„Dialog ist niemals voraussetzungslos“

Ein Interview mit Thomas Paulsen, Vorstand der Körber-Stiftung

Körber-Stiftung: Aus den Wahlen zum Europäischen Parlament am 9. Juni sind Parteien am rechten Rand des politischen Spektrums gestärkt hervorgegangen. Welche Lehre ziehen Sie aus dem Wahlergebnis?

Thomas Paulsen: Liberale Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Jede und jeder muss einen Beitrag zur Verteidigung unserer Werte und zum Funktionieren unseres Gemeinwesens leisten. Für eine gelingende Demokratie braucht es vor allem eines: überzeugte Demokratinnen und Demokraten, die für ihre Haltung einstehen.

Der US-amerikanische Politiker Tip O’Neill hat einmal gesagt: „All politics is local“. Daher ist eines der zentralen Anliegen der Körber-Stiftung, Mandatsträgerinnen und Mandatsträger vor allem auf kommunaler Ebene in ihrem Engagement für die Demokratie zu stärken. Dass diese engagierten Menschen immer öfter zur Zielscheibe von Anfeindungen, ja physischer Gewalt werden, erfüllt mich mit großer Sorge.

Körber-Stiftung: Die Verunsicherung in unserer Gesellschaft ist derzeit groß. Welchen Anteil daran haben die außen- und sicherheitspolitischen Krisen, mit denen wir konfrontiert sind?

Thomas Paulsen: Die aktuelle Weltlage ist in der Tat bedrohlich – ich höre oft den Begriff der „Polykrise“. Viele Menschen hierzulande sähen es gern, wenn Deutschland sich aus internationalen Krisen und Konflikten heraushielte. Das belegen auch die Umfragen, die wir regelmäßig für unsere außenpolitische Jahrespublikation „The Berlin Pulse“ erheben. Ich bin da anderer Meinung: Wir müssen unsere liberale Demokratie im Inneren stärken, aber auch vor Angriffen von außen schützen. Daher ist eine Haltung des Sich-Wegduckens und des Ball-Flach-Haltens für ein so wirtschaftsstarkes und politisch einflussreiches Land wie Deutschland keine Option.

Hinzu kommt: Die russische Invasion der Ukraine, aber auch das Massaker der Hamas-Terroristen an israelischen Zivilisten vom 7. Oktober 2023 und der daraus resultierende Krieg zeigen, dass wir als Gesellschaft auf vielfältige Weise betroffen sind von diesen Kriegen und Konflikten. Innen- und Außenpolitik lassen sich immer weniger voneinander trennen.

Körber-Stiftung: Der 7. Oktober hat eine Welle antisemitischer Vorfälle ausgelöst – auch in Deutschland. Jüdinnen und Juden fühlen sich im öffentlichen Raum oft nicht mehr sicher.

Thomas Paulsen: Das ist unerträglich. Eines unserer Ziele als Stiftung ist es, ein tieferes Verständnis für historische Ereignisse und deren Bedeutung für politische Zusammenhänge der Gegenwart zu vermitteln. Auch aus diesem Grund sehen wir uns der historisch-moralischen Verantwortung, die Deutschland aus der Shoa erwächst, in besonderer Weise verpflichtet. Dazu gehört eine klare Haltung gegen Antisemitismus und jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie für das Existenzrecht und die Sicherheit Israels.

Körber-Stiftung: Was tut die Körber-Stiftung ganz konkret?

Thomas Paulsen: Wir folgen unserer Gründungsidee: „Miteinander, nicht übereinander reden.“ Das bedeutet: Wir schaffen Plattformen, die aufklären und sensibilisieren. Das ist in einer zunehmend diversen Gesellschaft, in der Menschen mit ganz unterschiedlichen biographischen Prägungen zusammenleben, besonders wichtig. Ein gutes Beispiel ist unser „Geschichte ist Gegenwart!“-Podcast, in dem wir unter anderen mit dem israelischen Historiker David Ranan über den Unterschied zwischen Israel-Kritik und Antisemitismus diskutieren. Oder unsere Veranstaltung mit Michel Friedman, der über seine Erfahrungen mit Judenhass, Rassismus und Ausgrenzung im Deutschland der sechziger Jahre berichtet.

Gerade mit Blick auf den Nahen Osten sind historische Narrative und Konflikte der Gegenwart aufs Engste miteinander verwoben. Das macht die Situation so vielschichtig und komplex. Unser Anspruch ist es, Räume für einen differenzierten Austausch jenseits der Schlagzeilen zu schaffen, in denen unterschiedliche Perspektiven zu Gehör kommen. So haben unsere Gäste im KörberForum Anfang des Jahres mit dem Israel-Kenner Richard Chaim Schneider, der deutsch-palästinensischen Schriftstellerin Joana Osman und dem deutschen Diplomaten Andreas Reinicke über die Auswirkungen des 7. Oktobers und des israelischen Kriegs gegen die Hamas diskutieren können. Ich finde wichtig, dass wir als Gesellschaft auch über solch kontroverse Themen miteinander im Gespräch bleiben.

In Kürze erscheint in unserer Serie „The Berlin Pulse Express Edition“ ein Interview mit Udi Dekel, einem ehemaligen General der Israeli Defense Forces und Analyst beim Institute for National Security Studies in Tel Aviv. Darin wird es um die israelischen Ziele im Krieg gegen die Hamas gehen und um die Frage, ob die Art und Weise, wie der Krieg derzeit geführt wird, langfristig zur Sicherheit Israels beiträgt.

Körber-Stiftung: In dieser Serie hat die Körber-Stiftung auch Hossein Mousavian, einen ehemaligen iranischen Diplomaten, der heute als Gastwissenschaftler an der Princeton University tätig ist, interviewt. Als Diplomat war Hossein Mousavian Vertreter eines Regimes, dem nicht nur massive Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, sondern das immer wieder zur Vernichtung Israels aufruft. Wie passt das zusammen?

Thomas Paulsen: Der inzwischen verstorbene Bischof und Menschenrechtsaktivist Desmond Tutu hat einmal gesagt: „Wenn du Frieden willst, redest du nicht mit deinen Freunden. Du redest mit deinen Feinden“. Iran bedroht mit seinen direkten und indirekten Angriffen und seinem Atomprogramm nicht nur die Sicherheit Israels, sondern auch die Stabilität der gesamten Region. Die Menschenrechtssituation in Iran ist verheerend. Wenn wir der destruktiven Politik Teherans etwas entgegensetzen wollen, müssen wir verstehen, wie es „tickt“, wie Entscheidungen im iranischen Machtapparat getroffen werden. Hossein Mousavian, der viele Jahre wichtige Funktionen in der iranischen Regierung innehatte, später selbst im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis inhaftiert war und jetzt seit 15 Jahren in Princeton arbeitet, kann wichtige Einblicke in die Funktionsweise dieses Systems geben.

Körber-Stiftung: Gibt es für die Körber-Stiftung auch Grenzen des Dialogs?

Thomas Paulsen: Dialog ist niemals voraussetzungslos. Zum einen kommt es darauf an zu entscheiden, mit wem der Dialog geführt wird. Gerade in Debatten über Konfliktsituationen treffen hier häufig sehr unterschiedliche Positionen, aber auch Haltungen und Werte aufeinander. Bewegung in festgefahrenen Debatten entsteht aber häufig erst, wenn solche Positionen ausgetauscht werden, auch wenn sie auf Haltungen oder Werten beruhen, die wir in unserer Gesellschaft nicht teilen. Hier ist eine aktive Moderation entscheidend. Sie hilft einerseits, Blockaden zu überwinden, und greift andererseits ein, wenn Positionen geäußert werden, die in Widerspruch zu unserem Wertekanon stehen. Natürlich gibt es Grenzen des Tolerierbaren. Aus meiner Sicht verbietet sich zum Beispiel der Dialog mit einem Regime, das einen brutalen Angriffskrieg gegen einen souveränen Nachbarstaat führt und unverhohlen mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen droht. Aus diesem Grund haben wir unsere Dialogaktivitäten mit dem offiziellen Russland nach dem Beginn der russischen Invasion der Ukraine ausgesetzt. Trotz aller Widrigkeiten und Rückschläge bin ich davon überzeugt, dass die „Methode Dialog“ unverzichtbar für die internationalen Beziehungen bleibt.

Körber-Stiftung: Vielen Dank für das Gespräch!