktionsfähig zu machen. In gewisser Weise gehören auch Adenauer und de Gaulle, beziehungsweise Adenauer vielleicht noch mehr, zu dieser Generation. Adenauers politische Karriere reicht bis vor 1914 zurück. Als Kölner Oberbürgermeister in den zwanziger Jahren hat er diese ersten Versuche der Überwindung des Komplexes von Versailles von 1919 sehr bewusst erlebt, sodass er nach 1949 an etwas anknüpfen kann. Man setzt im Grunde genommen in dieser Freundschaft auf den Topos, dass man aus der Geschichte gelernt habe. Wenn man aber genauer hinblickt und sich noch einmal genau die sechziger Jahre ansieht, dann wird deutlich, dass Frankreich nicht bereits 1949 mit dieser Politik beginnt, sondern erst mal auf ganz andere Dinge setzt, nämlich auf sein Empire, auf den Kolonialbesitz. Und erst, als dieser Kolonialbesitz mit der Kolonialisierung in Indochina und dann vor allen Dingen in Algerien in eine schmerzhafte Krise gerät und erst, als man in Algerien mit den Évian-Verträgen auch begriffen hat, dass man in einer Welt der Supermächte als europäische Großmacht nur schwer einen Platz findet, wird die Option von Europa plötzlich wichtig. In Paris sagt man sich dann, wenn man diese Europaoption fahren will, dann setzt das voraus, dass man mit Westdeutschland zusammenfinden muss. Mit anderen Worten: Auch darin steckt ein Kalkül. Erst aus dem Scheitern anderer Optionen einer eigenständigen französischen Weltmachtpolitik, einer reformierten Kolonialpolitik, entsteht ein Fenster, aus dem dann plötzlich dieser französische Einsatz für die Aussöhnung und für die von Frankreich einzuführende europäische Integration entsteht. Auch bei Adenauer kann man dieses Kalkül beobachten, weil ihm klar ist, er kann diese junge Bundesrepublik eigentlich nur dann aus der diplomatischen Isolation führen, wenn es ihm gelingt mit der Aussöhnung mit Frankreich politisch-moralisches Kapital zu erwerben. Emotion und Kalkül gehören also zusammen.
Kalkül ist ein gutes Stichwort, weil in dieser Phase rund um den Élysée-Vertrag und die deutsch-französische Freundschaft auch doch der ein oder andere Gegensatz deutlich wird. Das französische Verständnis damals war ja schon eher, dass man Westdeutschland durch diese Freundschaft eben nicht nur an Frankreich binden wollte, sondern auch an ein von Frankreich geführtes Europa und im Umkehrschluss auch weg bewegen wollte von einem transatlantischen Bündnis, also weg von den USA. Auch da kann man also Kalkül erkennen. Doch die junge Bundesrepublik hatte das anders gesehen und in gewisser Weise ziehen sich diese Differenzen gerade außenpolitischer Art ja auch bis heute an manchen Stellen durch, oder?
Ganz genau. Hier kann man auch von dem großen Konflikt zwischen Atlantikern und Gaullisten in der westdeutschen Außenpolitik sprechen. De Gaulle versteht unter Europa nicht das Europa der europäischen Integration, wie wir es heute haben, sondern ein Europa der Vaterländer mit einer ganz stark nationalstaatlich geprägten Sicht auf diese einzelnen Staaten. Das beinhaltet ein klares Bewusstsein, was die französische nationale Souveränität ist, die man auch nicht aufgeben will. Dazu kommt der Anspruch, Sie haben es schon angesprochen, dass dieses Europa der Vaterländer natürlich selbstverständlich von Frankreich geführt wird, deshalb auch der Versuch, Großbritannien erst mal außen vor zu lassen. Ich glaube, das Europa, um das Adenauer und de Gaulle sich damals Gedanken machen, ein Europa ist, das sich in vielerlei Hinsicht fundamental von dem unterscheidet, was wir heute sehen. Dieses berühmte Bild von Adenauer und de Gaulle in der Kathedrale von Reims feiert ja das abendländische Europa, wenn man so will, als die karolingische katholische Einheit dieses Kontinents. Seit dieser Zeit hat sich doch ganz erheblich etwas verändert. Wenn man also ein bisschen genauer hinter diese deutsch-französische Freundschaft blickt, dann sieht man eben auch die enormen Differenzen, also etwa auch zwischen französischem Zentralstaat und deutschem Föderalismus. Genau das hat zum Beispiel in der Wahrnehmung der Pandemie eine große Rolle gespielt. Genauso sehen wir das in Hinblick auf die westdeutsche, irgendwann auch gesamtdeutsche, Schwierigkeit, eine weltpolitische, sicherheitspolitische Verantwortung zu übernehmen, der eine Asymmetrie von wirtschaftlicher Stärke und außenpolitischem Zurückschrecken vor Verantwortung aufgrund der eigenen Geschichte zugrunde liegt. Oder blicken wir auf soetwas wie die Rolle von Geldwertstabilität, auf die Rolle der Bundesbank oder der EZB, das Verhältnis zur Inflation. Freundschaft bedeutet auf keinen Fall, dass alle diese Dinge sich aufeinander zu bewegen, sondern, dass diese sehr spezielle Beziehung zwischen Paris und Bonn bzw. Paris und Berlin immer auch eine spannungsreiche Beziehung gewesen ist. Und diese berühmten Paare, ob nun Kohl und Mitterrand, vorher Adenauer und de Gaulle, Giscard und Schmidt, Merkel und Macron, können diese Spannungen, diese Ambivalenzen, glaube ich, emotional nicht alle kompensieren.
Lassen Sie uns noch ein bisschen bei den Paarbeziehungen bleiben, weil ich das als Bild sehr schön finde. Sie haben eben schon Präsident Macron und Bundeskanzlerin Merkel angesprochen. Was charakterisiert denn aus Ihrer Sicht diese aktuelle Paarbeziehung?
Ja, das ist eine gute Frage. Meine beiden Elemente sind immer Emotion und Kalkül. In der Inszenierung ist die Erwartung immer, dass diese Beziehung auch eine emotionale Seite haben muss. Deshalb gibt es auch diese Erwartung der Geste oder die Erwartung, dass man Treffen auch an bestimmten Orten macht, die etwas mit der deutsch-französischen Geschichte zu tun haben. Dass Emmanuel Macron Angela Merkel nach Compiègne eingeladen hat, hat es vorher nie gegeben. Bei aller deutsch-französischer Aussöhnung blieb dieser Ort von Compiègne ein sehr französisch geprägter Ort. Dass er sie eingeladen hat in diesen nachgebauten Eisenbahnwaggon und die Umarmung vor Ort mit offensichtlicher Bewegung, auch bei Angela Merkel – die dazu sonst nicht besonders neigt – war schon ein ganz spezielles Zeichen. Auf der anderen Seite gibt es eben auch das Kalkül. Macron weiß, dass er, wenn er neue Reformen anstößt, er das nur zusammen mit Berlin machen kann. Umgekehrt war die Enttäuschung groß, als Macron, etwa nach der Rede an der Sorbonne, so wenig Rückhalt aus Deutschland bekommen hat. Wiederum herrscht Begeisterung in der französischen Politik, wenn es gelingt, dieses Couple franco-allemand zur Geltung zu bringen. Das ist in der letzten Europa Krise relativ gut gelungen. Es gibt aber einen Aspekt, den man nicht unterschätzen darf und der aus meiner Sicht in den letzten Jahren stärker geworden ist. Das ist nämlich ein gewisser Widerstand der anderen Europäer gegen diese Sonderbeziehung zwischen Paris und Berlin. Ich finde, das hat man sehr gut gesehen in den polnischen Reaktionen. Bundeskanzler Schröder ist darauf eingegangen, als er mit Chirac damals das Weimarer Dreieck begründen wollte, also Warschau, Berlin und Paris. Das ist dann leider nicht wirklich fortgeführt worden, aber es war ein Versuch, den Polen die Angst zu nehmen, dass, wie schon in anderen Zeiten der polnischen Geschichte, über ihre Köpfe hinweg Politik gemacht wird. Und ich finde, man merkt die Angst, dass dieses Couple vielleicht auch über die Köpfe hinweg anderer regieren könnte, etwa auch bei der neuen Gruppe um Österreich, Finnland, Niederlande herum. Dort hat Großbritannien vorher auch eine wichtige Rolle gespielt. Die Bedingungen, die Kontexte, in dem diese deutsch-französische Sonderbeziehung funktioniert, sind in Europa demnach nicht statisch. Das macht die Inszenierung der Freundschaft nicht unbedingt einfacher.
Haben Sie denn das Gefühl, wenn es um die Ängste geht, die es in anderen Ländern der EU gibt, gegenüber dieser speziellen deutsch-französischen Beziehung, dass in Berlin die Sensibilität gegenüber diesen Ängsten größer ist als in Paris?
Ich glaube, es gibt in Berlin so hoffe ich jedenfalls, da ich im Auswärtigen Amt den Botschafterkurs unterrichte – historisch bedingt eine große Sensibilität gegenüber Entwicklungen oder Reaktionen in Osteuropa. Man würde sich ja eigentlich wünschen, dass die deutsch-polnische Geschichte, die emotional mindestens so stark belastet ist wie die deutsch-französische, das gleiche Quantum an Aufmerksamkeit bekommt, also mit einem deutsch-polnischen Geschichtsbuch, mit deutsch-polnischen Historikerkomitees, mit einem deutsch-polnischen Jugendwerk. Vieles davon gibt es und vieles davon ist auch aus der deutsch-französischen Entwicklungsgeschichte übernommen worden, aber im politischen Bewusstsein ist das vielleicht noch nicht so stark verankert. Initiativen wie das eigene Denkmal für die polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts zu errichten, sind Ansätze, die im Augenblick, auch aufgrund der politischen Konstellation in Warschau, nicht so ohne weiteres umgesetzt werden können, wie man sich das auf deutscher Seite wünscht. Mein Eindruck ist, dass es auf deutscher Seite ein Bewusstsein für diese Empfindlichkeiten gibt. Es hat sicherlich auch mit dieser besonderen Lage des vereinigten Deutschlands zu tun, wo man eben nicht nur die deutsch-französische, sondern eben auch die deutsch-tschechische und die deutsch-polnische Grenze im Blick hat. Genau das sollte auch in die EU eingebracht werden und das sehe ich als eine Funktion Deutschlands. Denn diese ganz andere historische Entwicklung Ost-, Mittel-und Südosteuropas, also die Wiedergewinnung von Souveränität eigentlich erst 1989/90 hat sicherlich auch damit zu tun, dass es schwer fällt, diese Souveränität dann schon wieder an Europa abzugeben. Es ist also nicht einfach nur eine Rückschrittlichkeit, sondern das hat mit historischen Erfahrungen im 19. und 20. Jahrhundert zu tun, mit diesen Ungleichzeitigkeiten. Ich bin der Meinung, dass Deutschland da eine besondere Verantwortung hat. Diese Verantwortung ist aus historischen Gründen anders ausgeprägt als vielleicht am Quai d’Orsay.
Zum Abschluss lassen Sie uns noch ein bisschen über die EU der 27 sprechen, also ganz konkret über die europäische Union nach dem Austritt Großbritanniens. Mich würde Ihre Einschätzung interessieren, wie dieser Austritt Großbritanniens die Bedeutung des sogenannten deutsch-französischen Motors für die EU verändern wird. Auch wenn Historiker nicht gerne in die Zukunft gucken, das ist mir bewusst.
Manchmal hilft die historische Perspektive dabei, Dinge noch mal klarer zu sehen. Ich glaube, das ist tatsächlich ein gutes Beispiel, weil die bundesdeutsche Europapolitik sich in den achtziger, neunziger und zweitausender Jahren immer sehr stark darauf verlassen hat, dass man Großbritannien in vielen politischen Konflikten an seiner Seite wusste. Wenn es etwa um die Frage ging: Wie halten wir es mit der Vergemeinschaftung von Finanzen? Da gab es sehr lange, sogar noch bei der Euro-Krise und bei der Griechenland-Krise, ein enges Zusammengehen zwischen London und Berlin. Das ist für Frankreich immer auch ein Dorn im Auge gewesen, zu dem man sich immer wieder auch kritisch geäußert hat. Das fällt jetzt weg. Und damit ändert sich jetzt natürlich auch die Tektonik. Gleichzeitig sehen wir aber, dass – ich habe das vorhin ja schon erwähnt – aus dieser sehr agilen und sehr aktiven Gruppe der kleineren Mitgliedstaaten wie Österreich, Finnland, den Niederlanden, die aber ökonomisch eine große Bedeutung haben, ein neuer politischer Kern entsteht. Klar ist, dass Frankreich den Brexit durchaus auch als eine Möglichkeit begreift, seine politische Gestaltungsmacht innerhalb der EU nochmals stärker zur Geltung zu bringen und manche der Initiativen von Macron würde ich auch genauso interpretieren. Wenn man dieses Argument zugespitzt formuliert, würde es heißen: Wenn Großbritannien nicht mehr dabei ist, dann ist das jetzt aber auch der Augenblick, um die Vergemeinschaftung vielleicht unter französischer Regie und unter starker Beteiligung Deutschlands voranzubringen. Es ist kein Zufall, dass die großen Initiativen von Macron immer auch eine Antwort auf den Brexit waren. Diese Reden hat er natürlich auch gehalten, um die Meinungsführerschaft in dieser Reformdebatte für sich zu reklamieren. Dass man darauf in Deutschland sehr zurückhaltend reagiert hat, hat nicht zufällig dann auch zu einer Abkühlung der deutsch-französischen Beziehungen geführt. Wohin das führen wird, ist extrem schwer zu beurteilen, weil wir in der Europäischen Union der 27 ja in den letzten Monaten oder vielleicht zwei oder drei Jahren erlebt haben, wie dynamisch Dinge sich entwickeln können, und wie sich dann auch neue Konstellationen und Allianzen bilden. Denken wir nur einmal an die Visegrád-Staaten, an die Verbindung von Warschau und Budapest, denken wir daran, wie die Mittelmeeranrainer noch zu Sarkozys Zeiten versucht haben, eine eigene Gruppe zu bilden, dann wird deutlich, dass wir es auch mit politischer Allianzbildung innerhalb der EU zu tun haben, bei gleichzeitiger Zunahme von externer Krise und Systemkonkurrenz. Das alles ist keine ganz einfache Situation. Aus der bundesdeutschen Sicht ist der Brexit auch ein Verlust an politischer Gestaltungsmöglichkeit wie sie historisch eigentlich immer sichtbar war, gerade in Fragen der Marktentwicklung, der Finanzen und der Wirtschaftspolitik. Ich bin selbst sehr gespannt darauf, wie sich das in den nächsten Jahren entwickeln wird.
Ja, und wir beobachten in den letzten Monaten auch, dass, nachdem der deutsch-französische Motor eine Zeit lang ein bisschen ins Stottern gekommen war, sich doch wieder eine gewisse Annäherung vollzogen hat. Deutschland ist Frankreich zum Beispiel bei den Finanzfragen und den Fragen zur gemeinschaftlichen Verschuldung entgegengekommen. Es gab eine starke gemeinsame Haltung in Richtung Belarus, die von beiden Ländern vorangetrieben wurde. Von daher können wir auch eine gewisse Annäherung beobachten und ich frage mich, inwieweit auch das mit dieser veränderten Tektonik durch den Austritt Großbritanniens zu tun hat.
Ja, das stimmt. Nehmen Sie sich nur die nächste große Herausforderung: Wenn Joseph Biden US Präsident geworden ist, dann werden trotzdem weiterhin erhebliche Fragen an die europäischen NATO Mitglieder gestellt werden und die Auseinandersetzung mit China wird nicht zu Ende sein. Und Sie sehen ja jetzt schon innerhalb der deutschen Parteien die Frage aufkommen, ob man auf Europa und eine stärkere Distanzierung von den USA oder auf einen neuen amerikanischen Präsidenten und eine Reformulierung der transatlantischen demokratischen Brücke gegen die Autokraten in Peking, Teheran, Brasilia oder Ankara setzt. Die französische Antwort wird eher darauf hinauslaufen, doch jetzt die Gelegenheit zu nutzen, Europa auszubauen. In der deutschen Politik gibt es aber eben auch sehr viele, die der Meinung sind, dass jetzt der Augenblick gekommen ist, wo wir das transatlantische Bündnis eigentlich verstärken müssten, solange wir keine europäische Sicherheitspolitik und gemeinsame Verteidigungspolitik haben, die auch wirklich ihre Namen dafür verdienen. Die klassische Frage: »How many air carriers does the EU have?« müssen wir uns, glaube ich, auch stellen.
Ja, es bleibt, wie Sie sagen, herausfordernd in den kommenden Jahren. Zum Abschluss eine ganz persönliche Frage an Sie als den Experten für die deutsch-französische Geschichte und Gegenwart. Wenn Sie sich etwas wünschen dürften, wie soll das deutsch-französische Verhältnis in fünf Jahren aussehen?
Ich bin zwar Historiker, aber ich wünsche mir manchmal etwas weniger geschichtspolitischen Appell. Ein Verständnis der gegenseitigen Geschichte ist unendlich wichtig, aber das darf nicht zur hohlen Phrase, zur Rhetorik oder zur bloßen Inszenierung verkommen. Das ist es auch in den letzten Jahren nicht gewesen, aber etwas weniger hyper-emotionalisierte Erwartungen und etwas mehr rationales Nachdenken, über die Frage, wie man diese Beziehung als besondere Beziehung entwickeln lässt, ohne die anderen auszuschließen, ohne sozusagen diesen Bilateralismus zu stark zu machen, wäre wünschenswert. Das ist vielleicht die Quadratur des Zirkels, die in den nächsten Jahren ansteht und die, in gewisser Weise, zu einer Überlebensfrage für die Europäische Union werden könnte, zumal in einer Phase, in der die systematischen Konkurrenzen von außen, auch die Frage, wohin sich die EU entwickelt, umso wichtiger wird. Es geht also darum, diese Sonderbeziehung zu retten, ohne sie in emotionale Hohlheit ausgehen zu lassen und die anderen auf dem Kontinent mitzunehmen, das heißt vor allen Dingen Osteuropa, Südosteuropa und Ostmitteleuropa. Das erscheint mir von enormer Bedeutung.
Das war unser History and Politics Podcast mit Jörn Leonhard zur Geschichte und Gegenwart der deutsch-französischen Beziehungen.
Wenn Sie mehr über das komplexe Verhältnis zwischen beiden Ländern erfahren wollen, schauen Sie gern hinein in das von Jörn Leonhard herausgegebene Buch »Vergleich und Verflechtung. Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert« oder in sein Standardwerk »Der überforderte Frieden«, in dem er sich mit den Folgewirkungen des Ersten Weltkriegs für Europa und die Welt beschäftigt.
Alle weiteren Informationen zur Arbeit des Bereich Geschichte und Politik der Körber-Stiftung finden Sie auf unserer Stiftungswebsite. Dort gibt es natürlich auch alle Folgen unseres History and Politics Podcasts. Das war´s für heute, ich danke Ihnen für das Zuhören und hoffe, dass Sie auch beim nächsten Mal wieder dabei sind, wenn wir fragen, wie die Geschichte unsere Gegenwart prägt.
Geschichte ist Gegenwart! Der History & Politics Podcast der Körber-Stiftung
Warum Geschichte immer Gegenwart ist, besprechen wir mit unseren Gästen im History & Politics Podcast. Wir zeigen, wie uns die Geschichte hilft, die Gegenwart besser zu verstehen.
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