Natasha A. Kelly: Rassismus und die Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland

Geschichte ist Gegenwart! Der History & Politics Podcast der Körber-Stiftung

  • History
  • Society
  • International Understanding
  • 40 min.
  • 18. episode

Über die Geschichte(n) Schwarzer Menschen in Deutschland wissen wir immer noch zu wenig: Mit der Kommunikationssoziologin Natasha A. Kelly sprechen wir im neuen History & Politics Podcast über die historischen Wurzeln und strukturelle Verankerung des Rassismus von der Kolonialzeit bis heute und natürlich auch über aktuelle Diskurse wie sie unter anderem von der Black Lives Matter-Bewegung angestoßen werden. Dabei geht es auch um den Rassismus dem Schwarze Deutsche ausgesetzt sind und waren.

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„Aufgrund der rassistischen Ideologie […] haben Schwarze Menschen beispielsweise erschwerten Zugang zu bestimmten Berufen, haben erschwerten Zugang zum Wohnungsmarkt. Und das ist nicht, weil meine Haut einen bestimmten Ton hat, sondern weil mit dem Hautton Geschichte mitschwingt. Und deswegen ist es halt auch immer wichtig, die geschichtliche Ebene des Rassismus mitzudenken, …“

Natasha A. Kelly, Kommunikationssoziologin

Hallo und herzlich willkommen! Dies ist eine neue Folge von History and Politics, dem Podcast der Körber-Stiftung zu Geschichte und Politik. Wie jedes Mal sprechen wir auch heute mit einem Gast über ein aktuelles politisches oder gesellschaftliches Thema. Und fragen, wie uns die Vergangenheit dabei helfen kann, die Gegenwart besser zu verstehen. Ich bin Gabriele Woidelko und freue mich, dass Sie bei uns reinhören.

In dieser Folge geht es um die Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland, um Schwarze Deutsche und den Rassismus dem sie ausgesetzt sind und waren. Dabei sprechen wir über die historischen Wurzeln und strukturelle Verankerung des Rassismus von der Kolonialzeit bis heute und natürlich auch über aktuelle Diskurse wie sie unter anderem von der Black Lives Matter-Bewegung angestoßen werden.

Darüber hat meine Kollegin Christine Strotmann mit der promovierten Kommunikationswissenschaftlerin und Soziologin Natascha A. Kelly gesprochen. Natascha Kelly ist Schwarze Deutsche und arbeitet als Autorin, Kuratorin, Dozentin und Künstlerin zu Kolonialismus, Feminismus und Rassismus.

Frau Kelly, wir wollen heute über zwei verschiedene, aber eben leider doch auch sehr verbundene Dinge sprechen möchten. Und zwar einerseits über die Geschichte der Schwarzen* Deutschen oder auch Schwarzen Menschen in Deutschland, die ja vielleicht nicht alle Deutsche sind und andererseits aber natürlich auch - man kann das eine leider nicht ohne das andere verhandeln - möchten wir über den Rassismus sprechen, dem Schwarze Deutsche oder Schwarze Menschen in Deutschland ausgesetzt sind. Ich würde gern damit einsteigen Frau Kelly, Sie selbst, wie würden Sie sich selbst bezeichnen, wie möchten Sie bezeichnet werden?

Natasha A. Kelly Als Schwarze, Schwarze Frau, Schwarze Feministin, ich bin ja auch bekennende Schwarze Feministin. Und seit zwei Wochen tatsächlich auch eingebürgerte Deutsche, also ich bin auch Schwarze Deutsche, ja.

Sind Sie deutschstämmig?

Was heißt deutschstämmig? Da sind wir ja schon im Prinzip bei der Thematik. Was heißt deutsch und braucht es nicht in der Gegenwart eine neue Definition von deutsch? Deutschstämmig ist natürlich eine biologische Definition, die dem zugrunde liegt. Also ich müsste ja deutsches Blut haben, um deutsch zu sein, was dann natürlich mit bestimmten phänotypischen Merkmalen einhergeht: vermeintlich blond, blauäugig, was dann eigentlich auch gar nicht wirklich deutsche phänotypische Merkmale sind und ich würde eher dafür plädieren, es als kulturelle Identität zu betrachten. Also ich bin in Deutschland sozialisiert, bin als junges Mädchen nach Deutschland gekommen, bin hier zur Schule gegangen, habe mein Abitur gemacht, habe eine Ausbildung gemacht, habe studiert, habe promoviert, ich denke deutsch, ich fühle deutsch und jetzt bin ich auch deutsch, weil ich eingebürgert wurde. Und ob ich deutschstämmig bin, tja, es ist ganz interessant, weil wenn ich im Ausland bin, wenn ich in den USA bin oder in der Karibik, wo meine Großfamilie ist, bin ich sehr wohl deutsch: von der Art wie ich mich bewege, wie ich immer gerne pünktlich bin und diese klassischen Tugenden. Also Deutschsein kommt stärker zum Ausdruck, wenn ich nicht in Deutschland bin. Und wenn ich in Deutschland bin, dann wird mir mein Deutschsein häufig abgesprochen aufgrund der Tatsache wie ich aussehe: dass ich einen Afro habe, wie meine Haut aussieht, meiner phänotypischen Merkmale. Ja, da sind wir eigentlich tatsächlich direkt bei der Thematik. Denn Deutschsein ist ja ganz eng mit nationaler Identität verstrickt. Wenn wir uns die Geschichte des Rassismus in Deutschland angucken, dann müssen wir tatsächlich zurückgehen zur Nationengründung. Da ist es, wo die Geschichte des Rassismus in Deutschland beginnt. Nämlich, dass Rasse und Nation auf’s Engste miteinander verstrickt sind.

Frau Kelly, dann lassen Sie uns doch einmal tatsächlich zurückgehen. Sie haben schon gesagt, die Zeit der Nationengründung, also des Deutschwerdens Deutschlands sozusagen, die so eng verbunden ist auch mit der Vorstellung davon, was Deutschsein heißt und genau in diese Phase fallen unter anderem die ersten Zuzüge, von Schwarzen Menschen nach Deutschland. Wer war das, warum sind sie hergekommen?

Vorab glaube ich, dass es wichtig ist, nochmal zu sagen, dass die Geschichte des Rassismus nicht im Kontext von Migration gesehen werden kann. Natürlich gibt es im Zuge der Geschichte unterschiedliche Migrationsbewegungen. Aber ich glaube, dass es fatal ist, wenn wir Rassismus erforschen und analysieren wollen, das über die Migration und über Migrationswellen zu machen. Die hat es schon immer gegeben in jedem Land, behaupte ich mal, auch in Deutschland. Ich glaube, dass wir das Ganze anders aufrollen müssen, nämlich überhaupt wie sich das spiegelt mit der Nationenbildung. Wir neigen ja dazu, immer nur die eine Seite der Medaille anzugucken, wann wer wo nach Deutschland kam und wie und wie lange die blieben oder ob sie gingen oder nicht gingen. Also wir werden ja in so einem Migrationsstatus verhaftet ständig. Wenn wir uns aber die andere Seite der Medaille angucken, dann ist es so, dass die Nationenbildung eng mit einer Rassifizierung einherging. Das ist der Beginn der zweiten Welle der Kolonialisierung, Es gab die Preußen, die nach Ghana gefahren sind und dort gibt es heute noch die Burg Friedrichsburg oder Großfriedrichsburg, wo mit versklavten Menschen gehandelt wurde. Also auch da ist eine Verantwortung, eine historische.

Aber fangen wir an, warum wir heute im Prinzip noch das spüren oder bzw. warum diese Geschichte noch andauert: Da würde ich eher im 19. Jahrhundert ansetzen, mit der Nationenbildung. Und damals bekam Deutschland neben anderen europäischen Ländern Kolonien zugesprochen, also sie haben in ihrem Monopoly-Spiel, was sie gespielt haben, Afrika untereinander aufgeteilt. Es war wirklich ein Geschäft, also deswegen betone ich tatsächlich Monopoly-Spiel. Also diejenigen, die genügend Geld hatten, konnten sich einen Berg kaufen, eine Insel kaufen, einen See kaufen. Und natürlich im Zuge dieser Kolonialisierung nahm auch die Kolonialmigration zu, um auf Ihre Eingangsfrage zurückzugehen. Aber das waren nicht die ersten Schwarzen, die im deutschsprachigen Raum waren, natürlich gab es Jahrhunderte zuvor immer Austausch mit verschiedenen afrikanischen Königreichen, Handelsbeziehungen mit verschiedenen afrikanischen Gebieten und so weiter und so fort. Das ist eine mögliche Station, wo wir uns dann unter dem Aspekt der Migration, Kolonialgeschichte angucken können.

In den deutschen Kolonien wurde dann das sogenannte Mischehenverbot beschlossen, zuerst im Pazifik in Samoa. Das führte zu einer politischen Debatte im Reichstag, also es strahlte sozusagen zurück. Woraus dann das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1912/1913 entstand. Und das ist noch immer die Grundlage des heutigen Staatsangehörigkeitsgesetzes. Und ich habe das Gesetz tatsächlich gesucht im Archiv, weil ich wirklich wissen wollte, was steht denn jetzt da drin? Wer oder was ist nun wirklich deutsch? Wie wird das Deutschsein definiert? Und das ist ganz interessant, dass überhaupt nicht definiert wird, wer oder was deutsch ist, sondern wer nicht deutsch ist. Da wird mit rassistischen Fremdbezeichnungen wie »Eingeborene« gehandelt. Also afrikanische Menschen wurden als Eingeborene betitelt in diesem Gesetz. Also da ist ja wirklich der Ursprung dieser ideologischen Rassenhygiene schon in diesem Gesetz festgeschrieben und das ist noch heute die Grundlage des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Das heißt, dass Deutschsein über Blut oder durch Blut übertragen wird, also das Recht auf Deutschsein oder deutsche Identität. Es ist natürlich erweitert worden dieses Gesetz im Zuge der Zeit, aber nichts desto trotz haben wir damit nicht die Strukturen verändert, sondern wir haben es nur erweitert und eine Klammer gesetzt oder die Klammer geöffnet, sagen wir es mal so. Und das ist ein Beispiel, wie sich eben Rassismus strukturell eingeschrieben hat in Gesellschaft.

Lassen Sie uns nochmal kurz über diese Kolonialbeziehungen sprechen. Also im Grunde genommen führte es in Deutschland, im Deutschen Reich, im Kaiserreich dazu, dass es deutsche Territorien gab, die auf verschiedenen Kontinenten der Welt lagen und auf denen Menschen lebten, die aber nicht als Deutsche verstanden wurden. So würden wir es zusammenfassen.

Im deutschen Kaiserreich war die Bezeichnung »Kolonialmigranten«, oder es wurde auch häufig innerhalb der Communitys von »Landsleuten« gesprochen. Und die hatten unterschiedliche Angehörigkeitsstati. Also eine Einbürgerung war unheimlich schwer für sehr sehr viele, die ist nicht ohne weiteres erfolgt. Vor allem nachdem Deutschland dann mit dem Versailler Vertrag die Kolonien abgeben musste an Frankreich, Kamerun ging an Frankreich und Ghana, Togo an England und so weiter, wurden diejenigen, die keine Staatsangehörigkeit oder Reichsangehörigkeit hatten zu dem Zeitpunkt mit deportiert. Sie haben also wirklich ihr Aufenthaltsrecht verloren. Also da sehen wir nämlich auch, wie tatsächlich immer die Geschichte von Schwarzen Deutschen immer wieder unterbrochen wird in der Geschichte. Warum es keine durchgehende Kontinuität von Schwarzen Menschen in Deutschland gibt, was ja auch wiederum eben eng mit Geschichte und Politik zusammenhängt.

Und die Kinder aus diesen Ehen, um da nochmal zurückzugehen zu den Mischehengesetzen, das ist ja die erste Generation von Afrodeutschen gewesen. Und mit dem Gesetz wurden sie eben in legitime und illegitime Kinder eingeteilt. Also wenn die Eltern sozusagen rechtzeitig geheiratet haben, also bevor dieses Gesetz erlassen wurde, waren sie legitim und hatten das Recht auf die Staatsangehörigkeit des Vaters, wenn sie aber nicht rechtzeitig geheiratet haben, also die Eltern, dann waren das illegitime Kinder und hatten eben kein Anrecht auf die deutsche Staatsangehörigkeit.

Wir hatten jetzt besprochen, das Kaiserreich verliert den Krieg und damit seine Kolonien und dann kommen wir schon in die nächste Phase der Geschichte von Schwarzen Deutschen. Und eben auch genau auf diese Fragen von damals so genannten Mischlingskindern, die ja schon mit der Rheinlandbesetzung relativ stark verknüpft ist, also dann haben wir schon wieder eine neue Form von Migration und aber auch Diskriminierung.

Und Schwarze Deutsche, nicht nur Migration, das ist es ja, weil es waren ja durchaus dann schon eine Generation Schwarzer Deutscher da, die überhaupt gar keinen Migrationshintergrund hatten. Natürlich wurde auch weiter migriert, aber trotzdem gab es auch weiterhin auch Schwarze Deutsche. Das ist ja immer zweierlei, deswegen ist es wirklich immer wichtig, die zwei Seiten der Medaille anzusehen und Rassismus nicht nur im Kontext von Migration zu verhandeln, das wäre fatal.

In der Weimarer Republik war das ja tatsächlich so, da gibt es einige biografische Hinweise beispielsweise von Martin Dibobe. Martin Dibobe war der erste Schwarze Zugführer. Von ihm ist ja hier in Berlin am Halleschen Tor auch eine große Fotografie. Viele Leute würden sich fragen: Was ist daran besonders? Aber es ist bis heute nicht selbstverständlich, in öffentlichen Berufen Schwarze Menschen zu sehen. Ob es jetzt als Busfahrer ist oder in einer Bank oder ähnliches. Also von daher ist es auch in einem sozialen Kontext eine Besonderheit gewesen, schon zu dieser Zeit einen Schwarzen U-Bahn-Fahrer zu haben. Und er hat tatsächlich dafür plädiert, die Kolonien zurückzubekommen. Weil er natürlich mit dem Verlust der Kolonien auch sehr viele Rechte verloren hat als Schwarzer Mann in Deutschland.

Es gibt dann aber auch Geschichten, biografische Geschichten, von Bruce Kwassi. Bruce Kwassi kam über die deutsche Kolonialschau nach Deutschland und wurde als kleines Kind ausgestellt in Zoos. Es gab ja Menschenzoos. Das afrikanische Viertel in Berlin ist ja eigentlich als Menschenzoo angelegt worden und dann kam der Erste Weltkrieg und es ist nicht realisiert worden, deswegen heißt es ja heute afrikanisches Viertel. Und Bruce Kwassi hatte eine andere politische Haltung als Martin Dibobe, das ist ja auch nochmal wichtig zu sehen, dass er ja dafür gekämpft hat, dass im Prinzip Menschen in Deutschland mehr Rechte bekommen, aber er hat nicht gefordert, dass Deutschland die Kolonien zurückbekommt.

Und an diesen beiden Beispielen sehen wir natürlich, dass nicht jede Schwarze Person politisch dieselbe Gesinnung hat. Da müssen wir nämlich auch aufpassen. Es ist wie bei weißen Menschen ja auch, nicht alle weiße Menschen wählen die CDU, nicht alle weißen Menschen wählen die SPD oder welche Partei auch immer, sondern wir haben ein unterschiedliches politisches Bewusstsein, politische Entwicklung und politisches Interesse. Als Schwarze Menschen natürlich auch. Noch ein Grund, warum es problematisch ist, im Kontext von Migration diese Thematik zu behandeln.

Ich wollte noch auf einige Parallelen eingehen: Also wir haben es nach den Weltkriegen, dem Ersten und dem Zweiten, mit weißen Frauen zu tun, die vor Ort leben und dann treffen diese auf Schwarze Besatzungssoldaten und da kommen dann natürlich auch wieder sehr stark zu tragen die Kategorien, die man vielleicht auch gar nicht ohneeinander denken kann: Gender and Race.

Genau, vor allem als Schwarze Frau nicht. Es ist ganz interessant, weil, was die Geschichte von Schwarzen Frauen in Deutschland angeht, gibt es eine große Forschungslücke, warum ich immer wieder dafür plädiere, dass Schwarzes Wissen, Black Studies, institutionalisiert werden muss, da so viel aufgearbeitet werden muss. Und springen wir ein bisschen, nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Befreiung der US-Amerikaner oder die Alliierten im Allgemeinen waren natürlich viele Truppen eben auch Schwarze Truppen dabei und aus den Verbindungen mit weißen Frauen entstanden ja auch Schwarze Kinder. Und diese Kinder wurden wirklich aufgrund einer rassistischen Debatte, die damals geführt wurde, zwangsadoptiert in die USA. Das ist das Schicksal einer Großzahl dieser Kinder. Andere landeten im Kinderheim. Also auch diese Kinder wurden nicht als legitime, wenn ich überhaupt diese Bezeichnung benutzen darf, Deutsche angesehen aufgrund ihrer vermeintlichen Rassenzugehörigkeit. Sie wurden zwangsadoptiert. Die USA hat sie inzwischen entschädigt aufgrund dieser Geschichte. Also es gab Reparationen für diese Kinder, ich weiß nicht in welchem Jahr, ist gar nicht so lange her. Deutschland schaut da nicht mal hin.

Und da kommen wir auch wieder zu dem, was Sie vorhin gesagt haben, immer wieder unterbrochenes Schwarzes Leben.

Genau, ganz genau. Dass die Geschichte immer unterbrochen wird, die Geschichte von Schwarzen Menschen in Deutschland ist eine Geschichte einer Diskontinuität. Weil auch da wieder eben genau dieser Bruch war, das Schwarze Körper deportiert werden aufgrund der Vorstellung, dass sie hier nicht hergehören.

Wir haben jetzt tatsächlich eine Phase erst mal gerade noch ausgelassen, übersprungen, die aber auch wie fast keine andere für das Unterbrechen von Schwarzen aber auch vielen anderen Leben in Deutschland steht. Sie hatten es vorhin schon gesagt, es gibt also sehr viele oder zumindest zahlreiche Schwarze Deutsche, die nach und vor der Kolonialzeit in der Weimarer Republik und auch danach in Deutschland waren. Was passiert mit denen nach 1933?

Viele Menschen haben sich versteckt, auch da gibt es ja biografische Aufzeichnungen, sodass wir eben beispielsweise von Theodor Michael wissen, der sich in der Filmindustrie versteckt hat als Komparse im Film. Zu diesem Zeitpunkt ist es wichtig zu wissen, dass gerade die Nationalsozialisten die Kolonien zurückwollten und dann einen ganz intensiven Kolonialrevisionismus betrieben haben. Es wurden unheimlich viele Kolonialfilme gedreht und es wurde propagiert, dass es wichtig ist, diese Kolonien zurückzugewinnen. Und dadurch entstand eine Filmindustrie, wo sie natürlich auch Schwarze Komparsen gebraucht haben. Und er hat sich während des Nationalsozialismus dort versteckt als Komparse.

Wir wissen von Gerd Schramm beispielsweise, inzwischen sind beide verstorben, der war in Buchenwald im KZ. Wir wissen von Fasia Jansen, also auch eine Schwarze Frau, die als 15-Jährige, dazu verdonnert worden, in Neuengamme, in der Küche zu arbeiten, wo sie auch überlebt hat. Sie war die Tochter eines Generalkonsuls, auch ein uneheliches Kind. Also, er hatte ein Verhältnis mit dem Dienstmädchen und aus dieser Beziehung ist sie dann entstanden. Wir wissen von Hans-Jürgen Massaquoi beispielsweise, der sich im Kohlenkeller versteckt hat und dann nach dem Krieg in die USA ausgewandert ist. Seine Geschichte ist im deutschen Fernsehen verfilmt worden. Und so können wir anhand von Einzelschicksalen diese Geschichten rekonstruieren. Aber was da tatsächlich mehr gemacht werden müsste ist, und da bin ich wieder bei der Institutionalisierung, dass wir da breitflächiger hingucken.

Das heißt, wir haben einerseits viele Geschichten von Einzelschicksalen, auch in der NS-Zeit. Wenig überraschend sehen wir Kontinuität von auch institutionellem Rassismus, dem Schwarze Deutsche und Schwarze Menschen in Deutschland ausgesetzt waren, der sich im NS natürlich mit seinen Rasse- und Arierparagraphen und -Verordnungen stark ausdrückt. Und zugleich wissen wir natürlich, dass die Verfolgungen sich ähnlich ausgewirkt haben, wie auf andere rassistisch verfolgte Menschen in Deutschland.

Ganz genau. Und das Traurige ist ja, dass wir als Schwarze Gruppe noch kein Mahnmal haben. Es gibt kein Mahnmal, kein Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus und der rassistischen Gewalt der Nachkriegszeit. Das ist etwas, wofür wir seit 15 Jahren auf die Straße gehen. Und es wird immer noch nicht die Notwendigkeit gesehen, warum neben allen anderen Opfergruppen – und einige Mahnmale sind nicht ohne Probleme erstellt worden. Also wenn ich an die Roma und Sinti denke, die auch 60 Jahre gekämpft haben, um ein Mahnmal zu bekommen, so haben wir als Schwarze Gruppe immer noch keines. Und ich glaube, auch da muss hingesehen werden. Das sind ja die Kontinuitäten, die sich ja heute auch nochmal zeigt, wo Relevanzen gesetzt werden. Wer ist relevant für die Gesellschaft und wer nicht? Und weil wir ja immer ständig weg verortet wurden und deportiert wurden und unsere Geschichte von extremen Brüchen geprägt ist, wird die Notwendigkeit nicht gesehen. Und das finde ich halt sehr fatal.

Frau Kelly, jetzt haben wir eines der düstersten Kapitel für die deutsche Geschichte und natürlich für die Schwarze deutsche Geschichte behandelt und wir haben auch schon über die Nachkriegszeit gesprochen. Da wiederum ist esbesonders interessant, wie unterschiedlich sich Schwarzes deutsches Leben in den beiden Ländern, die dann auf deutschem Territorium entstehen, ausgestaltet, vielleicht möchten Sie noch ein bisschen dazu erzählen?

Also in Westdeutschland war natürlich die Gruppe gerade von Schwarzen US-amerikanischen Nachkommen sehr groß. Da beginnt meine Migrationsgeschichte, aber ich habe einen britischen Hintergrund. Es gab auch Schwarze Menschen in den britischen Truppen, da wird auch nicht wirklich mehr dazu erzählt, aber so im Zuge dieser Geschichte bin ich dann auch nach Deutschland gekommen, also im Prinzip über das britische Militär. Wir wissen ja, die in Norddeutschland stationiert waren, während die US-Amerikaner ja im Süden stationiert waren. Eine starke Amerikanisierung ist dannerfolgt in Deutschland, in beiden Teilen von Deutschland tatsächlich, in Ost wie West.

In der DDR oder in der ehemaligen DDR lief es so, dass die DDR Abkommen hatte mit kommunistischen Ländern in Afrika. Ob es jetzt Mosambik war oder auch Angola oder auch Kuba und da wieder Migrationswellen erfolgten natürlich. In der DDR ist es aber so gewesen, dass diese Gruppen segregiert wurden. Also sie wurden nicht als Teil in die Gesellschaft aufgenommen und konnten sich frei bewegen und waren ostdeutsche Bürgerinnen oder DDR-Bürgerinnen, sondern sie wurden wirklich in ihren einzelnen, man kann schon fast sagen, Enklaven gehalten. Und nicht nur Afrikaner*innen, sondern auch sehr viele Vietnames*innen etc. Und in vielen Fällen sind sie ja nach der Wende auch deportiert worden. Es gibt auch das Beispiel der namibischen Kinder. Auch da müsste weiter geforscht werden, wie sich das weiterentwickelt hat. In der DDR kamen diese Kinder außerhalb von Berlin in ein Kinderheim und wurden von namibischen Lehrerinnen geschult, eben mit der Idee, sie dann zurückzuschicken nach Namibia. Aber dann kam die Wende. Und mit der Wende haben diese Kinder, die inzwischen Schwarze deutschsozialisierte Kinder waren, Deutsch sprachen etc., sie wurden nach Namibia zurückgeschickt. Also sie wurden nicht eingebürgert in die neue Bundesrepublik, sondern wurden auch zurückgeschickt. Wenn wir natürlich 30 Jahre Mauerfall und Gesamtdeutschland oder die Wiedervereinigung feiern, sind das auch wieder Geschichten, die nicht erzählt werden. Was in der Neuzeit oder in der fast-Jetztzeit ein weiterer Beleg der Deportation Schwarzer Menschen ist.

Ich glaube, was sich hier im Prinzip zeigt, ist die gesellschaftliche Position, die mit der Anwesenheit Schwarzer Menschen aufging. Weil Rassismus wird sehr häufig auf Hautfarbe reduziert. Er reicht aber weit über Hautfarbe hinaus. Es geht um eine vermeintliche Hautfarbe, weil Haut hat ja viele Farben, wenn wir genau hingucken. Also natürlich gibt es weder weiße Haut noch schwarze Haut, aber das ist ja auch nicht das, was gemeint ist, sondern Schwarz ist eine politische Selbstpositionierung. Eine sozialpolitische Selbstpositionierung. Und Hautfarbe spielt insofern da rein, dass natürlich auf Haut Geschichte eingeschrieben ist. Geschichte, die mich in einer bestimmten gesellschaftlichen Position verhaftet. Aufgrund der rassistischen Ideologie – und jetzt sind wir wieder auf der strukturellen Ebene unterwegs – haben Schwarze Menschen beispielsweise erschwerten Zugang zu bestimmten Berufen, haben erschwerten Zugang zum Wohnungsmarkt. Und das ist nicht, weil meine Haut einen bestimmten Ton hat, sondern weil mit dem Hautton Geschichte mitschwingt. Und deswegen ist es halt auch immer wichtig, die geschichtliche Ebene des Rassismus mitzudenken, weil es selten um eine einzelne Person geht. Natürlich, wie ich schon vorhin gesagt habe, gibt es Rassismus auf einer interpersonalen Ebene, dass ich rassistisch beleidigt werden kann, dann geht es um eine einzelne Person, die in dem Moment in der Beleidigung Rassismus erlebt, aber diese Person vereint mit anderen Personen hat auch eine gesellschaftliche Position und diese gesellschaftliche Position ist es, was meine sozialpolitische Identifikation als Schwarze Person ausmacht.

Aber natürlich gibt esauch unterschiedliche Formen von Rassismus, die Schwarze Menschen betreffen. Natürlich gibt es da auch antimuslimischen Rassismus und Rassismus gegen Roma und Sinti und ich würde auch den Antisemitismus als Form des Rassismus beschreiben und so weiter. Aber auch was den Rassismus gegen Schwarze Menschen angeht, gibt es da noch einmal eine Unterkategorie, wenn wir so wollen, was sich als Colorism bezeichnet, was in Deutschland eben eine eigenständige Geschichte auch hatte, wo wir gar nicht in die USA gucken müssen, sondern was hier eine eigene Geschichte hat, was eben genau mit dieser Fragestellung von illegitimen und legitimen Kindern einhergegangen ist. Was sich anders geäußert hat als gegen Menschen, die tatsächlich aus den Kolonien migriert sind, irgendwann mal Afrikaner*innen waren und deutsch geworden sind oder tatsächlich die einen weißen Elternteil und einen Schwarzen Elternteil haben und eben keine Zugehörigkeit zugesprochen bekommen haben zur deutschen Gesellschaft.

Und diese Dinge, die muss man sich wirklich im Detail angucken. Also die Debatte wird ja sehr konfus geführt, wie ich finde, sehr einseitig geführt, sehr in Bezug darauf, wer wann irgendwie nach Deutschland migriert ist. Es ist gibt ja nicht nur eine Form von antischwarzem Rassismus, es äußert sich ja in unterschiedlicher Weise. Und das lässt sich wirklich anhand von Geschichte und Politik aufzeigen, weil wir da an die Strukturen ran können, und die Strukturen in den Blick nehmen und dann tatsächlich sehen, wie sich Rassismus in verschiedenen Ebenen der Gesellschaft eingeschrieben hat. Und nicht nur auf einer interpersonalen Ebene. Wenn mich jetzt eine Person beleidigt und das N-Wort beispielsweise zu mir sagt, ja das ist auch rassistisch, was sich eben auf einer interpersonalen Ebene zeigt, aber das ist nicht die einzige Ebene, die wir in den Blick nehmen müssen und das ist ganz wichtig.

Es passiert ja häufiger, dass die Schwarzen Deutschen und ihre Geschichte, ihre Diskurse, aber immer wiederangestoßen, manchmal auch geprägt sind, von Diskursen, die eigentlich aus einem anderen gesellschaftlichen Setting kommen, nämlich aus den Vereinigten Staaten. Wie würden Sie sagen, wirken sich die Race-Diskurse in den Staaten in Deutschland aus?

Also ich würde erst mal sagen, da würde ich tatsächlich widersprechen. Ich glaube, dass es schon sehr wohl sehr viele Schwarze Deutsche gibt, die in deutschen Kontexten Rassismusdiskurse anstoßen. Nur ist das Problem, wir werden nicht gehört. Das ist etwas Anderes. Wir werden ja nicht als Expertinnen unserer eigenen Geschichte gesehen, weil die Geschichte des Rassismus an sich ja von Deutschland weg verortet wird. Wenn Expertinnen gesucht werden, dann wird natürlich in den USA gesucht. Es ist ja toll, dass es jetzt inmitten der Gesellschaft angekommen ist, aber das ist nicht euer Diskurs, es ist unser Diskurs, es ist schon immer unser Diskurs gewesen. Und wir freuen uns, dass ihr jetzt Teil unseres Diskurses werdet. Aber es kann nicht sein, dass wir aus unseren eigenen Diskursen ausgeklammert werden. Da liegt doch das Problem. Es ist nicht, dass es das nicht gibt. Es müsste eigentlich mehr gefördert werden die Arbeit, die ich mache und die andere machen. Es muss die Institutionalisierung geben, ich wiederhole mich jetzt, aber ohne das werden wir nicht an unser Ziel kommen. Was unser aller Ziel ist, ist doch der Abbau von Rassismus.

Wenn wir aber nur an eine Stelle gucken, nämlich uns ständig mit Integration und Migration befassen … also Entschuldigung; Aber mehr Integration wie bei mir, das geht fast nicht mehr. Ich kam nach Deutschland, ich konnte kein Wort Deutsch. Ich habe Deutsch gelernt innerhalb kürzester Zeit, ich habe mein Abitur gemacht, ich habe eine Ausbildung gemacht, ich habe studiert, ich habe promoviert und jetzt bin ich inzwischen eingebürgert und es wird immer noch infrage gestellt, ob wir uns denn nicht integrieren könnten. Und die Migration ist das Problem: Irgendwann habe ich aufgehört zu migrieren und diese Akzeptanz wünsche ich mir auch von der Gesamtgesellschaft, dass die mich nicht ständig in einen Migrationskontext setzt, sondern wirklich überlegt: Wo liegen eigentlich die Missstände, warum Schwarze Menschen hier wie jeder andere auch als Deutsche gewertet und gesehen werden können?

Lassen Sie uns auf den Kern nochmal zurückkommen, den Rassismus: Ein Schwarzer Mann wird in den USA von einem Polizisten ermordet, es ist das 21. Jahrhundert, wir können und müssen regelrecht alle dabei zusehen und das führt zu großen Demonstrationen in Deutschland.

Aber die Black Lives Matter Bewegung die war auch schon vorher in Deutschland, es gab nur nicht so viel Aufmerksamkeit. Ich glaube, eine Sache, die natürlich dazu führt, dass jetzt diese Grenzen verschwimmen, ist natürlich die Digitalität, die Digitalisierung. Social Media durchbricht nationale Grenzen, das ist das eine. Das andere entsteht, vor allem aus einem Schwarzen politischen Bewusstsein heraus. Wir orientieren uns ja nicht an nationalen Grenzen, sondern an diasporischen Einteilungen. Wir haben ja auf der einen Seite den Kontinent und dann gibt es die Diaspora. Und das Ziel, also alle Menschen, die letzten Endes durch Zwangsverstreuung aus dem afrikanischen Kontinent weggedrängt wurden in alle Teile dieser Welt. Und wir haben eine gemeinsame Geschichte, das ist was uns vereint, was uns schon immer vereint hat und das verstärkt sich jetzt.

Aber ist es nicht besonders interessant, dass der Auslöser dafür, dass es in Deutschland mehrheitlich gesehen wird, Rassismus ist, der im Ausland stattfindet?

Ich glaube, der Auslöser, da sind wir nämlich wieder bei den Medien, ist tatsächlich, dass dieser Film in der Primetime gezeigt wurde, was ja auch sehr ungewöhnlich ist für den deutschen Kontext. Es wird sehr wenig über Rassismus berichtet und wenn über Rassismus berichtet wird, dann ist es in den USA oder Südafrika, sonst nicht. In diesem Fall von George Floyd, was ich jetzt finde und jetzt gerade aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive, was die Besonderheit an diesem Fall war, ist, dass es zur Primetime lief und dass drei Fälle hintereinander gezeigt wurden in einem Bericht. Es fing an mit Arbery dem Jogger, der von weißen Rassisten erschossen wurde, dann kam der Fall von Amy Cooper, die im Central Park angewiesen wurde von einem Schwarzen Spaziergänger, bitte ihren Hund anzuleinen und dann wirklich performt hat. Und dann kam der Fall von George Floyd. Und diese Sequenz hatte eine immense Wirkung, das darf man nicht vergessen, es wurde zur Primetime ausgestrahlt, die Bilder wurden ungekürzt, ohne in irgendeiner Abblendung oder ähnliches gezeigt. Das Besondere daran ist auch, dass nicht nur die Opferperspektive zu sehen war, sondern ganz explizit an dem Fall von Amy Cooper auch Weißsein sichtbar wurde. Und das ist genau das, was im Kontext von Rassismus häufig unsichtbar bleibt. Dass natürlich Rassismus auch eine zweiseitige Medaille ist, wenn es um antischwarzen-Rassismus geht, gibt es eine Schwarze Seite und eine weiße Seite. Es gibt rassistische Unterdrückung und weiße Vorherrschaft oder White Supremacy genannt. Das sind zwei Seiten derselben rassistischen Medaille. Und am Fall von Amy Cooper haben wir dann eben gesehen, wie White Supremacy funktioniert. Und deswegen sind auch alle weißen mitgenommen worden in dieser Debatte erstmalig. Das ist das neue. Und zwar nicht über eine Empathieschiene, »oh die armen Schwarzen Opfer und wie kann das sein und die Polizei darf das nicht«, sondern es war plötzlich eine Selbstbetroffenheit mit im Spiel. »Wieso macht sie das, diese weiße Frau in dem Park, das kann doch nicht sein«. Und das hat diese Wirkung gehabt, was wirklich dazu geführt hat, dass weltweit Schwarze Menschen, People of Color und weiße Allies aufgestanden sind und auf die Straße gegangen sind, zurecht.

Ohne das infrage zu stellen, finde ich dennoch interessant, dass es der amerikanische Kontext ist, wobei wir ja jetzt darüber sprechen, was es im deutschen Kontext zu besprechen gäbe.

Ganz genau. Und wir haben natürlich auch Fälle von Polizeigewalt in Deutschland. Wir brauchen uns nur den Fall Oury Jalloh angucken, was auch seit 15 Jahren erstritten wird, dass dieser Fall aufgeklärt wird. Wie kann ein Afrikaner gefesselt an einer Polizeimatratze, einer feuerfesten Matratze, in einer Polizeizelle verbrennen? Es ist bereits nachgewiesen worden durch Brandgutachten, dass ein Brandbeschleuniger benutzt wurde und immer wieder wird es vom deutschen Gesetz abgeschmettert. Und da ist die Polizei natürlich tief verstrickt in Dessau in dieser Geschichte. Und es kann nicht sein, dass es keine Aufklärung findet. Und natürlich werden wir ewig weiterkämpfen, bis es aufgeklärt wird, weil Mord verjährt nicht. Und das sind so Beispiele, wo sich eben zeigt, wie Schwarze Körper auch entmenschlicht werden. Es ist ein Unding. Also in dem Punkt gebe ich Ihnen recht, natürlich haben wir Polizeigewalt und Racial Profiling gibt es hier auch, definitiv.

Sie haben sie vorhin benannt, diese White Supremacy, die da performt wird und es gibt Bildungsarbeit, die sich dagegen richtet, die man unter dem Begriff Antirassismus, aber vor allen Dingen in dem Fall auch Critical Whiteness zusammenfassen kann. Und man hört das jetzt schon: Uns fehlen die Worte dafür. Wir haben nicht mal eigene deutsche Konzepte, um über unseren in unserem Land und in unserer Muttersprache verankerten Rassismus zu sprechen.

Ja und da bin ich nur wieder bei dem Punkt der Institutionalisierung. Wenn sie uns unsere Arbeit machen lassen würden, dann hätten wir bestimmt schon Begriffe gefunden, weil es ist ja nicht so, dass es die Phänomene nicht gibt. Also ich glaube, wenn ich die USA mit Deutschland vergleiche, was an beiden Systemen gleich ist, ist die rassische Ideologie, die dem Gesellschaftssystem unterliegt. Und ich glaube, warum wir uns häufig der Konzepte aus den USA bedienen müssen, ist, weil es hier keine eigenständige Forschung gibt. So ist es aber zumindest, dass dann da natürlich auch schon in den USA diese Forschung länger institutionalisiert ist, es länger Antirassismusforschung, es länger Black Studies gibt, es sogar die Historical Black Colleges und Universitys gibt. So gibt es natürlich einen Pool an Tools zur Analyse, wie eben der Ansatz um Critical Whiteness beispielsweise, der hier auch funktioniert und den wir hier natürlich auch anwenden. Solange es keine eigenen Forschungsmethoden und Forschungsinstitutionen gibt, ist es auch gut, dass wir das machen können. Was nicht heißt, dass das Problem dort sich gleicht mit dem Problem hier, sondern es gibt Spezifika und es ist wichtig, dass da hingeschaut wird.

Frau Kelly, ich habe ein Abschlussfrage an Sie, und zwar, haben Sie den Eindruck, dass in deutschen Rassismusdebatten geschichtliches Wissen fehlt und wenn ja, wo sehen Sie die Ursache dafür?

Es fehlt definitiv geschichtliches Wissen und die Ursache liegt darin, dass eben nicht geforscht werden kann. Es keine Forschungsinstitutionen gibt. Wenn geforscht wird, dann nur beiläufig. Wenn Rassismus verhandelt wird, dann nur im Kontext von Migration. Wir haben doch den Rassismus nicht mitgebracht als Migranten, der war schon hier, als wir kamen, egal in welcher Epoche. Es ist ja wie gesagt tief eingeschrieben in deutscher Nationenbildung und da müssen wir auch ran, um ihn zu beseitigen. Und ich glaube, solange das nicht der Fall ist, dass es unabhängige Institutionen gibt, wo auch Schwarze Menschen angestellt werden, die auch zu Schwarzen Themen arbeiten und nicht nur, weil sie Schwarz sind, das ist zu wenig. Wenn es keine unabhängige Antirassismusforschungsstelle gibt, vergleichbar mit der Antisemitismusforschungsstelle an der Technischen Universität hier in Berlin, dann werden wir auch diese Lücken nicht füllen.

Das war unser History and Politics Podcast mit Natascha Kelly zu den historischen Wurzeln von Rassismus in Deutschland und zur Geschichte der Schwarzen Deutschen. Natascha Kelly erzählt mit ihrem 2018 erschienen Film »Millis Erwachen« die Geschichten Schwarzer, deutscher Frauen verschiedener Generationen. Namensgeberin des Films war das berühmte expressionistische Gemälde »Die schlafende Milli« von Ernst Ludwig Kirchner.

Alles Weitere zur Arbeit des Bereich Geschichte und Politik der Körber-Stiftung finden Sie auf unserer Stiftungswebsite. Dort gibt es natürlich auch alle Folgen unseres History and Politics Podcasts. Das war´s für heute, ich danke Ihnen fürs Zuhören und hoffe, dass Sie auch beim nächsten Mal wieder dabei sind, wenn wir fragen, wie die Geschichte unsere Gegenwart prägt.

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* Wir schreiben »Schwarz« groß, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt und nicht um eine Eigenschaft, die sich auf eine vermeintliche Hautfarbe zurückführen lässt.

Artwork: Geschichte ist Gegenwart! Der History & Politics Podcast der Körber-Stiftung

Geschichte ist Gegenwart! Der History & Politics Podcast der Körber-Stiftung

Warum Geschichte immer Gegenwart ist, besprechen wir mit unseren Gästen im History & Politics Podcast. Wir zeigen, wie uns die Geschichte hilft, die Gegenwart besser zu verstehen.

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