Foto: WSB Bayern / Kurt Otto

Foto: Zeitschriftencover „Gastarbeiter*innen im Bremer Westen“, GW-Beitrag 2023-0385

Mehr als nur „Gastarbeiter:innen“: Wohnen und Migration in der Geschichte

von Andreas Winter

„Wir alle wohnen. Aber wir wohnen nicht alle gleich“ hieß es im Ausschreibungstext des Geschichtswettbewerbs „Mehr als ein Dach über dem Kopf. Wohnen hat Geschichte“. Diese Unterschiede finden sich häufig bereits im ungleich verteilten Zugang zu Wohnraum. Insbesondere Migrant:innen hatten und haben bis heute Nachteile bei der Suche nach Wohnungen oder Häusern. Sie haben es mit Vorurteilen oder teils offenem Rassismus zu tun, weil beispielsweise ihre Namen anders klingen.

Teilnehmer:innen des Geschichtswettbewerbs haben sich in ihren Beiträgen für den Wettbewerb 2022/23 mit diesem Thema beschäftigt und insbesondere die Perspektive der Migrant:innen untersucht. Die Motivation für die Spurensuche basierte dabei häufig auf persönlichem Interesse. In den Arbeitsberichten schilderten die Schüler:innen oftmals, dass ihre Großeltern ab den 1950er Jahren in die Bundesrepublik eingewandert waren und sie deswegen als Zeitzeug:innen von ihren damaligen Erfahrungen berichten konnten. Die ersten sogenannten „Gastarbeiter:innen“ schilderten dabei unter anderem die Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt oder aber schwierige Wohnbedingungen in Wohnheimen.

Um den historischen Wandel im Laufe der Jahrzehnte zu dokumentieren, setzten sich die Schüler:innen auf kreative Weise mit dem Thema auseinander und bewiesen, dass es vielfältige Möglichkeiten zur Präsentation der eigenen Forschungsergebnisse gibt. Videobeiträge, Websites oder sogar 3D-Modelle von Wohnungen erreichten die Körber-Stiftung.

Foto: Zeitschriftencover „Gastarbeiter*innen im Bremer Westen“, GW-Beitrag 2023-0385

Wohnverhältnisse der „Gastarbeiter:innen“ im Bremer Westen

Drei Schüler eines Bremer Gymnasiums erstellten beispielsweise eine Zeitschrift, um die Geschichte der „Gastarbeiter:innen“ in Bremen darzustellen und schilderten die Wohnbedingungen in den Unterkünften zu Anfang der 1960er Jahre. Zwar gab es in Bremen Mindestvorgaben für die Wohnraumgröße, allerdings wurden Verstöße nicht sanktioniert, sodass die hygienischen Bedingungen in den Sammelunterkünften oftmals schlecht waren. Erst durch den späteren Zugang zu eigenen Wohnungen konnten die Bedingungen deutlich verbessert werden. Die Schüler begnügten sich nicht damit, die Wohnsituation der Migrant:innen zu schildern, sondern erläuterten auch die Hintergründe der Anwerbeabkommen, die ab Mitte der 1950er Jahre mit verschiedenen Staaten geschlossen wurden, um neue Arbeitnehmer:innen in die Bundesrepublik zu begrüßen.

Screenshot: Die fiktive „Klein-Muffi Zeitung“, GW-Beitrag 2023-0475

Wohnbedigungen von Kanalarbeitern im 19. Jahrhundert

Die Titelseite einer fiktiven Zeitung erstellte Moritz Witte, um die Geschichte des Münsteraner Arbeiterviertels in der Kolonie Werse-Delstrup, „Klein-Muffi“ genannt, zu erzählen. Ende des 18. Jahrhunderts zogen Kanalarbeiter aus den Niederlanden und Italien in den Osten Münsters, um beim Bau des Dortmund-Ems-Kanals Arbeit zu finden. Aufgrund der schlechten hygienischen Bedingungen in diesem Wohnviertel zum Ende des 19. Jahrhundert und des dort deutlich wahrnehmbaren „müffelnden“ Geruchs, wurde der Spitzname „Klein-Muffi“ geprägt. Nach Fertigstellung des Kanals zogen die meisten Arbeiter wieder zurück in ihre Herkunftsstaaten. In den folgenden Jahrzehnten mieden viele Arbeiter:innen das Viertel aufgrund der schlechten Wohnbedingungen.

Der Schüler verglich die recherchierten Wohnbedingungen mit seiner eigenen Wohnumgebung und resümierte:

„Vergleicht man die Wohnungen der Arbeiter mit unseren Wohnungen, hatten sie sehr wenig Platz. Mein Zimmer ist fast so groß wie die gesamte Wohnung aus der Quelle. Wie auch aus den anderen Büchern hervorgeht, teilte man sich die Toilette mit anderen und man hatte keine richtige Küche oder ein Badezimmer, so wie wir das heute haben.“

Moritz Witte

Wohnglück im „vita nuova“?

Auf der Website www.una-vita-nuova.de schilderte Emilia Valentina Rodi aus Wanne-Eickel die Situation der italienischen Arbeiter:innen im Ruhrgebiet. Anders als ursprünglich in Italien auf Flyern beworben, konnten die „Gastarbeiter:innen“ nicht in Einfamilienhäusern wohnen, sondern mussten in Baracken unterkommen. Emilia vergleicht die Wohnsituation der „Gastarbeiter:innen“ mit der damals durchschnittlichen Wohnsituation in der Bundesrepublik:

„Eine Baracke bestand aus einer Küche und einem Schlaf- und Wohnbereich, 6 Personen haben hier auf 15qm gewohnt. Die Wohnfläche betrug pro Person also 2,5qm. Im Gegensatz dazu haben die Deutschen durchschnittlich mit 3 Personen auf 25qm gewohnt.“

Bei der Wohnungssuche wurden die „Gastarbeiter:innen“ benachteiligt, so dass es schwierig war, den Wohnbedingungen in den Baracken zu entkommen. Abwägend schlussfolgert die Schülerin, dass zwar beide Seiten finanzielle Vorteile aus der Situation gezogen hätten. Allerdings seien „Gastarbeiter:innen hier oftmals nicht als Menschen, sondern bloß als maschinenartige Arbeiter betrachtet“ worden. Sie sieht besonders die Weigerung, Deutschland auch als Einwanderungsland zu verstehen, als Hindernis im Integrationsprozess.

Fotos: Kaum mehr als ein Dach über dem Kopf. Italienische Gastarbeiter wohnten in Baracken, GW-Beitrag 2023-0718

Wohnen auf engstem Raum

Selin Önal und Roua Alsahly aus Bochum nutzten innovative technologische Möglichkeiten, um die Wohnbedingungen türkischer „Gastarbeiter:innen“ in den 1960er Jahren zu schildern. Da die Großeltern einer Verfasserin als „Gastarbeiter:innen“ aus der Türkei in die Bundesrepublik gekommen waren, befragten sie die Großmutter nach ihren Erfahrungen. Sie erstellten eine Website (Türkische Gastarbeit hat Geschichte) und entwarfen ein 3D-Modell der damaligen Wohnung.

Auch sie erfuhren bei ihrer Recherche von überfüllten Wohnheimen, den dort geltenden strikten Regeln, Besuche mussten beispielsweise von den Bewohner:innen angemeldet werden, und den Schwierigkeiten, eine eigene Wohnung zu finden. Ihr Fazit lautete:

„Die Regeln der Heime waren vergleichbar mit den Regeln der Jugendherbergen heutzutage, denn die Arbeiter wurden wie kleine Jungen im Ferienlager behandelt, obwohl sie die Gäste waren, die Deutschland zu dem machten, was es heute ist. Jeder einzelne Gastarbeiter, jede einzelne Gastarbeiterin, führte dazu, dass die Wirtschaft Deutschlands angekurbelt wurde und das unabhängig von der Herkunft.“

Selin Önal und Roua Alsahly

Screenshot: 3D Modell einer Gastarbeiter:innen-Wohnung, GW-Beitrag 2023-1514

„Obwohl die Bewohner Dußlingens durchaus Berufe wie Weber, Schuhmacher, Maurer, Schuster und Kessler ausübten, reichten diese gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer weniger zum Leben. Aus diesem Grund führten viele Dußlinger Landwirtschaft im Nebenbetrieb.“

Die Neuntklässlerin hat unter anderem den Plan eines Wohnhauses aufgetan, erbaut Ende des 19. Jahrhunderts: Nutzräume wie der Stall und eine Scheune befanden sich unter einem Dach mit den sehr viel kleineren Wohnräumen.

„In den Dörfern verschwanden allmählich die Ställe und Scheunen, die Misthaufen sind verschwunden und das Erscheinungsbild hat sich in den 60er/70er Jahren relativ schnell gewandelt. Durch Aktionen wie „Unser Dorf soll schöner werden“ wurde regelrecht ein Wettbewerb unter den Dörfern ausgelöst, das Dorfbild zu verändern und neu zu gestalten, sodass man das ländliche Aussehen und die Enge nur noch […] in der Dorfmitte erkennen kann.“

Die neue Landlust

Seit einigen Jahren ist auch der gegenläufige Trend zu beobachten, das Historische, authentisch Ländliche zu bewahren oder wieder herzustellen. Mit einem 1796 erbauten Gehöft im Rottal beschäftigten sich fünf Schülerinnen aus dem bayerischen Pfarrkirchen. Das aktuelle Besitzerpaar kaufte das stark verfallene Wohnstallhaus im Jahr 2018 und sanierte es mit viel Liebe fürs Historische. Alte Möbelstücke wurden restauriert, ein Bauerngarten angelegt.