Foto: WSB Bayern / Kurt Otto

Wohnen als politischer Widerstand

von Dana Sendelbach

Insgesamt beschäftigten sich über 80 Beiträge des diesjährigen Geschichtswettbewerbs mit dem Thema Wohnen in der DDR. Besonders interessierten sich die Kinder und Jugendlichen für die Themen Wohnraumzuteilung, alternative Wohnformen und das Leben in Plattenbauten.

Durch den 2. Weltkrieg waren im Gebiet der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone mehr als eine halbe Million Wohnungen zerstört. Demgegenüber stand eine wachsende Bevölkerung, was zu einem deutlichen Wohnungsmangel führte. In der DDR waren die Mieten gesetzlich geregelt und Wohnungen wurden zu einem öffentlichen Gut. Um genügend Wohnraum zu schaffen, wurden Plattenbausiedlungen in den Außenbezirken von Städten errichtet. Trotzdem scheiterte die DDR oftmals daran, ihre eigenen, politischen Ziele in der Wohnungsfrage zu erreichen. Den Gründen dafür gehen die Teilnehmer:innen des Geschichtswettbewerbs in ihren Beiträgen auf die Spur.

Besetzte Wohnung im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.
Besetzte Wohnung im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Foto: GW-Beitrag 2023-2179

„Schwarzwohnen“ in der DDR

Obwohl in der DDR alle Menschen ein in der Verfassung festgeschriebenes Recht auf Wohnraum hatten, konnte nicht allen Wohnraum zugeteilt werden. Um in der DDR eine Wohnung zugewiesen zu bekommen, musste man zunächst einen Antrag an eine zentrale Wohnraumvermittlung stellen. Diese Anträge konnten mehrere Jahre dauern. Durch den Wohnungsmangel führte die staatliche Wohnraumzuteilung nicht immer zum Ziel. Demgegenüber stand ein weiteres wesentliches Charakteristikum der Wohnungssituation in der DDR: in vielen Altbauvierteln der Großstädte herrschte Leerstand.

Deshalb sahen einige Menschen die Besetzung von leerstehenden Altbauten als einzige Möglichkeit, an eine eigene Wohnung zu gelangen. Neun Schüler:innen der Gemeinschaftsschule Heinrich Heine aus Halle stellen die Wohnsituation eines jungen Paares vor, das sich entschied, „schwarz“ zu wohnen. Eine weit verbreitete Bezeichnung für das Wohnungsbesetzen war das „Schwarzwohnen“ oder „Leben im Abriss“. Allerdings bedeutete das nicht automatisch, dass keine Miete gezahlt wurde. Die Miete wurde oft freiwillig gezahlt, um irgendwann die Chance auf ein langfristiges und legales Mietverhältnis zu haben.

Oftmals befanden sich die illegal bezogenen Altbauwohnungen in maroden Zuständen, mit feuchten Wänden, kaputten Dächern und schlechten Öfen. Auch das junge Paar musste zunächst einige Sanierungs- und Reparaturarbeiten erledigen. Trotz vergeblicher Versuche, die Wohnung bei den Behörden zu legalisieren, blieben die beiden fast zehn Jahre dort wohnen. Für die Schüler:innen verdeutlichte das „Schwarzwohnen“ die Handlungsunfähigkeit des Staates, die Wohnsituation in den Griff zu bekommen.

  • Ausstellung in der Andreaskirche 1987.
    Ausstellung in der Andreaskirche 1987. Foto: GW-Beitrag 2023-0164
  • Ausstellung in der Andreaskirche 1987.
    Ausstellung in der Andreaskirche 1987. Foto: GW-Beitrag 2023-0164

Das Andreasviertel in Erfurt

Das Andreasviertel ist durch seine kleinteilige Bebauung und seine verzweigten Gassen ein besonders beliebter Teil der Altstadt Erfurts. Und das, obwohl das Viertel in der DDR ursprünglich vollständig zum Abriss vorgesehen war. In der DDR wurden zwar an den Stadträndern neue Siedlungen gebaut, doch viele Innenstädte wurden immer maroder. Daraufhin erschuf der Erfurter Stadtrat 1987 einen Plan, um den Altstadtverfall zu stoppen. Dieser Plan vom Bau neuer Wohneinheiten beinhaltete allerdings den Abriss von vielen alten Häusern, und bedeutete für viele Bürger:innen die Zerstörung jahrhundertealter Kultur.

Durch den Verfall der Innenstädte existierte immer weniger Wohnraum. Viele Menschen zogen deshalb aus den Städten auf das umliegende Land. Der Stadtrat wollte das durch neue Bauplanung verhindern. Doch viele Bewohner:innen der Stadt reagierten auf die Pläne mit Unzufriedenheit und Protest. Enna, Mara, Til und Leoni des Evangelischen Ratsgymnasiums Erfurt berichteten in ihrem Beitrag von einer Bürgerinitiative, die sich für den Erhalt der mittelalterlichen Stadt und gegen den Neubau von Plattenbauten einsetzten.

Unterschiedlichste Gruppen schlossen sich zusammen und konnten mit friedlichen Protesten und Durchhaltevermögen den Abriss vieler Häuser des Andreasviertels verhindern. Um die Altstadt zu bewahren, haben Aktivistinnen und Aktivisten mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen landesweit Aufmerksamkeit geschaffen. Zum Beispiel wurde Protest durch eine Menschenkette ausgedrückt oder mit einer Ausstellung in der Andreaskirche das Problem des Altstadtverfalls erstmals in den öffentlichen Fokus gerückt. Für die Schüler:innen verdeutlicht das die Wichtigkeit des Rechts auf Protest, denn besonders im oppressiven Regime der DDR habe das viel Mut der Bürger:innen gekostet. So konnte ein Stück Erfurter Geschichte erhalten bleiben.

Reparaturarbeiten an einer besetzten Wohnung in Berlin.
Reparaturarbeiten an einer besetzten Wohnung in Berlin. Foto: GW-Beitrag 2023-2179

Mehr Individualität durch alternative Wohnformen?

Die Wohnung sollte in der DDR von sozialem Status gelöst sein. Stattdessen sollten gleiche Wohnbedingungen die soziale Gleichheit widerspiegeln. Wohnungsbesetzungen wurden deshalb oft als politischer Widerstand angesehen, da es die Möglichkeit einer individuelleren Lebensweise bot und die zentrale Wohnraumzuteilung umging. Dincho und Nicolas des Herder Gymnasiums Berlin gehen mithilfe von Zeitzeug:inneninterviews der Frage nach, ob diese alternativen Wohnformen eine von staatlichen Vorschriften gelöste Lebensweise waren.

Der Beitrag stellt die sogenannte „Kinderkommune“ in Ost-Berlin vor, die von jungen Eltern 1983 in einer besetzten Wohnung gegründet wurde. Die Eltern wollten ihre Kindern nicht in eine staatliche Erziehungseinrichtung geben, sondern mehr Zeit gemeinsam verbringen und dafür in einer Wohngemeinschaft leben. In der Kinderkommune entstand eine eigene Lebensweise, die sich vom konventionellen Wohnen in der DDR unterschied. Diese äußerte sich in der Erziehung und auch im Alltag der jungen Erwachsenen. Eine zentrale Rolle im Unterschied zu regulären Mietern bestand im Ideal einer gemeinschaftlicheren Wohnform. Die heruntergekommenen Altbauwohnungen boten den Wohnungsbesetzern die Möglichkeit, ihre von staatlichen Vorschriften gelöste Lebensweise im privaten Wohnen zu verwirklichen.

Meistens geschahen Wohnungsbesetzungen in der DDR vorrangig aus pragmatischen Gründen. Manche der Zeitzeug:innen waren sich einig, dass nicht jede Wohnungsbesetzung auch als Widerstand gesehen werden konnte. Andere sahen das Bestreben nach einer selbstbestimmten Lebensweise bereits als politischen Widerstand. Alternative Wohnformen waren für viele oppositionell eingestellte junge Menschen eine Möglichkeit, eine individuelle Lebensweise zu gestalten.