Ich sage immer: „Ihr müsst Fragen stellen!“
Es ist Halbzeit beim Geschichtswettbewerb und wir haben bei der Tutorin Gisela Petrasch nachgefragt, wie die Teilnahme an der aktuellen Ausschreibung „Mehr als ein Dach über dem Kopf. Wohnen hat Geschichte“ verläuft. Gisela Petrasch arbeitet im Sächsischen Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden und berät seit vielen Jahren Schülerinnen und Schüler bei ihren Recherchen zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten. In diesem Jahr betreut sie zudem erstmals als Tutorin eine Schülerin beim Wettbewerb.
Frau Petrasch, Sie sind dem Geschichtswettbewerb sehr lange verbunden. Wie hat denn alles angefangen?
Ich bin seit 1985 im Sächsischen Staatsarchiv tätig und habe schon früher Gruppen von Schüler:innen betreut, die zum Beispiel im Rahmen der Jugendweihe ins Archiv kamen. Diese habe ich durch das Archiv geführt und ihnen einen Teil der sächsischen Geschichte vermittelt. Nach und nach wurde die archivpädagogische Arbeit zu einem meiner Schwerpunkte im Rahmen meiner ehrenamtlichen Tätigkeit. Das erste Mal mit dem Geschichtswettbewerb in Berührung gekommen bin ich 2008, als bei uns im Staatsarchiv Lehrerinnen und Lehrer begonnen haben als Archivpädagog:innen zu arbeiten. Diese habe ich bei der Quellenrecherche und auch bei Anfragen zum Geschichtswettbewerb archivfachlich betreut. In den Jahren 2012/13 bin ich dann selbst Mitglied der Landesjury des Geschichtswettbewerbs in Sachsen geworden. Dort hat mir das Arbeitsklima von Anfang an gefallen und ich war immer sehr gespannt auf die Arbeiten der Schüler:innen.
Wie sieht das aus, wenn Sie Schülerinnen und Schüler im Staatsarchiv bei der Recherche unterstützen?
Wenn ich eine Anfrage erhalte, nehme ich Kontakt mit den Schüler:innen auf, um festzustellen, ob sie selbstständig ins Archiv kommen können oder ob sie Unterstützung durch Lehrer:innen oder Eltern benötigen. Das Staatsarchiv verweist in der Anfragenbearbeitung im Regelfall nur auf die Quellen. Wenn ein Schüler oder eine Schülerin dann zur Benutzung kommt und in die Akten einsehen möchte, berate ich im Bedarfsfall und helfe auch bei der weiteren Quellenrecherche oder gebe bei älteren Akten auch mal eine Lesehilfe. Manchmal ist auch eine kurze Einführung in die Arbeit im Archiv notwendig. Das gehört nicht zu meiner archivarischen Tätigkeit im Sächsischen Staatsarchiv, diese Betreuung übernehme ich ehrenamtlich.
Erinnern Sie sich an einen besonderen Beitrag im Geschichtswettbewerb, der in den letzten Jahren mit Akten aus dem Archiv entstanden ist?
Ich kann mich an einen Schüler erinnern, der zur griechischen Gemeinde in Dresden geforscht hat, er hatte selbst griechische Wurzeln. Er war Schüler in der 10. Klasse und ist 14 Tage lang jeden Tag gekommen und hat intensiv die Akten gelesen. Solche Schüler:innen unterstütze ich natürlich immer gern, wenn ich merke, dass das Interesse wirklich von ihnen selbst kommt, sie wollen etwas herauskriegen. Ich sage auch immer zu den Schüler:innen „Ihr müsst Fragen stellen“.
Hatten Sie in diesem Jahr schon viele Anfragen zum laufenden Ausschreibungsthema des Wettbewerbs „Mehr als ein Dach über dem Kopf. Wohnen hat Geschichte“?
Zwei Anfragen habe ich zur Dresdener Gartenstadt Hellerau erhalten, eine davon kam sogar aus Hamburg. Aber insgesamt bekomme ich dieses Jahr nicht so viele Anfragen wie in der Vergangenheit. Ich glaube viele Schüler:innen recherchieren mehr in ihrem eigenen Umfeld, gehen nicht in die staatlichen Archive, sondern mehr in die kommunalen Archive. Das liegt vielleicht am Ausschreibungsthema in diesem Jahr. Bauakten und Baugenehmigungen sind kommunale Angelegenheiten und wohnen betrifft ja jede Familie: Gewohnt wurde schon immer! Ob das jetzt, ich sage es mal überspannt, in einer Höhle war oder im Bauernhaus oder später in den sogenannten WBS70 Bauten in der DDR (Wohnungsbauserie 70, auch als Plattenbauten bezeichnet).
In diesem Jahr betreuen Sie erstmals auch selbst als Tutorin eine Schülerin bei ihrem Beitrag.
Ja, dieses Jahr betreue ich eine Schülerin, die in die 4. Klasse geht. Ihre Familie hat vor einigen Jahren ein Haus in Dresden gekauft, das in einer Siedlung steht, die 1933 erbaut wurde. Ich begleite die Schülerin bei der Erforschung der Geschichte dieser Siedlung. Als sie vom Thema des Geschichtswettbewerbs erfahren hat, war sie sofort begeistert.
Wie unterstützen Sie die Schülerin?
Ich habe ihr bei der Quellensuche geholfen. Also zunächst haben wir einen Brief an alle Nachbar:innen in der Siedlung geschrieben, darin hat sie sich mit Foto vorgestellt und erzählt, dass sie beim Geschichtswettbewerb mitmacht und dass sie Unterlagen zur Geschichte der Siedlung sucht. Daraufhin sind einige Nachbar:innen auf sie zugekommen und haben erzählt, dass sie die Häuser teilweise geerbt haben und noch Unterlagen und Fotos vom Hausbau und der Entstehung der Siedlung aufbewahren. Wir haben dann als nächstes das Stadtarchiv Dresden angeschrieben und dort weitere Unterlagen gefunden, zum Beispiel Bauakten zum Haus und zur Umbenennung der Straße, in der die Schülerin wohnt. Sie findet das Thema total spannend und möchte so viel wie möglich herausfinden über die Geschichte ihres Wohnhauses und der Siedlung, in der es steht.
Wie blicken Sie persönlich auf das Ausschreibungsthema?
Ich finde es sehr spannend. Dazu kann wirklich jede:r etwas sagen und zum Beispiel die eigenen Großeltern befragen. Wenn ich noch einmal Schülerin wäre, würde ich mitmachen!
Das Interview führte Lena Langensiepen.