1. Preis Sektion Natur- und Technikwissenschaften 2021
Philipp Schommers hat einen Antikörper entdeckt, der nicht nur einen völlig neuen Ansatz bei der medikamentösen Therapie von HIV-Patientinnen und -Patienten denkbar macht – er lässt sogar auf einen Fortschritt in der HIV-Prävention hoffen.
Die Forschung
„1-18“ kann die HIV-Therapie revolutionieren
Text: Dorthe March
Fotos: Patrick Pollmeier
Das Blut von 2274 HIV-positiven Patientinnen und -Patienten aus Deutschland, Tansania, Nepal und Kamerun hat Philipp Schommers am Universitätsklinikum Köln untersucht – und ist dabei tatsächlich auf einen Antikörper gestoßen, der die HIV-Therapie revolutionieren könnte. „Nach fast 40 Jahren intensiver Forschung gibt es weiterhin keine Heilung von HIV-Infektionen“, sagt er, „und auch nachhaltige Impfstrategien, die vor einer Ansteckung mit HIV schützen, sind noch nicht in Sicht.“ Das durch HIV ausgelöste „Acquired Immune Deficiency Syndrome“ (AIDS) hat seit seinem Bekanntwerden im Jahr 1981 weit mehr als 35 Millionen Opfer gefordert. Weltweit sind aktuell mehr als 38 Millionen Menschen mit HIV infiziert, und jährlich sterben etwa 700.000 Menschen an den Folgen der Immunschwächekrankheit.
Um zu verstehen, weshalb Schommers’ Entdeckung so bahnbrechend sein könnte, muss man die Eigenschaften des HI-Virus auf der einen und die Wirkweise der bisher erfolgreichsten therapeutischen Medikamente auf der anderen Seite kennen. Die Fachwelt dürfte bereits ziemlich beeindruckt sein: Schommers’ Ergebnisse wurden in „Cell“ publiziert – der wohl wichtigsten Zeitschrift für Zell- und Molekularbiologen weltweit.
Antikörper als neuer Ansatz
Der Status quo der HIV-Therapie: Sogenannte antiretrovirale Medikamente hemmen die Vermehrung des Virus, erhalten die Funktion des Immunsystems aufrecht und verhindern schwere andere – oft tödliche – Infektionen. Erforderlich ist allerdings eine lebenslange und tägliche Einnahme, die mit Nebenwirkungen einhergehen kann. Und da das HI-Virus stark mutiert, ist darüber hinaus immer eine Kombination mehrerer Wirkstoffe notwendig, um die Entwicklung von Resistenzen zu verhindern. Medizinerinnen und Mediziner sprechen von Fluchtmutationen. Der Begriff beschreibt, dass ein Virus seine Form verändert – und zwar so, dass Wirkstoffe nicht mehr daran andocken und es unschädlich machen können.
Als neue Option zur Bekämpfung von HIV erforschen Medizinerinnen und Mediziner seit einigen Jahren intensiv Antikörper, genauer gesagt HIV-neutralisierende Antikörper. „Diese Antikörper unterscheiden sich in ihrer Wirkungsweise grundlegend von konventionellen antiretroviralen Medikamenten, da sie das Virus durch eine gezielte Bindung an dessen Oberfläche direkt angreifen und somit eliminieren können“, erläutert Schommers. Die Crux: Bisher bekannte Antikörper wirken nur beschränkt. „Das Virus mutiert. Damit können sich auch Antikörper – wie die bekannten Wirkstoffe, die derzeit eingesetzt werden – nicht mehr an HIV binden. Am Ende wird das Virus resistent“, fasst der Mediziner das komplexe Problem zusammen.
„Das Virus mutiert. Damit können auch Antikörper – wie die bekannten Wirkstoffe die derzeit eingesetzt werden – nicht mehr an HIV binden. Am Ende wird das Virus resistent.“
Studienpreisträger Philipp Schommers
Bis zu eine Milliarde HI-Virus-Varianten – in einem Menschen
Den Durchbruch markierte, dass Schommers aus einem der mehr als 2000 getesteten Patientinnen und Patienten Antikörper extrahieren konnte, die bereits in geringen Mengen die Mehrzahl der HIV-Stämme neutralisieren. Um solche Antikörper zu identifizieren, musste der Forscher zunächst Millionen von B-Zellen untersuchen, die Antikörper gegen alle möglichen Keime bilden. Die Kunst ist es hierbei, genau die B-Zelle zu identifizieren, die den Bauplan für neutralisierende HIV-Antikörper in sich trägt. Die beste Bilanz wies am Ende der Antikörper „1-18“ auf. „Dieser Antikörper zeigte bereits bei geringen Konzentrationen eine große Wirkung und war gegen 97 Prozent der getesteten HIV-Varianten aktiv. 1-18 zählt somit zu den effektivsten bislang beschriebenen Antikörpern, die HIV neutralisieren können.“ Und er weist Schommers zufolge weitere erstaunliche Eigenschaften auf: „Er konnte bekannte Fluchtmutationen des HI-Virus umgehen. Darüber hinaus zeigten sich keine neuen Fluchtmutationen, nachdem man verschiedene HI-Viren dem Antikörper 1-18 ausgesetzt hatte.“
„Philipp Schommers bahnbrechende Forschung gibt Anlass zu optimistischen Prognosen der weltweit unverändert dringlichen HIV-Prävention und -Therapie.“
Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. Eckhard Nagel
Mitglied der Jury
Man geht davon aus, dass während einer andauernden HIV-Infektion bis zu mehrere Millionen verschiedene HI-Virus-Varianten entstehen – in einem einzelnen Patienten. Zudem hat das HI-Virus noch weitere Methoden entwickelt, um sein Oberflächenprotein so gut es geht vor dem menschlichen Immunsystem zu verstecken. Gemeinsam stellen die hohe Mutationsrate sowie die Tarnfähigkeiten des Virus eine immense Hürde für menschliche Antikörper dar, das HI-Virus zu erkennen und zu bekämpfen. Daher findet man Antikörper, die HI-Viren neutralisieren können, sehr selten. Und alle Versuche, diese durch Impfungen hervorzurufen, scheitern seit vielen Jahren.
Dissertationsergebnis von globaler Bedeutung
Am stärksten von HIV/AIDS betroffen ist der südliche afrikanische Kontinent. Hier lebt ungefähr die Hälfte aller Infizierten. Aber auch in Osteuropa und Zentralasien ist die Zahl der Infektionen in den letzten Jahren stark angestiegen. Damit ist die HIV/AIDS-Pandemie heute vor allem ein Problem der ärmsten Länder der Welt. HIV-Infektionen tragen nicht nur maßgeblich zu der Sterblichkeit in diesen Ländern bei, sondern verschärfen nicht zuletzt die soziale Kluft zwischen Entwicklungsländern und Industrienationen, wo Patientinnen und Patienten einen deutlich besseren Zugang zu wirkungsvollen Therapieoptionen haben.
1-18 könnte seinen Teil zur Lösung dieses Problems beisteuern. So plant Schommers, die Eigenschaften des Antikörpers in klinischen Studien schon bald an Patientinnen und Patienten zu testen und idealerweise die bisherigen Ergebnisse zu bestätigen. Und er blickt noch weiter in die Zukunft: „Forscher arbeiten daran, solche Antikörper durch eine Impfung hervorzurufen.“
Der Preisträger
Philipp Schommers
Am Universitätsklinikum Köln arbeitet Philipp Schommers (35) als Assistenzarzt und Clinician Scientist an der Klinik I für Innere Medizin, Onkologie, Hämatologie, Infektiologie und Klinische Immunologie sowie als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Virologie und im Labor für experimentelle Immunologie. Von 2007 bis 2013 studierte er Humanmedizin an der Uniklinik Köln und der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln. Die vorliegende Dissertation führte bereits zu Schommers’ zweiter Promotion: Nun ist er – zusätzlich zum Doktor der Medizin – auch Doktor der naturwissenschaftlichen Medizin. Beide Promotionen hat Schommers an der Universität zu Köln vorgelegt. Den Antikörper 1-18 lässt er sich derzeit gemeinsam mit seinen Kollegen Florian Klein und Henning Gruell patentieren.
Beitragstitel:
Breit neutralisierender HIV-Antikörper – neue Hoffnung im Kampf gegen HIV
Kontakt zu Philipp Schommers: philipp.schommers@uk-koeln.de
Promotion an der Universität zu Köln,
Medizinische und Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät