3. Internationale Verständigung
In der Tradition unserer Stifters Kurt A. Körber sind wir davon überzeugt, dass wir Herausforderungen und Konflikte nur lösen können, wenn wir „miteinander“ und nicht „übereinander“ reden. Wir setzen uns deshalb für Dialog und Verständigung über politische, nationale und religiöse Grenzen hinweg ein. Wir möchten zur Reflexion und Auseinandersetzung mit Themen wie Herkunft, Identität und geschichtlichen Fragen anregen und dazu Debatten anstoßen. International steht die Außen- und Sicherheitspolitik in unserem Fokus. Dort richten sich unsere Projekte sowohl an Young Leaders als auch an Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger.
Das Handlungsfeld Internationale Verständigung besteht organisatorisch aus den Bereichen Geschichte und Politik und Internationale Politik.
3.1 Geschichte & Politik
Das Körber History Forum ist eine jährliche Tagung mit internationalen Expertinnen und Experten an der Schnittstelle von Geschichte und Politik sowie von Vergangenheit und Gegenwart. 2022 wurde das Körber History Forum erstmalig als hochrangige Klausur mit 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt – darunter renommierte Historikerinnen und Historiker wie Mary Elise Sarotte, Sergey Radchenko, Georgi Kasianov, Nicolas Mulder oder Kristina Spohr. Unter dem Thema Grenzen und umkämpfte Räume wurde u.a. über die Vergangenheit und Zukunft von Krieg und Frieden sowie über die Auswirkungen von imperialen Ideologien auf die Großmachtpolitik von heute diskutiert.
Das EUSTORY-Netzwerk umfasst zivilgesellschaftliche Organisationen aus mehr als 20 europäischen Ländern, die jeweils auf nationaler Ebene Geschichtswettbewerbe für junge Menschen durchführen. Ziel ist es, die Erinnerungskultur zu fördern und sich grenzübergreifend mit der europäischen Geschichte und deren Bedeutung für die Gegenwart auseinanderzusetzen.
2022 fanden insgesamt 17 Preisverleihungen in folgenden Ländern statt: Dänemark, Estland, Frankreich, Irland, Lettland, Moldawien, Georgien, Wales, Spanien, Portugal, Israel, Norwegen, Slowakei, Tschechien, Ukraine (kriegsbedingt online) und erstmals Armenien.
Beim Jahrestreffen im Frühjahr kamen 35 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 18 Ländern virtuell zusammen, um sich im Rahmen eines dreitägigen Programms über die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auszutauschen.
Über das Jahrestreffen hinaus gilt unsere besondere Aufmerksamkeit der Zukunft unserer russischen Partnerorganisation Memorial International. Nachdem diese im Dezember 2021 in der Russischen Föderation verboten wurde, unterstützen wir Memorial bei der Weiterführung ihrer Aktivitäten im Exil.
Der größte historische Forschungswettbewerb für junge Menschen in Deutschland ist der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, der alle zwei Jahre ausgeschrieben wird. Mit diesem Wettbewerb ermutigen wir Kinder und Jugendliche dazu, sich selbst ein Bild von der Geschichte zu machen. Dies fördert zugleich Persönlichkeitsmerkmale der jungen Menschen wie Selbstständigkeit und Verantwortungsbewusstsein.
2022 startete die 28. Ausschreibung des Geschichtswettbewerbs mit dem Thema Mehr als ein Dach über dem Kopf. Wohnen hat Geschichte. Junge Menschen bis 21 Jahre waren eingeladen, die Wohnverhältnisse der Vergangenheit und ihre Bedeutung für die Gesellschaft der damaligen Zeit zu untersuchen.
Mit unserem Programm eCommemoration widmen wir uns dem digitalen Erleben von Geschichte, etwa durch Videospiele, Social Media und Extended Reality. eCommemoration steht für eine technisch innovative und zukunftsfähige Erinnerungspraxis.
Anfang 2022 haben wir gemeinsam mit dem VRAHM! Virtual Reality & Arts Festival den internationalen XR History Award ins Leben gerufen. Die Resonanz auf die Ausschreibung war mit 22 Ländern aus Europa, den USA, dem Nahen und Mittleren Osten sowie Asien sehr positiv. Der mit 5.000 Euro dotierte Preis ging im Juni an das Projekt „Child of Empire“ von Sparsh Ahuja und Erfan Sadaati.
Nach einem erfolgreichen virtuellen Pilotprojekt 2021 haben wir im September 2022 die erste eCommemoration Convention in Hamburg in Präsenz veranstaltet. Die Panel-Diskussionen, Live-Gaming-Sitzungen, VR-Stationen und Workshops brachten insgesamt 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 15 Ländern zusammen. Vertreterinnen und Vertreter von Game Studios, Museen, Universitäten, Think Tanks, XR/VR-Studios, Stiftungen, Ministerien und Gedenkstätten beschäftigten sich mit der Frage, wie sich durch Digitalisierung die Geschichtsvermittlung stärken lässt.
3.2 Internationale Politik
Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und die damit verbundene Erschütterung der europäischen Ordnung riefen wir im Februar 2022 die Weimar Taskforce ins Leben. Hier erarbeiteten 15 ausgewählte deutsche, französische und polnische Sicherheitsexpertinnen und -experten im Rahmen von drei Foresight-Workshops Szenarien an Entwürfen für eine neue europäische Sicherheitsordnung.
Der Abschlussbericht enthält eine normative Vision für das Jahr 2030 und strategische Handlungsoptionen zur Umsetzung.
Seit 2011 organisiert die Körber-Stiftung jährlich in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt das Berliner Forum Außenpolitik. Hierzu laden wir hochrangige nationale und internationale Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Regierung, Wissenschaft und Wirtschaft, um außenpolitische Herausforderungen für Deutschland und Europa zu diskutieren.
Am 18. Oktober 2022 wurden unter dem Titel The Price of Peace: Rethinking Security for Germany and Europe die Auswirkungen der „Zeitenwende“ für Deutschlands internationale Beziehungen diskutiert. Erfreulich war die Teilnahme von gleich drei Außenministerinnen und Außenministern (Annalena Baerbock aus Deutschland, Dominique Hasler aus Liechtenstein sowie Urmas Reinsalu aus Estland). Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht waren dabei. Das hybride Format ermöglichte 200 Gästen vor Ort und weiteren 200 Personen aus aller Welt digital die aktive Teilnahme. Weitere 35.000 Personen verfolgten die Konferenz im Livestream.
Unsere außenpolitische Publikation The Berlin Pulse verbindet außenpolitische Beiträge hochrangiger internationaler Autorinnen und Autoren mit einer aktuellen Meinungsumfrage zu den Einstellungen und Haltungen der Deutschen zu zentralen außen- und sicherheitspolitischen Fragen.
Die sechste Ausgabe des Berlin Pulse wurde im Oktober 2022 veröffentlicht und beinhaltete Impulse unter anderem von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und der Sicherheitsexpertin Fiona Hill.
Die Umfrage dokumentierte, dass sich eine knappe Mehrheit der Deutschen (52 Prozent) weiterhin eher eine zurückhaltende Außen- und Sicherheitspolitik wünscht – und das trotz des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine und der propagierten „Zeitenwende“. 68 Prozent wandten sich gegen eine deutsche militärische Führungsrolle Deutschlands in Europa, eine Mehrheit von 60 Prozent befürwortete allerdings höhere Verteidigungsausgaben.
Seit 1961 bietet der Bergedorfer Gesprächskreis hochrangigen Persönlichkeiten aus der Politik, aus Think Tanks und aus Expertenkreisen in kleiner und vertraulicher Runde ein Forum zum informellen Austausch über zentrale Themen der deutschen und europäischen Sicherheitspolitik.
Der 178. Gesprächskreis fand im März 2022 in Berlin statt und fragte nach den Konsequenzen des Ukrainekrieges für die europäische und globale Ordnung.
Der 179. Gesprächskreis tagte angesichts des bevorstehenden finnischen und schwedischen NATO-Beitritts im Juni in Helsinki. Thematisch standen die Veränderungen der europäischen Sicherheitsordnung und Wege zur Stärkung der europäischen Souveränität im Mittelpunkt im Mittelpunkt der Gespräche.
Unter dem Titel Gravity Shift Towards the East? Russia’s War in Ukraine and the EU’s Changing Political Balance diskutierten schließlich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 180. Bergedorfer Gesprächskreis im Dezember in Warschau.
Unsere politischen Frühstücke schaffen einen Ort für den Austausch zu außen- und sicherheitspolitischen mit internationalen Gästen in Berlin in vertraulicher Atmosphäre und im kleinen Kreis. 2022 richteten wir sieben solcher Treffen aus, unter anderem mit Clément Beaune, dem Staatssekretär für europäische Angelegenheiten der Republik Frankreich, mit dem polnischen Vize-Außenminister Szymon Szynkowski vel Sęk, mit dem Präsidenten der Republik Bulgarien Rumen Radev sowie mit der tschechischen Parlamentspräsidentin Markéta Pekarová-Adamová.
Im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) bieten wir mit unserem Format Munich Young Leaders jungen Diplomatinnen und Diplomaten die Möglichkeit, zentrale Fragen der internationalen Ordnung mit hochrangigen Gästen der Konferenz zu diskutieren und eigene Netzwerke zu knüpfen. Zweiter Bestandteil des Projekts sind Alumini-Aktivitäten und ein Jahrestreffen, dass 2020 mit rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Estland stattfand. Prominenteste Gesprächspartner waren die estnische Premierministerin Kaja Kallas und die estnische Präsidentin Kersti Kalljulaid.
Das Körber Netzwerk Außenpolitik besteht aus einem festen Kreis junger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Büros von Bundestagsabgeordneten und Fraktionen, dem Bundeskanzleramt, dem Auswärtigen Amt und weiteren Bundesministerien sowie aus Think Tanks und Botschaften in Berlin. Das Ziel des Netzwerkes ist die gemeinsame Meinungsbildung zu außen- und sicherheitspolitischen Themen. 2022 unternahm das Körber Netzwerk Außenpolitik einen Field Trip nach Albanien und Nordmazedonien. Hier konnten sich die Mitglieder mit Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern aus der Region austauschen, darunter unter anderem mit dem albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama.
Das Körber Policy Game basiert auf einem fiktiven Zukunftsszenario, das von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bearbeitet wird. 2022 wurde das Körber Policy Game in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Think Tank Atlantic Council durchgeführt. Teams aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Polen stellten sich die Frage, welche Auswirkungen eine Rückkehr von Donald Trump als US-Präsident auf die sicherheits- und verteidigungspolitische Handlungsfähigkeit Europas haben würde. Die erarbeiteten möglichen Optionen wurden im Anschluss in dem Report Europe Home Alone – What if Trump returns? veröffentlicht.
Seit seiner Gründung 2018 beschäftigt sich das Paris Peace Forum mit Optionen einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zur Bewältigung internationaler Herausforderungen und Krisen. Mehrere tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft diskutieren konkrete Projekte, präsentieren Initiativen und suchen gemeinsam nach Lösungen. Die Körber-Stiftung ist eines von acht Gründungsmitgliedern des Forums. Im November 2022 fand das Paris Peace Forum im berühmten Palais Brongniart statt. Unter dem Titel Riding out the multicrisis wurden Lösungen für globale Herausforderungen wie den Klimawandel, die Cybersicherheit, die Inklusion und die globale Gesundheit thematisiert.