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Wie Eltern auf die Bildung und berufliche Zukunft ihrer Kinder blicken

Mit unserer jährlichen repräsentativen Umfrage wollen wir die Sorgen, Wünsche und Vorstellungen von Eltern sichtbar machen und dazu beitragen, dass sie Gehör finden. Dazu fand im Zeitraum vom 28. April bis zum 12. Mai 2023 eine Online-Befragung durch die Forsa unter 1.010 Eltern von Kindern zwischen 12 und 18 Jahren in Deutschland statt. Der nachfolgende Abschnitt fasst zusammen, was Eltern laut den Ergebnissen zur schulischen Bildung und beruflichen Zukunft ihrer Kinder denken. Darauffolgend werden die Ergebnisse von Dr. Christian Engelbrecht, Bildungsreferent im Zukunftsmuseum Futurium in Berlin, im Interview „Wie lernen wir Zukunft?“ eingeordnet.

Eltern im Fokus 2023: Bildung und berufliche Zukunft

Schulische Bildung

Relevante Schulfächer

Im Ranking der Schulfächer, die Eltern als zukunftsrelevant bewerten, finden sich die drei Kernfächer Englisch (73 %), Deutsch (67 %) und Mathematik (56 %) ganz oben. Ebenfalls mehr als die Hälfte (57 %) der Eltern bewerten auch Informatik als zukünftig sehr wichtig, obwohl dieses Fach aktuell erst nach und nach als Pflichtfach eingeführt wird. Die besondere Bedeutung digitaler Kompetenzen für die Gesellschaft von morgen scheint somit bei den Eltern angekommen zu sein.

Diese Schulfächer bewerten Eltern als zukünftig sehr wichtig für die Gesellschaft:

Wie wichtig sind die folgenden Schulfächer Ihrer Meinung nach zukünftig für unsere Gesellschaft? Antwortmöglichkeiten: sehr wichtig – wichtig – weniger wichtig – unwichtig
Wie wichtig sind die folgenden Schulfächer Ihrer Meinung nach zukünftig für unsere Gesellschaft? Antwortmöglichkeiten: sehr wichtig – wichtig – weniger wichtig – unwichtig

Kunst und Musik finden sich weit abgeschlagen am unteren Ende des Rankings (7 % und 6 %). Die Vermittlung kreativer Kompetenzen im klassischen Sinn wird von den Eltern diesem Befund nach als wenig relevant eingeordnet.

Relevante Kompetenzen

Über die fachliche Schulbildung hinaus halten Eltern folgende Fähigkeiten und Kenntnisse für sehr wichtig für die berufliche Zukunft ihres Kindes:

Wie wichtig sind Ihrer Meinung nach die folgenden Fähigkeiten oder Kenntnisse über die fachliche Schulbildung hinaus für die berufliche Zukunft Ihres Kindes? Antwortmöglichkeiten: sehr wichtig – wichtig – weniger wichtig – unwichtig
Wie wichtig sind Ihrer Meinung nach die folgenden Fähigkeiten oder Kenntnisse über die fachliche Schulbildung hinaus für die berufliche Zukunft Ihres Kindes? Antwortmöglichkeiten: sehr wichtig – wichtig – weniger wichtig – unwichtig

Kreativität findet sich gemeinsam mit Anpassungsfähigkeit auf den letzten beiden Plätzen des Rankings. Sie wird von den Eltern offensichtlich als am wenigsten wichtige Fähigkeit bewertet. Dies ist insofern interessant, als dass angesichts der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung davon auszugehen ist, dass Kreativität den entscheidenden Unterschied in Sachen Mitgestaltung macht und entsprechend weiter an Bedeutung gewinnen wird. Lesen Sie hierzu die Einordnung von Dr. Christian Engelbrecht, Bildungsreferent im Zukunftsmuseum Futurium in Berlin.

„Die Umfrageergebnisse zeigen, dass Eltern die Trends der neuen Arbeitswelt sehr wohl wahrnehmen. Das spiegelt sich in der Einschätzung relevanter Kompetenzen wider, aber auch darin, dass Eltern vor allem Zukunftsbranchen wie Naturwissenschaften und Technik als spätere Berufsfelder für ihr Kind befürworten. Es ergeben sich jedoch auch Widersprüche: Kreativität wird von Eltern als wenig relevante Zukunftskompetenz bewertet. Hier gilt es besser zu erklären, welche kreativen Anteile auch in forschenden oder technischen Tätigkeiten stecken und das Verständnis von Kreativität als Problemlösungskompetenz zu fördern.“

Teresa Moll

Bereich Bildung, Körber-Stiftung

zu den gewünschten Berufsfeldern

Schule als Vermittlerin von Kompetenzen für die berufliche Zukunft

So bewerten Eltern Schule hinsichtlich ihrer Fähigkeit, jungen Menschen Kompetenzen zu vermitteln, die für ihre berufliche Zukunft relevant sind:

Was meinen Sie, wie gut gelingt es Schule im Allgemeinen, die für die berufliche Zukunft relevanten Kenntnisse und Fähigkeiten an Schüler:innen zu vermitteln bzw. zu fördern? Einfachauswahl
Was meinen Sie, wie gut gelingt es Schule im Allgemeinen, die für die berufliche Zukunft relevanten Kenntnisse und Fähigkeiten an Schüler:innen zu vermitteln bzw. zu fördern? Einfachauswahl

Eltern bewerten Schule mehrheitlich als nicht oder weniger gut in der Lage, Fähigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln, die ihr Kind für die berufliche Zukunft braucht (72%). Nur 1 Prozent der Eltern denkt, dass Schule die Vermittlung sehr gut gelingt.

„Was mich zum Nachdenken bringt, ist die Meinung, dass Schule nicht ausreichend auf die berufliche Zukunft vorbereitet. Der Dreh- und Angelpunkt ist hier meiner Ansicht nach die Frage nach den Bildungszielen. Welche Ziele verfolgt die Schule aktuell und welche Vorstellungen haben die Eltern? Hier gibt es ein Mismatch. Es geht noch immer sehr viel um Fachwissen, welche Schulfächer sind wichtig, welche weniger und nicht um die Kompetenzen und Ziele, die Eltern als wichtig erachten. Ich denke, dass wir nicht umhinkommen, Schule und Bildung einfach immer stärker und manchmal sogar auch radikaler zu verändern, um diese Unstimmigkeiten aufzulösen. Und ich glaube im Übrigen auch, dass die große Skepsis gegenüber Noten bzw. dem Bewertungssystem mit einem Mismatch der Bildungsziele einhergeht. Vielleicht kritisieren Eltern hier gar nicht unbedingt die Noten selbst, sondern das, was sie erfassen und was sie (nicht) widerspiegeln.“

Prof. Dr. Doris Holzberger

Professorin für Schul- und Unterrichtsforschung an der TU München und Leiterin der Arbeitsgruppe Forschungssynthesen ZIB

Einschätzungen zum Notensystem

Lediglich 20 Prozent der Eltern vertrauen in das aktuelle Bewertungssystem von Schule und sind der Meinung, dass Schulnoten Leistung gerecht abbilden und deshalb beibehalten werden sollten. Drei Viertel der Eltern stehen dem Bewertungssystem hingegen kritisch gegenüber. Bemerkenswert ist, dass knapp die Hälfte (45 %) ein neues Bewertungssystem in Schule fordert und 4 Prozent vollständig auf die Leistungsbewertung verzichten würden.

„Obwohl Eltern Schule als eine der wichtigsten Akteur:innen für gute Bildung und einen erfolgreichen Berufseinstieg wahrnehmen, denken drei Viertel der Eltern, dass es der Institution derzeit nicht gut gelingt, jungen Menschen die Kompetenzen mit auf den Weg zu geben, die sie für ihre berufliche Zukunft brauchen. Das Vertrauen der Eltern in Schule ist geschwächt. Das zeigt sich auch in den Meinungen zum aktuellen Notensystem: Knapp die Hälfte der Eltern denkt, dass Schule dringend ein neues Bewertungssystem benötigt.“

Teresa Moll

Bereich Bildung, Körber-Stiftung

Berufliche Bildung

Relevante Akteurinnen und Akteure für gute Bildung und den Berufseinstieg

Die Eltern schreiben dem Kind selbst mit seiner Motivation und seinem Engagement die wichtigste Rolle zu, wenn es um gute Bildung und einen erfolgreichen Berufseinstieg geht (98 %). Gleichzeitig ist fast allen Eltern auch ihre eigene Rolle für die berufliche Zukunft ihrer Kinder bewusst: 97 Prozent sehen sich selbst als (sehr) wichtig an. Im Mittelfeld der Bewertung liegen die erweiterte Familie und außerschulische Bildungs- und Freizeitangebote (71 % bzw. 64 %), während Beratungsstellen und Sozialarbeit als weniger relevant eingestuft werden (33 % bzw. 24 %).

„Bildungsentwicklung hängt immer von sozialen Konstellationen ab. Wenn es um gute Bildung und den Berufseinstieg geht, schreiben Eltern ihrem eigenen Kind und seiner Motivation laut den Ergebnissen die größte Bedeutung zu. Diese Einschätzung greift mir zu kurz. Motivation ist keine angeborene Fähigkeit, sondern abhängig von vielen unterschiedlichen Faktoren. Die Familie, andere Peergroups, aber auch die Klassenzugehörigkeit prägen die Bildungsmotivation der Kinder. Mangelt es an Selbstvertrauen oder besteht die Angst vor Entfremdung zum eigenen Umfeld im Falle des Bildungserfolgs, distanzieren Kinder sich von der Schule.“

Dr. Çağrı Kahveci

Mitarbeiter in der Geschäftsstelle des Bundeselternnetzwerks der Migrantenorganisationen für Bildung & Teilhabe (bbt) und Leiter des Projekts „KEBiK – Kompetente Eltern für die Bildung ihrer Kinder“

Gewünschte Berufsfelder

Diese Berufsfelder wünschen sich Eltern später für ihr Kind:

Bitte geben Sie für jedes Berufsfeld an, ob Sie es grundsätzlich befürworten würden, wenn Ihr Kind später einmal in diesem Bereich arbeitet, oder ob Sie das eher nicht befürworten würden. Antwortmöglichkeiten: würde ich befürworten – würde ich eher nicht befürworten
Bitte geben Sie für jedes Berufsfeld an, ob Sie es grundsätzlich befürworten würden, wenn Ihr Kind später einmal in diesem Bereich arbeitet, oder ob Sie das eher nicht befürworten würden. Antwortmöglichkeiten: würde ich befürworten – würde ich eher nicht befürworten

Die Zukunftsbranchen „Naturwissenschaft, Forschung“ und „Technik, Technologie“ werden von den Eltern am häufigsten befürwortet, gefolgt von „Wirtschaft, Verwaltung“ und „IT-Service“. Auf den unteren Positionen bewegen sich „Gesundheit, Pflege“ (57 %), „Verkehr, Logistik“ (53 %), „Produktion, Fertigung“ (53 %) und „Kunst, Kultur, Gestaltung“ (52 %).

In der Bewertung der Eltern zeichnen sich Geschlechterunterschiede ab: Während Väter z.B. Technik und IT-Service häufiger als Mütter befürworten (84 % vs. 78 %, 78 % vs. 69 %), ist es bei Sozialem (62 % vs. 71 %) und Gesundheit (53 % vs. 61 %) umgekehrt.

Sichtbarer werden die Unterschiede noch beim Geschlecht der Kinder. Eltern von Mädchen wünschen sich deutlich häufiger z.B. Berufe im Bereich Medizin oder Gesundheit während Eltern von Jungen deutlich häufiger z.B. Technik, Programmieren, Elektro und Maschinenbau unterstützen:

„Mit Blick auf die Zukunft stecken wir, was Geschlechterstereotype angeht, leider noch in der Vergangenheit fest. Vorherrschende Zuschreibungen sind auch unter Eltern weiterhin stark verbreitet und werden im Hinblick auf die berufliche Zukunft in Teilen an ihre Kinder weitergegeben. Die Stereotype schlagen sich deutlich in der unterschiedlichen Bewertung der Berufsfelder nieder, sind aber auch in den Vorstellungen zum Ausbildungsweg zu finden.“

Teresa Moll

Bereich Bildung, Körber-Stiftung

Gewünschter Ausbildungsweg

53 Prozent der Eltern wünschen sich für ihre Kinder kein rein akademisches Studium. Ein Drittel (33 %) befürwortet die klassische Ausbildung, 20 Prozent ein duales Studium. 30 Prozent der Eltern wünschen sich ein klassisches Studium für ihr Kind.

Bei genauerer Betrachtung der Ergebnisse zeigen sich darüber hinaus Unterschiede nach Bildungshintergrund der Eltern: Eltern mit Hauptschul- oder mittlerem Abschluss wünschen sich für ihre Kinder deutlich häufiger eine Ausbildung als ein Studium. Bei Eltern, die selbst Abitur gemacht oder ein Studium absolviert haben, steht der Wunsch nach einem Studium des Kindes weiter oben.

Auch in Abhängigkeit vom Geschlecht des eigenen Kindes zeigen sich Unterschiede in den gewünschten Ausbildungswegen: Eltern von Mädchen wünschen sich deutlich häufiger ein Studium für ihre Töchter (35 %), während Eltern von Jungs eher eine Ausbildung für ihre Söhne (37 %) präferieren.

Relevante Aspekte bei der Berufswahl

Das Thema Selbstverwirklichung steht für Eltern an erster Stelle der Aspekte, die sie für ihre Kinder im Berufsleben als wichtig erachten (96 % (sehr) wichtig). Erst daran anschließend finden sich klassische Sicherheitsaspekte wie Vereinbarkeit mit Familie (87 %), sicheres Einkommen (84 %) und Arbeitsplatzsicherheit (82 %). Wenn man bedenkt, dass der Ruf nach Sinnhaftigkeit häufig den jüngeren Generationen zugeschrieben wird, ein interessantes Ergebnis. Ebenfalls überraschend werden traditionelle Aspekte wie Status und Ansehen, Einfluss und Macht von den Eltern als am wenigsten wichtig bewertet.

„Mich überrascht, dass Status und Ansehen so weit hinten liegen, wenn es darum geht, was Eltern für den späteren Beruf ihrer Kinder als wichtig erachten. Das erlebe ich in meiner Praxis anders – hoch angesehene Berufe, wie Anwalt oder Arzt, liegen hier häufig vorne. Gleichzeitig finde ich auffällig, dass es Eltern besonders wichtig ist, dass ihr Kind sich im Job selbst verwirklichen kann. Einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten, stufen sie hingegen als weniger relevant ein. Hier zeigt sich für mich ein normativer Wandel der Gesellschaft hin zu mehr Individualismus.“

Dr. Çağrı Kahveci

Mitarbeiter in der Geschäftsstelle des Bundeselternnetzwerks der Migrantenorganisationen für Bildung & Teilhabe (bbt) und Leiter des Projekts „KEBiK – Kompetente Eltern für die Bildung ihrer Kinder“

Berufsorientierung

  • 96 Prozent der Eltern unterstützen ihr Kind bei der Berufsorientierung. Die bedeutsamsten „Unterstützungsformate“ sind dabei persönliche Gespräche (79 %), die Hilfe bei der Praktikumssuche (58 %) oder die Vermittlung von Kontakten (51 %). Die Einbindung externer Angebote wie z.B. Berufsberatung oder Mentoring spielt eine deutlich untergeordnete Rolle (21 % bzw. 9 %).
  • Mehr als ein Drittel der Eltern (39 %) bewertet es als größte Schwierigkeit, den Überblick zu behalten, wenn es um die Unterstützung ihres Kindes bei der Berufsorientierung und -findung geht. Gleichzeitig sieht knapp ein Viertel (24 %) keinerlei Schwierigkeiten darin, ihr Kind im Prozess zu unterstützen.
  • Wenn es um Informationsquellen geht, greifen Eltern mehrheitlich auf das eigene Umfeld zurück: 76 Prozent der Eltern informieren sich hauptsächlich im Rahmen von Gesprächen mit Familie sowie im Freundes- und Bekanntenkreis zu Berufsmöglichkeiten für ihr Kind. Sie nutzen aber auch Internetportale (64 %) und Beratungsangebote in und außerhalb der Schule (je 40 %).
  • Als schulische Angebote zur Berufsorientierung sind Eltern vor allem Betriebspraktika (74 %) und Praxistage (47 %) bekannt. 56 Prozent der Eltern bewerten diese Angebote als gut bzw. sehr gut, immerhin 40 Prozent hingegen mit weniger gut oder schlecht.

Interview: Wie lernen wir Zukunft?

Dr. Christian Engelbrecht arbeitet seit 2019 im Futurium. Das Museum in Berlin behandelt Zukunftsthemen wie Klima, Wohnen, Ernährung und Technologie. Als Bildungsreferent beschäftigt sich Engelbrecht damit, wie außerschulische Lernorte genutzt werden können und welche Fähigkeiten in Zukunft von Bedeutung sind.

Foto: Ali Ghandtschi

„Zukunftskompetenzen sind Schlüsselqualifikationen für eine Gesellschaft, die mit den Herausforderunen einer veränderten Welt umgehen kann.“

Dr. Christian Engelbrecht

Bildungsreferent im Futurium Berlin

In der bundesweiten Befragung sollten Eltern einschätzen, welche Kompetenzen wichtig für die Zukunft sind. Was verstehen Sie unter Zukunftskompetenzen?

Zukunftskompetenzen sind Schlüsselqualifikationen für eine Gesellschaft, die mit den Herausforderungen einer veränderten Welt umgehen kann. Im Detail definieren Institutionen diese jeweils unterschiedlich. Wirtschaftsnahe Akteur:innen sagen, dass Zukunftskompetenzen fit für die digitalisierte Arbeitswelt machen. Für mich sind Zukunftskompetenzen mehr als reine Arbeitsweltkompetenzen. Wir brauchen auch Kompetenzen, um für die Herausforderungen der Klimakatastrophe gewappnet zu sein und soziale Haltung und Fähigkeiten wie Future Literacy, die Zukunftsgestaltungskompetenz. Also die Fähigkeit, sich alternative Zukunftsentwürfe vorzustellen und daraus abzuleiten, wie wir in der Gegenwart handeln.

Es klingt so, als könnte Kreativität für die Zukunftsgestaltungskompetenz, für das Entwerfen von Visionen wichtig sein. Kreativität ist jedoch eine Kompetenz, die von den Eltern als eher irrelevant eingeschätzt wurde.

Das hat mich sehr überrascht. Kreativität ist einer der zentralen Begriffe für die Zukunft. Vermutlich verbinden viele Eltern Malen und Basteln mit Kreativität. Mein Begriff von Kreativität ist weiter gefasst und beschreibt die Fähigkeit, Probleme und Veränderungen zu antizipieren. Ich wüsste nicht, wie das ohne Kreativität ginge.

Selbstständigkeit, Kommunikationsfähigkeit und Lernbereitschaft werden hingegen als wichtig eingestuft. Inwiefern ist man durch solche Kompetenzen für die Zukunft gewappnet?

Diese Kompetenzen passen zu jedem Beruf. Wobei die Frage ist, wie die Begriffe definiert werden. Selbstständigkeit bedeutet oft eher Persönlichkeitsbildung. Solche Begriffe sind nach wie vor wichtig, aber wir brauchen ein neues Verständnis, das stärker von Zukunftsgedanken durchtränkt ist.

Wenn wir ein Idealbild zeichnen: Was können Jugendliche oder junge Erwachsene?

Sie können gut auf unvorhergesehene Situationen reagieren, weil sie erfahren haben, wie es ist, mit negativen Emotionen umzugehen und wissen, dass es Mitgestaltungsmöglichkeiten gibt. Sie kennen Zukunftsalternativen und respektieren unterschiedliche Blickwinkel – das bedeutet, dass sie systemisch, vorausschauend und in Alternativen denken können. Und ganz wichtig ist die Fähigkeit, mit Verlusten umzugehen, mit Privilegien etwa. Als Gesellschaft können wir das nicht.

Haben Eltern ein gutes Gespür dafür, welche Kompetenzen in Zukunft wichtig sind?

Wenn ich mir die Befragung ansehe, denke ich das nicht. Ich verstehe, warum Fleiß und Ehrgeiz weniger relevant sind. Solche Werte sind mit der Industriegesellschaft verbunden, mit dem fleißigen Industriearbeiter und weniger mit der Zukunft. Aber mir fehlt ein Nachdenken über wirkliche Zukunftskompetenzen. Widerstandsfähigkeit kann in Krisenzeiten ein Schlüssel sein, um Herausforderungen zu meistern und wurde angesichts der Pandemie ein zentraler Begriff, liegt in der Bewertung der Eltern jedoch nur im unteren Mittelfeld.

Wie können Eltern für Zukunftskompetenzen sensibilisiert werden?

Als Gesellschaft müssen wir gemeinsam über wichtige Fragen nachdenken können. Dafür brauchen wir Labore für soziale Fantasien und Orte, die sich mit Zukunftsszenarien beschäftigen. Das können Kultureinrichtungen, Bibliotheken oder natürlich Orte wie das Futurium sein. Dort könnten Frust, Ängste, Fantasien und ambivalente Gefühle thematisiert werden. Übrigens, in den Umfrageergebnissen steckt eine Ambivalenz: Die Eltern blicken positiv auf die Zukunft der Kinder, bewerten Schulen aber negativ.

Sie sprechen davon, dass 88 % der Eltern positiv auf die Zukunft ihrer Kinder blicken und zugleich 72 % der Meinung sind, dass es der Schule weniger gut gelingt, Kompetenzen für die Zukunft zu vermitteln.

Das soziale Vertrauen in die Institution Schule ist gesunken und zwar deutlich. Den Vertrauensschwund in Institutionen beobachtet man überall; er bildet sich auch im Bildungssystem ab. Letztlich sind Schulen wie Tanker und ändern nur langsam den Kurs, da lassen sich neue Entwicklungen nicht schnell umsetzen.

Sehen Sie allein Schulen in der Pflicht oder gibt es da auch andere Akteurinnen und Akteure?

Es ist ein Zusammenspiel. Lehrkräftefortbildungen reichen nicht aus. Auch außerschulische Angebote sind wichtig. Aber außerschulische Erfahrungen müssen in den Unterricht zurückgebunden werden. Das gelingt nicht nur über einen Wandertag. Dafür bräuchte es Zeitblöcke, in denen man über lokale und globale Zusammenhänge nachdenkt.

Wie erleben Sie Eltern mit ihren Kindern in Vermittlungsangeboten?

Ich habe mit sehr engagierten und teils überforderten Eltern zu tun. Wer zu uns kommt, wünscht sich Möglichkeitsräume, in denen man trainieren kann. Der weiß, dass er nicht hilflos und passiv ausgeliefert ist. Es ist nicht unser Ziel, Antworten zu geben, sondern kreatives und forschendes Entdecken zu fördern. Wenn Eltern mit ihren Kindern über Zukunftsszenarien diskutieren, wenn intergenerationelles Arbeiten entsteht, beginnt ein Austausch. Ich vermute, dass es in Schulen wenige solcher Dialogformate gibt. Gespräche, bei denen die ganze Lerngemeinschaft zusammenkommt, Lehrkräfte, Erziehungsberechtigte, Kinder und einen ernsthaften Dialog auf Augenhöhe führen über Fragen, die jenseits von Leistungsbewertung sind. Ich will aber Schulen nicht überfordern.

Sollten Eltern solche Orte aktiv für sich und auch ihre Kinder suchen?

Wir entlassen die Institution Schule hier etwas vorschnell aus ihrer Verantwortung. Die Schule als System muss Kritik aushalten, nur so kann Veränderung angestoßen werden. Die Schule ist derzeit nicht gut gerüstet, Zukunftskompetenzen praxisnah und fächerübergreifend umzusetzen. Deshalb kommen viele zu solchen Lernorten, weil es hier Angebote gibt, die Schüler sonst nicht erhalten. Es geht um die Art der Betrachtung von Themen und die Einladung zur Reflexion. Das könnte im Unterricht stattfinden.

Was die Befragung auch zeigt, ist, dass sich viele Eltern wünschen, dass ihre Kinder in MINT-Berufen arbeiten. Überrascht Sie das?

Nein, es ist eine Antwort auf die Digitalisierung. Die Mehrheit denkt, dass die Technik zunehmend in unseren Alltag Einzug erhält, daher ist das nur eine logische Entwicklung. Und dann sind die Jobs auch gut bezahlt. Technik, Forschung, Naturwissenschaften, Wirtschaft – das ist die neue Mittelschicht. Kunst und Kultur wurden niedrig bewertet, Soziales auch. Ich finde das schade und sehe in diesen Bereichen viel mehr Potenzial, weil sie Visionen für Gegenwarts- und Zukunftsherausforderungen bieten können.

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