Vom Krieg in der Ukraine bis zum Klimawandel: Wie sich die außenpolitischen Prioritäten von Deutschland und aufstrebenden Mittelmächten unterscheiden

Experten-Umfrage der Körber-Stiftung beleuchtet die verschiedenen Sichtweisen von Deutschland, Brasilien, Indien und Südafrika auf die Außenpolitik

Die Herausforderungen in der Außenpolitik werden von Entscheidungsträgerinnen und -trägern aus Brasilien, Indien, Südafrika und Deutschland fundamental unterschiedlich bewertet. Während 30 Prozent der deutschen Befragten den Krieg in der Ukraine als die bedeutendste außenpolitische Herausforderung betrachten, gibt knapp jeder und jede zweite Befragte in Indien (49 Prozent) an, die Beziehungen zu China als besonders herausfordernd wahrzunehmen. In Brasilien wird der Klimawandel (38 Prozent) und in Südafrika das Ausbalancieren der Beziehungen zwischen den Großmächten (21 Prozent) als größte außenpolitische Herausforderung angesehen.

Das ist das Ergebnis der Umfrage des „Emerging Middle Powers Report 2024“ der Körber-Stiftung, durchgeführt vom Meinungsforschungsinstitut Verian im Oktober und November 2023 mit fast 1.000 Expertinnen und Experten in Brasilien, Indien, Südafrika und Deutschland. Im Rahmen eines Auftaktabendessens anlässlich des 184. Bergedorfer Gesprächskreises diskutiert Bundeskanzler Olaf Scholz Ergebnisse des Emerging Middle Powers Reports 2024 mit Teilnehmenden der Konferenz im Bundeskanzleramt.

Großes Selbstbewusstsein

27 Prozent aus Brasilien und 23 Prozent aus Südafrika geben an, dass ihr Land Einfluss auf internationale Entscheidungsprozesse hat. In Indien betrachten sogar 48 Prozent der Umfrageteilnehmenden ihr Land als einflussreich. Deutschland wird wiederum von nur 21 Prozent der deutschen Befragten als einflussreich bewertet.

„Um eine bessere internationale Verständigung mit den aufstrebenden Mittelmächten zu erreichen, muss der Westen seinen Beitrag leisten. Wir müssen über unsere eigenen Echokammern hinaushören und zum Beispiel mit Brasilien, Indien und Südafrika aktiv den Dialog suchen“, kommentiert Nora Müller, Leiterin des Bereichs Internationale Politik der Körber-Stiftung, die Umfrageergebnisse.

Wenig Unterstützung für Russland

Im Durchschnitt sprechen sich nur vier Prozent der Expertinnen und Experten aus Indien, Brasilien und Südafrika (IBSA) für eine Unterstützung Russlands im Krieg gegen die Ukraine aus. Die Mehrheit der IBSA-Befragten wünscht sich stattdessen, dass ihr Land eine neutrale Vermittlerrolle einnimmt (durchschnittlich 60 Prozent). In Deutschland befürworten nur neun Prozent eine Vermittlerrolle ihres Landes.

Eine deutliche Mehrheit aus Deutschland (89 Prozent) und auch jeder und jede Vierte aus Südafrika (27 Prozent) spricht sich für die Unterstützung der Ukraine aus. Dennoch positioniert sich die südafrikanische Regierung wesentlich neutraler. Präsident Cyril Ramaphosa rief zuletzt beide Seiten, Russland und die Ukraine, zur Deeskalation auf.

Geteilte Meinung zu China

Die Meinungen über Chinas Einfluss gehen in den befragten Ländern weit auseinander. Während Chinas Einfluss in Indien (86 Prozent) und Deutschland (90 Prozent) mehrheitlich negativ bewertet wird, sehen ihn die Befragten in Brasilien (78 Prozent) und Südafrika (62 Prozent) positiv.

Angesichts der Rivalität zwischen den USA und China bevorzugen die Befragten in Brasilien (82 Prozent) und Südafrika (79 Prozent) eine neutrale Position zwischen beiden Großmächten. In Deutschland (80 Prozent) und Indien (59 Prozent) positionieren sich die Befragten mehrheitlich auf der Seite der USA.

Kritik an den Vereinten Nationen, Hoffnung auf G20 und BRICS

Durchschnittlich 38 Prozent der Umfrageteilnehmenden aus Brasilien, Indien und Südafrika sehen die Gruppe der G20 am besten für die Lösung globaler Herausforderungen gerüstet, während dies nur knapp ein Fünftel (18 Prozent) über die Vereinten Nationen sagt. Eine deutliche Mehrheit aus den IBSA-Staaten (91 Prozent) befürwortet als Reform der Vereinten Nationen eine Erweiterung des Sicherheitsrates. Dieser Wunsch wird von 78 Prozent der deutschen Befragten geteilt.

Während die im Jahr 2023 beschlossene Erweiterung der BRICS-Gruppe um sechs weitere Staaten in den IBSA-Ländern mehrheitlich positiv bewertet wird (durchschnittlich 62 Prozent), beurteilt sie in Deutschland jeder und jede zweite Befragte negativ (52 Prozent). In den IBSA-Ländern spricht sich allerdings auch nur jeder und jede Zweite für eine erneute Erweiterungsrunde aus (durchschnittlich 53 Prozent).

Wunsch nach technischer Unterstützung aus Deutschland

Expertinnen und Experten aus den IBSA-Staaten bewerten die bilateralen Beziehungen ihres Landes zu Deutschland positiv (Durchschnittsnote 7,3 von 10). Eine große Mehrheit ist der Meinung, dass ein stärkeres Engagement Deutschlands in Forschung und Entwicklung (97 Prozent) sowie intensivere Zusammenarbeit bei Wirtschaft und Entwicklung (96 Prozent) und ein verbesserter Transfer von technischem Wissen (98 Prozent) die Beziehungen zwischen Deutschland und den Schwellenländern des „globalen Südens“ verbessern könnten.

Im Gegensatz dazu geben 38 Prozent der Befragten in Deutschland an, dass es die Beziehungen verbessern würde, wenn Deutschland in Zukunft mehr militärische Unterstützung anbieten würde. Diese Einschätzung teilen nur 27 Prozent der Befragten in Indien, 21 Prozent in Südafrika und 11 Prozent in Brasilien.

Über die Umfrage

Die Umfrage des „Emerging Middle Powers Report 2024” wurde von der Körber-Stiftung in Auftrag gegeben und von Verian Deutschland zwischen dem 16. Oktober und dem 29. November 2023 basierend auf einem Onlinefragebogen durchgeführt. Die Stichprobe ist weder repräsentativ noch zufällig. Sie besteht aus Vertreterinnen und Vertretern aus Regierung, Parlament, Militär, Justiz, Diplomatie, Journalismus, Wissenschaft, Nichtregierungsorganisationen, dem Aktivismus und der Privatwirtschaft aus Brasilien, Indien, Südafrika und Deutschland.

Die Teilnehmenden wurden individuell von der Körber-Stiftung oder ihren Kooperationspartnern in Brasilien (BRICS Policy Center), Indien (Gateway House Indian Council on Global Relations) und Südafrika (South African Institute of International Affairs) kontaktiert. Um Doppelteilnahmen zu vermeiden, war jeder Link der Onlineumfrage nur einmal gültig. Die Fragen waren in allen Ländern identisch, wurden jedoch in Deutschland auf Deutsch, in Brasilien auf Portugiesisch, in Südafrika auf Englisch und in Indien auf Englisch und Hindi gestellt.

Über die Körber Emerging Middle Powers (KEMP) Initiative

Die KEMP-Initiative will durch eine jährliche Umfrage zu einem besseren Verständnis der geopolitischen Sichtweisen in Ländern wie Brasilien, Indien und Südafrika beitragen und den Dialog zwischen Deutschland und den aufstrebenden Mittelmächten fördern.

Alle Ergebnisse, Grafiken und weitere Informationen zur KEMP Initiative finden Sie hier.

Angebote für Journalistinnen und Journalisten (bitte über den Pressekontakt anfragen):

  • Interview mit Nora Müller, Leiterin des Bereichs Internationale Politik der Körber-Stiftung, oder Julia Ganter, Programmleiterin KEMP-Initiative
  • Interview mit Steven Gruzd, Leiter African Governance and Diplomacy Programme des South African Institute for International Affairs, Manjeet Kripalani, Direktorin des Gateway House Indian Council on Global Relations oder Carlos Frederico de Souza Coelho, Wissenschaftler am BRICS Policy Center
  • Tabellenbände von Varian Deutschland mit allen Umfrageergebnissen
  • Teilen Sie Ihre Analyse der Umfrage und verfolgen Sie die Reaktionen über X: #KEMP, @KoerberIP

Pressekontakt
Inke Maria Horstmann
Pressereferentin
Telefon: +49 40 80 81 92 207
E-Mail: horstmann@koerber-stiftung.de

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